Berlin. Merkel wirkt gegenüber dem kämpferischen Schulz kraftlos. Der neue Wettkampf ist vor allem eine gute Nachricht für alle Demokraten.

Dieser Aufschwung hat alle überrascht: Ausmaß und Tempo, mit dem die SPD unter ihrem neuen Spitzenmann Martin Schulz in den Meinungsumfragen nach oben schießt, macht Demoskopen ratlos, die Konkurrenz fassungslos – und die eben noch abgeschlagene SPD in ihren Erwartungen schon fast hemmungslos. Was Schulz in 14 Tagen geschafft hat, ist lange keinem SPD-Kanzlerkandidaten mehr gelungen: Er hat mit einem Befreiungsschlag seiner depressiven Partei neuen Mut eingeblasen und die Stimmung im Land massiv verändert. Es bewegt sich was.

Sicher, ob dieser Aufschwung anhält, ist ungewiss. Schulz profitiert vom Reiz des Neuen, er reitet auf einer Gefühlswelle, inhaltlich hat er noch kein scharfes Profil – deshalb eignet sich der Kandidat jetzt als Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Erwartungen. Aber diese Einwände sind doch kein Trost für Kanzlerin Merkel und ihre Union. Im Gegenteil: Es genügt also schon ein neues Gesicht und ein kraftvoller, emotionaler Auftritt, damit überraschend viele Wähler bereit sind, sich von Merkel abzuwenden.

Plötzlich erscheint Merkel angreifbar

Der Verdruss über die Regierungschefin ist nach Flüchtlingskrise und Dauerstreit in der Union offenbar größer als bislang geahnt. Er blieb nur unter der Oberfläche, weil die Wähler im bisherigen SPD-Chef Gabriel keine attraktive Alternative sehen mochten. Jetzt plötzlich erscheint Merkel angreifbar. Dass aus dem Verdruss eine stabile Wechselstimmung wird, die ihr wirklich gefährlich würde, ist noch nicht ausgemacht. Ausgeschlossen ist es nicht. Manches erinnert an das Jahr 1998, als die Wähler des gefühlt schon ewig regierenden Kanzlers Kohl einfach überdrüssig waren. Auch mit Merkel wird kein Aufbruch mehr verbunden. Gegen den frischen, kämpferischen SPD-Kandidaten wirkt sie plötzlich kraftlos.

Es wird das Kunststück für die SPD-Strategen sein, diesen Eindruck über sieben lange Monate zu erhalten. Aber wie? Sobald sich Schulz inhaltlich festlegt, wird er angreifbar. Und wenn der Umfrage-Hype anhalten sollte, muss er auch beantworten, mit welchem Bündnispartner er als Kanzler eigentlich regieren würde: Gewiss, Schulz könnte mutig den Anspruch erheben, eine große Koalition anzuführen.

CSU plant Lagerwahlkampf

Auch ein Bündnis mit Grünen und FDP könnte eine Option werden. Aber in der SPD gibt es doch unübersehbar eine Bewegung hin zu einer rot-rot-grünen Koalition: Eine Aussicht, die viele Schulz-Sympathisanten am Ende wieder verprellen dürfte. Ist einer Mehrheit ein solches rot-rot-grünes Experiment ausgerechnet in diesen unsicheren Zeiten zu vermitteln, in denen die internationale Verantwortung einer Bundesregierung größer wird denn je?

Die CSU plant vor diesem Hintergrund schon einen Lagerwahlkampf. Merkel setzt wohl darauf, dass bei vielen Bürgern schließlich das Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit den Ausschlag gibt – und die Mehrheit wählt, wen sie schon kennt. Nur, verlassen kann sich die Union darauf nicht. Merkel hat allen Grund, alarmiert zu sein. Die kleinen Parteien, die im Duell von Kanzlerin und Herausforderer an Zustimmung verlieren, übrigens auch.

Gute Nachricht für alle Demokraten

Nichts scheint mehr unmöglich. Selbst wenn sich das Umfragehoch der SPD abschwächen sollte – zurück in den 20-Prozent-Keller fällt die Partei wohl nicht mehr. Mit den vorerst selbstbewussten und geschlossenen Sozialdemokraten ist wieder zu rechnen. Die Bundestagswahl wird, so oder so, also doch spannend.

In Zeiten populistischer Gefährdungen sollte das für alle Demokraten, ganz unabhängig von der Parteipräferenz, eine gute Nachricht sein: Es gibt bei dieser Wahl wieder einen echten Wettbewerb.