Berlin. Die Salafisten-Szene ist in Aufruhr, warnt vor Razzien durch die Polizei. Manchmal landen sie einen Treffer. Oder gibt es Informanten?

Die Szene ist vorbereitet. Drei Tage vor einer Polizeirazzia läutet ein Islamist per Online-Chat Alarm. Ein Zufallstreffer oder Insiderwissen? Gibt es eine undichte Stelle bei den deutschen Anti-Terror-Fahndern?

Es ist das Bild des kleinen Maulwurfs, nachempfunden aus der tschechischen Zeichentrickserie. das ein bekannter Salafist Ende Januar in einem Online-Chat postet. Die Augen der Figur sind weit aufgerissen, der Maulwurf hält sich die Hände an das Gesicht, schaut überrascht, erstaunt. In fetter goldgelber Schrift steht daneben: „Achtung! Razzien stehen kurz bevor!“ Die „Geschwister“ sollen vorsichtig sein und „entsprechende Maßnahmen“ einleiten. Die Nachricht auf dem Messengerdienst Telegram-Kanal „Dawa Pics“ endet mit einem Vers aus dem Koran: „Und Allah kennt am besten eure Feinde...“.

Am Tag der Razzia erneute Warnung

Die Warnung stammt vom 27. Januar 2017, am Dienstag darauf durchsuchen Polizisten in Hessen mehrere Wohnungen und verhaften einen Tunesier – einen mutmaßlichen Helfer der Terrormiliz IS in Deutschland. Noch am Tag der Razzia warnt der Kanal „Dawa Pics“ erneut vor Durchsuchungen „in Kürze“ durch die Polizei, verweist diesmal in einem Beitrag auf Nordrhein-Westfalen und Berlin. „Diese Woche gibt es weitere Razzien!“, schreibt die Person kurz danach. Konkrete Orte nennt sie nicht.

Genau eine Woche später schlagen Polizisten zu, durchsuchen mehrere Wohnungen. Im Fokus: der salafistische Verein „Medizin mit Herz“. Der Ort: Nordrhein-Westfalen. So wie „Dawa Pics“ gewarnt hatte. Gibt es einen Maulwurf in den Behörden, der die Radikalen mit Informationen speist? Oder war es ein Zufallstreffer?

Behörden glaiben an Zufallstreffer

Mit diesem Motiv warnte die Szene ihre Anhänger vor Razzien durch die Polizei
Mit diesem Motiv warnte die Szene ihre Anhänger vor Razzien durch die Polizei © Screenshot | Screenshot

Die Sicherheitsbehörden haben nach eigenen Angaben für undichte Stellen in den eigenen Reihen keine Anhaltspunkte. Mit den Recherchen konfrontiert, heißt es von Seiten des Bundeskriminalamtes: „Dem BKA liegen Hinweise auf entsprechende Warnmeldungen innerhalb der salafistischen Szene vor.“ Indizien, dass Informationen aus Behörden nach außen an die Szene gelangt sind, gebe es nicht.

Ähnlich antworten die Landeskriminalämter von Hessen, Berlin und Nordrhein-Westfalen. Die Islamisten würden solche „allgemeinen Warnhinweise mit der Schrotflinte streuen“, sagt ein Ministeriumssprecher. Da lande die Person eben auch mal einen Treffer. Nur fällt auf: In den Wochen zuvor erschienen diese Warnungen in dem Telegram-Kanal nicht.

Der Absender der Warnungen ist bekannt

Das LKA Hessen nennt Details über den Absender: Der Verbreiter dieser „Warnungen“ sei den Sicherheitsbehörden hinreichend bekannt, schreibt ein Sprecher. Der Mann stamme aus Nordrhein-Westfalen und sei im salafistischen Spektrum bundesweit bekannt. „Seit mehreren Jahren wird durch ihn salafistisches Propagandamaterial erstellt und innerhalb der Szene verbreitet.“

Auch CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach führt die Warnungen von Islamisten vor Polizeimaßnahmen auf den „Verfolgungsdruck durch die Behörden nach dem Anschlag in Berlin“ zurück. Dieser sei massiv gestiegen. Für einen Informanten der Extremisten bei der Polizei sieht auch Bosbach „keine konkreten Anhaltspunkte“. Der CDU-Politiker: „Anders wäre die Lage, wenn vor einer Polizeimaßnahme an einem bestimmten Ort, einer Moschee oder einem Verein gewarnt würde. Das wäre eine Katastrophe für die Sicherheitsbehörden.“ Doch dafür sehe er „keine handfesten Indizien“.

Großrazzia gegen Islamistenszene

weitere Videos

    Die salafistische Szene steht unter Druck

    Der Fall zeigt zweierlei: Erstens betreibt die extremistische Szene weiterhin mit viel Aufwand Propaganda – optisch im Stil von Hollywood-Film-Plakaten, inhaltlich mit scharfen Tönen gegen den Staat. Zweitens ist die Szene in Deutschland in Aufruhr und steht unter Druck. In den vergangenen Monaten gab es einige Razzien und Festnahmen. „Den Salafisten fehlen die führenden Köpfe“, sagen Extremismus-Experten.

    Das schwächt die Gruppen. Neben den Warnungen vor Durchsuchungen durch die Polizei verbreiten salafistische Akteure nun schon Anleitungen, wie sich die „Geschwister“ bei Razzien verhalten sollen. „Erstmal ruhig und freundlich bleiben“, heißt es.

    Islamisten nutzten Tipps von Linksautonomen

    In islamistischen Kanälen im Netz werden sogar Flyer der linksautonomen Gruppen „Rote Hilfe e.V.“ verbreitet. Dort heißt es: „Keine Aussagen machen! Keine Gespräche mit den BeamtInnen!“ Den Mitgliedern der eigenen Szene empfehlen die Salafisten, gegen die Durchsuchung Widerspruch einzulegen und neben dem Polizeiprotokoll ein eigenen anzufertigen. In einem Info-Zettel heißt es: „Ruhe bewahren! Schweigen! Verteidiger informieren!“

    Dann empfiehlt der Salafist von „Dawa Pics“ seinen Anhängern noch: „Druckt euch diesen Flyer aus und heftet ihn an den Kühlschrank, damit ihr Zugriff darauf habt während der Durchsuchung und nichts vergesst in der Aufregung!“