Pjöngjang. Hinter dem Mord am Halbbruder des nordkoreanischen Diktators könnte die Angst vor China stecken. Experten sehen ein Signal an Trump.

Die Polizeiberichte lesen sich wie Passagen aus einem Thriller. Zwei junge Frauen betreten die Eingangshalle des Flughafens der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur. Von hinten pirschen sie sich an einen wohlbeleibten Mann mittleren Alters heran. Die eine lenkt ihn ab, die andere nimmt ihn von hinten in den Schwitzkasten und vergiftet ihn.

Auf Aufnahmen von Überwachungskameras ist zu sehen, wie sie einen Handschuh trägt, der wahrscheinlich in Gift getränkt war. Panisch schafft es der attackierte Mann noch zum Informationsschalter. Wenig später bricht er auch schon zusammen.

Verdächtige sind vermutlich Agentinnen aus Nordkorea

Bei dem weniger später toten Mann handelt es sich um Kim Jong Nam, den Halbbruder des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un, bei den jungen Frauen sehr wahrscheinlich um nordkoreanische Agentinnen. Die eine trägt einen kurzen Rock und ein langärmliges T-Shirt mit dem Aufdruck „LOL“ – das Kürzel für „Laughing Out Loud“ (laut aufgelacht).

Auf Überwachungskameras ist noch zu sehen, wie sie mit einem Taxi davonbrausen. Einige Tage später werden sie und zwei mutmaßliche Komplizen gefasst. Nach weiteren drei Männern fahndet die malaysische Polizei.

Nordkoreas Medien schweigen

Noch hat die Führung in Pjöngjang den Mord nicht bestätigt. In den nordkoreanischen Medien wird der Tod Jong Nams verschwiegen. Allerdings hat sich Pjöngjang bei der Regierung in Kuala Lumpur beschwert, dass die malaysischen Behörden eine Obduktionen vorgenommen haben und sie aufgefordert, die Leiche an Nordkorea zu übergeben. Das lehnte die malaysische Regierung bislang ab.

So rätselhaft die Hintergründe bislang sind – schon jetzt ist klar, dass der Mord am Flughafen von Kuala Lumpur als eine der schaurigsten Polit-Attentate in die jüngere Geschichte Asiens eingehen wird. Und sollte sich bestätigen, dass Machthaber Kim Jong Un hinter dem Mord seines Halbbruders steckt, würde sich zeigen, wie makaber er nicht nur gegen seine politischen Widersacher vorgeht, sondern auch gegen seine eigene Familie. Einmal mehr würde sich die Frage stellen: Ist der Diktator vollends wahnsinnig? Oder stellte sein Halbbruder eine wirkliche Gefahr für ihn dar?

Mord aus „Paranoia“?

Polizisten und weitere Beamte stellen am Freitag die Tötung von Kim Jong Nam nach.
Polizisten und weitere Beamte stellen am Freitag die Tötung von Kim Jong Nam nach. © dpa | Uncredited

Unter den Nordkorea-Experten laufen die Spekulationen. Südkoreas Geheimdienstchef Lee Byong Ho geht davon aus, dass Kim Jong Un rein aus „Paranoia“ gehandelt habe, weniger aus Sorge um eine unmittelbare Gefahr für seine Macht. Der ältere Halbbruder hatte mehrfach betont, dass er kein Interesse habe, zur Macht zu greifen und hatte nach einem ersten Attentatsversuch seinen Bruder sogar gebeten, ihn zu verschonen.

Er wolle bloß in Frieden leben. Allerdings hat der südkoreanische Geheimdienst schon mehrfach den jungen Kim als einen Durchgeknallten mit instabiler Persönlichkeit dargestellt.

Angst vor chinesischer „Marionetten-Regierung“

Dieser Erklärung widerspricht die südkoreanische Zeitung „Hankyoreh“. Der junge Diktator sei schon seit einiger Zeit von der Angst getrieben, China könnte mit dem älteren Halbbruder eine „Marionetten-Regierung“ installieren, heißt es in einem Artikel. Offiziell gilt China zwar als letzter noch verbliebener Verbündeter Nordkoreas. Doch das Verhältnis hat sich extrem verschlechtert.

Vor allem das Atomwaffenprogramm des jungen Diktators wird auch von Peking scharf verurteilt. Die chinesische Führung trägt die UN-Sanktionen mit. Jong Nam hingegen war bis zum Schluss ein gern gesehener Gast in Peking und durfte sich mit seinem Wohnsitz in Macau sogar auf chinesischem Territorium niederlassen.

Ein Zeichen an Donald Trump?

Eine Erklärung mit einer etwas anderen Stoßrichtung liefert der in Japan lebende Politologe Narushige Michishita vom National Graduate Institute for Policy Studies in Tokio. Das Ziel des nordkoreanischen Diktators sei es, die USA an den Verhandlungstisch zu bringen. Im Wahlkampf hatte Donald Trump diese Hoffnung noch genährt. Seitdem er jedoch im Amt ist, hat es aus Washington mehrfach Signale geben, dass die USA wie schon unter Obama auch weiter mit Sanktionen das Regime in Pjöngjang unter Druck setzen wollen.

Nun setze Pjöngjang wieder auf Provokation, vermutet Michishita. Vor einer Woche hat das Regime eine Rakete abgeschossen. Der Mord an dem Halbbruder sorge für weitere Schlagzeilen. „Kim will genug reizen, um Aufmerksamkeit zu erregen – aber nicht zu viel, um als Gesprächspartner völlig inakzeptabel zu sein und Gespräche im Keim zu ersticken, oder gar eine heftige Gegenreaktion auszulösen“, sagt Michishita. „Diese Aktionen richten sich unmittelbar an Trump.“

Trump nähert sich China an

Shinzo Abe zu Besuch bei Donald Trump.
Shinzo Abe zu Besuch bei Donald Trump. © REUTERS | JIM BOURG

Ob diese zugegeben auf verworrene Weise zugesandte Botschaft den US-Präsidenten erreichen? Beim Besuch des japanischen Premierministers Shinzo Abe vergangene Woche in den USA versicherte Trump seine Bündnistreue zu Japan und Südkorea. Und auch China scheint sich Trump anzunähern, nachdem er die Regierung in Peking im Wahlkampf noch mehrfach düpiert hatte.

Dass könnte als Zeichen gewertet werden, dass Trump nun doch auf ein gutes Verhältnis zur chinesischen Führung hofft und nicht wie bislang, ihr wegen ihres laxen Umgangs zum einstigen Bruderstaat die Schuld an Nordkoreas Atomprogramm gibt.

„Ein großes, großes Problem“

Eine Strategie, wie er das Atomprogramm Nordkoreas stoppen will, scheint Trump nicht zu haben. Selbst das Pentagon warnt, dass Nordkorea mit den jüngsten Tests große technische Fortschritte gemacht hat. Das Regime verfüge nun offenbar sogar über ein mobiles, geländegängiges Abschussgerät, von dem die Raketeten abgefeuert werden können. Das mache es schwerer, die Abschüsse vorherzusehen und darauf zu reagieren, heißt es aus dem Pentagon.

Auf die Frage, wie er auf Nordkoreas technischen Fortschritte reagieren wolle, antwortete Trump gegenüber Journalisten lediglich: „Nordkorea ist offensichtlich ein großes, großes Problem, bei dem wir sehr hart durchgreifen werden.“

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