Istanbul. Erstmals ist während des Ausnahmezustandes in der Türkei ein deutscher Journalist in Polizeigewahrsam: Deniz Yücel von der „Welt“.

Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel befindet sich seit Dienstag in türkischem Polizeigewahrsam. Das berichtet die Zeitung unter der Rubrik „In eigener Sache“ auf ihrer Website. Nach den Regeln des derzeit geltenden Ausnahmezustands kann er bis zu 14 Tage ohne Anhörung durch Richter in Gewahrsam gehalten werden. Eine Anfrage unserer Redaktion an die Chefredaktion der „Welt“ vom Freitag blieb zunächst unbeantwortet.

Den Anwälten des 43-Jährigen sei gesagt worden, dass gegen ihn wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, wegen Terrorpropaganda und wegen Datenmissbrauchs ermittelt werde.

Wohnung in Istanbul durchsucht

Dabei scheint es um gehackte E-Mails zu gehen, die vom Mailkonto von Energieminister Berat Albayrak stammen sollen, dem Schwiegersohn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Yücel hatte über die von einer Gruppe namens Redhack verbreiteten Mails zwei Artikel verfasst. Redhack gilt in der Türkei als Terrororganisation.

Der Putschversuch in der Türkei 2016

Dieses Foto entstand kurz nach Beendigung des Putschversuches am 15. Juli 2016 in der Türkei. Präsident Erdogan (M.) zeigt sich in Istanbul seinen Unterstützern.
Dieses Foto entstand kurz nach Beendigung des Putschversuches am 15. Juli 2016 in der Türkei. Präsident Erdogan (M.) zeigt sich in Istanbul seinen Unterstützern. © REUTERS | HUSEYIN ALDEMIR
Die türkische Regierung hatte wieder die Kontrolle übernommen.
Die türkische Regierung hatte wieder die Kontrolle übernommen. © REUTERS | KENAN GURBUZ
In der Nacht waren in den Straßen von Ankara und der Metropole Istanbul Panzer aufgefahren. Schüsse wurden abgegeben.
In der Nacht waren in den Straßen von Ankara und der Metropole Istanbul Panzer aufgefahren. Schüsse wurden abgegeben. © REUTERS | TUMAY BERKIN
Menschen kletterten auf Panzer und schwenken Türkei-Flaggen.
Menschen kletterten auf Panzer und schwenken Türkei-Flaggen. © Getty Images | Gokhan Sahin
In Istanbul wurden an der Bosporus-Brücke Wasserwerfer eingesetzt, ...
In Istanbul wurden an der Bosporus-Brücke Wasserwerfer eingesetzt, ... © REUTERS | MURAD SEZER
... um gegen die Putschisten vorzugehen.
... um gegen die Putschisten vorzugehen. © Getty Images | Gokhan Tan
Später prügelten Menschen auf die Putschisten ein. Soldaten versuchen, sich vor dem Mob in einen Bus zu retten.
Später prügelten Menschen auf die Putschisten ein. Soldaten versuchen, sich vor dem Mob in einen Bus zu retten. © REUTERS | MURAD SEZER
Die Soldaten, die in den Putsch verwickelt waren und festgenommen wurden, mussten Klamotten und Waffen auf den Boden legen.
Die Soldaten, die in den Putsch verwickelt waren und festgenommen wurden, mussten Klamotten und Waffen auf den Boden legen. © Getty Images | Gokhan Tan
In Istanbul trauten sich die Menschen wieder auf die Straße.
In Istanbul trauten sich die Menschen wieder auf die Straße. © dpa | Tolga Bozoglu
Auf der Bosporus-Brücke in Istanbul versammelten sich unzählige Menschen.
Auf der Bosporus-Brücke in Istanbul versammelten sich unzählige Menschen. © Getty Images | Burak Kara
Einige machten vor den Panzern Selfies.
Einige machten vor den Panzern Selfies. © REUTERS | MURAD SEZER
Andere kletterten auf die zurückgelassenen Militärfahrzeuge.
Andere kletterten auf die zurückgelassenen Militärfahrzeuge. © Getty Images | Gokhan Tan
Das Parlamentsgebäude in Ankara wurde bei den Ausschreitungen teilweise zerstört.
Das Parlamentsgebäude in Ankara wurde bei den Ausschreitungen teilweise zerstört. © dpa | Str
Fotos zeigen Trümmer, zerborstene Scheiben und Schäden am Mauerwerk.
Fotos zeigen Trümmer, zerborstene Scheiben und Schäden am Mauerwerk. © REUTERS | STRINGER
Die Putschisten hatten eine Bombe im türkischen Parlament gezündet.
Die Putschisten hatten eine Bombe im türkischen Parlament gezündet. © imago/Depo Photos | imago stock&people
Nicht nur Anhänger Erdogans, sondern auch breite Teile der Bevölkerung stellten sich in der Nacht gegen die Putschisten.
Nicht nur Anhänger Erdogans, sondern auch breite Teile der Bevölkerung stellten sich in der Nacht gegen die Putschisten. © REUTERS | STRINGER
Die Panzer schmückten sie mit Bildern von Erdogan.
Die Panzer schmückten sie mit Bildern von Erdogan. © REUTERS | TUMAY BERKIN
Am Taksim-Platz in Istanbul wurde eine große Türkei-Flagge ausgebreitet.
Am Taksim-Platz in Istanbul wurde eine große Türkei-Flagge ausgebreitet. © dpa | Uygar Onder Simsek
Zuvor war der Platz noch bewacht worden.
Zuvor war der Platz noch bewacht worden. © REUTERS | MURAD SEZER
Am Abend des 15. Juli hatten Teile des türkischen Militärs einen Putschversuch unternommen.
Am Abend des 15. Juli hatten Teile des türkischen Militärs einen Putschversuch unternommen. © REUTERS | MURAD SEZER
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte dem Sender NTV am gleichen Abend, die Sicherheitskräfte täten alles Notwendige, um die Situation zu entschärfen.
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte dem Sender NTV am gleichen Abend, die Sicherheitskräfte täten alles Notwendige, um die Situation zu entschärfen. © REUTERS | UMIT BEKTAS
Soldaten hatten beide Bosporus-Brücken in Istanbul abgesperrt.
Soldaten hatten beide Bosporus-Brücken in Istanbul abgesperrt. © Getty Images | Gokhan Tan
Die Brücken verbinden die asiatische mit der europäischen Seite der Türkei.
Die Brücken verbinden die asiatische mit der europäischen Seite der Türkei. © Getty Images | Gokhan Tan
Der türkische Präsident Erdogan rief über FaceTime am Abenddas Volk dazu auf „sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln“.
Der türkische Präsident Erdogan rief über FaceTime am Abenddas Volk dazu auf „sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln“. © Getty Images | Burak Kara
Der Putschversuch in der Türkei ging nach Darstellung von Präsident Recep Tayyip Erdogan von einer Minderheit in der Armee aus.
Der Putschversuch in der Türkei ging nach Darstellung von Präsident Recep Tayyip Erdogan von einer Minderheit in der Armee aus. © REUTERS | MURAD SEZER
Die Putschisten hatten eine Ausgangssperre im ganzen Land verhängt.
Die Putschisten hatten eine Ausgangssperre im ganzen Land verhängt. © REUTERS | STRINGER
Auf den Straßen in Istanbul waren Panzer zu sehen.
Auf den Straßen in Istanbul waren Panzer zu sehen. © REUTERS | STRINGER
Protestanten erklommen die Panzer.
Protestanten erklommen die Panzer. © REUTERS | STRINGER
Auch in Ankara waren Panzer unterwegs.
Auch in Ankara waren Panzer unterwegs. © Getty Images | Gokhan Sahin
Ein Mann versuchte mit allen Mitteln, einen Panzer am Atatürk-Flughafen zu stoppen.
Ein Mann versuchte mit allen Mitteln, einen Panzer am Atatürk-Flughafen zu stoppen. © REUTERS | STRINGER
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Yücel besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Aus Sicht der türkischen Behörden ist er damit ein einheimischer und kein ausländischer Journalist. Nach Angaben der „Welt“ wurde Yücels Istanbuler Wohnung durchsucht, nachdem der Korrespondent sich der Polizei gestellt hatte.

Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, hatte in den vergangenen Monaten laut Eigenangaben immer wieder Kontakt mit dem Journalisten Yücel. „Mich hat verwundert, dass er plötzlich bei Facebook verstummte.“ Er hatte gehofft, dass Deutschland den Korrespondenten auf diplomatischen Wege zurück in die Bundesrepublik holt.

Der Erdogan-Kritiker Toprak sieht im Fall Yücel den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung, die sich schon seit 2015 abzeichnet. „Das Land wurde immer autoritärer. Spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch gibt es kaum noch kritische Medien“, so Toprak. Journalisten, die kritisch über die Türkei berichteten, prägten auch die öffentliche Meinung in Deutschland – und eben das wolle Erdogan unterbinden. „Auch deutsche Journalisten sollen eingeschüchtert werden und mundtot gemacht. Mit der Aktion wird ein Exempel statuiert.“

In der Türkei sitzen zahlreiche regierungskritische Journalisten unter Terrorvorwürfen in Haft. Menschenrechtsorganisationen halten die Anschuldigungen häufig für konstruiert und für politisch motiviert. Die Regierung weist solche Kritik zurück.

Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) übt Kritik. „Es zeigt, dass Präsident Erdogan versucht, den Ausnahmezustand zu missbrauchen, um unliebsame Berichterstattung unmöglich zu machen“, sagte der DJV-Vorsitzende Frank Überall der Deutschen Presse-Agentur. „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie den Fall aufgreift und ihre diplomatischen Kanäle nutzt, um unseren Kollegen zu schützen.“

Ankara weist Kritik zurück

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte in der vorvergangenen Woche bei einem Besuch in Ankara gesagt, sie habe mit Erdogan „sehr ausführlich“ über das Thema Pressefreiheit gesprochen. Sie habe außerdem auf die Akkreditierungen deutscher Journalisten in der Türkei hingewiesen „und auf verschiedene Fälle, wo wir uns auch durchaus Sorgen machen“. Die Regierung in Ankara weist Vorwürfe, sie schränke die Pressefreiheit ein, regelmäßig zurück.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. (mit Material dpa)