Paris. Bei seiner ersten Auslandsreise irritiert Außenminister Gabriel seine Diplomaten. Und legt dann in Paris einen souveränen Auftritt hin.

So hatten sich die Diplomaten des Auswärtigen Amtes die Auslandsreisen ihres neuen Ministers nicht vorgestellt. Ein Dutzend Ministeriale sollen Sigmar Gabriel zu seinem ersten offiziellen Antrittsbesuch nach Paris begleiten, doch die Anfahrt zum Regierungsflieger dauert länger als der Flug nach Frankreich: Der Diplomatentross fährt erst um 5.31 Uhr mit dem Frühzug von Berlin nach Wolfsburg, dann in einer Taxikolonne weiter zum Regionalflughafen Braunschweig.

Dort wartet auf Gabriels Anordnung der Regierungsairbus – von seinem Zuhause in Goslar sind es nur 40 Minuten Autofahrt nach Braunschweig, auch für die Bundeswehrmaschine ist der Weg vom Heimat-Airport Köln kürzer als nach Berlin. Was Gabriel unterschätzt: Der Tross eines Außenministers ist ziemlich groß. Seine Begleiter, unter ihnen hochrangige Spitzenbeamte, reisen teils mit hochgezogenen Augenbrauen und leisem Kopfschütteln an – mancher fürchtet, künftig öfter über Niedersachsen in die Welt fliegen zu müssen.

Die deutsch-französische Achse will Gabriel verstärken

Lange dauert die Verstimmung nicht. Als der Außenminister realisiert, dass die für ihn familienfreundliche Reiseplanung eine Zumutung ist, verspricht er schnell, der Delegationsabflug in Heimatnähe werde eine Ausnahme bleiben. So einfach ist die Rücksicht auf Frau und Tochter also auch künftig nicht. Doch die Diplomaten sind schnell versöhnt. Zwei Stunden später erleben sie in Paris einen Außenminister, der einen überzeugenden Start im neuen Amt hinlegt und ziemlich genau den richtigen Ton trifft.

Das Treffen mit seinem französischen Amtskollegen Jean-Marc Ayrault verläuft mehr als harmonisch, es ist freundschaftlich. Dass ein deutscher Außenminister zuerst nach Frankreich fährt, hat Tradition. Aber Gabriel gelingt es schon am ersten Tag, in den routinierten deutsch-französischen Beziehungen noch einen Gang hochzuschalten: Um die enge Abstimmung beider Länder zu verbessern, vereinbart er mit Ayrault den schnellen Aufbau bilateraler Teams in beiden Ministerien, die sich ständig zu zentralen Themen wie den Beziehungen zu den USA oder Russland, der Nahost-Krise oder der künftigen EU-Außenpolitik abstimmen.

Paris und Berlin sollen mit einer Stimme sprechen

Das Ziel: Deutschland und Frankreich sollen möglichst oft mit einer Stimme sprechen, nicht nur in der EU, sondern auch in internationalen Organisationen wie den UN oder bei Klimaverhandlungen, erklärt Gabriel nach dem Gespräch. „Wenn Deutschland und Frankreich in die gleiche Richtung schauen und denken, dann schreitet Europa voran“, sagt Ayrault.

Beispiel Sanktionen gegen Russland: Moskau könne erst mit einer Lockerung rechnen, wenn es Fortschritte im Minsker Friedensprozess für die Ukraine gebe, versichern beide. Sie vereinbaren auch gemeinsame Reisen. Gabriel und Ayrault demonstrieren ohnehin tiefe Vertrautheit. Der bisherige SPD-Chef und der frühere Fraktionschef der französischen Sozialisten kennen sich seit über zehn Jahren, Gabriel nennt den Kollegen einen „Freund“.

Ayrault freut sich über Gabriels Besuch

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (r.) kennt seinen französischen Amtskollegen Ayrault bereits seit Jahren.
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (r.) kennt seinen französischen Amtskollegen Ayrault bereits seit Jahren. © dpa | Kay Nietfeld

Der überschüttet den „lieben Sigmar“ auf Deutsch mit einer Lobeshymne und dem Dank, dass er nicht einmal 24 Stunden nach seiner Ernennung nach Paris gekommen sei. Gabriels Augen blitzen, er schluckt, ist sichtlich bewegt. Dann macht er klar, dass er die deutsch-französischen Beziehungen als Motor und Ideengeber in der EU weiter vorantreiben will.

Gabriel ruft die Europäer zu einem selbstbewussten Auftreten auch gegenüber den USA auf. „Wir haben keinen Grund zur Unterwürfigkeit oder Zurückhaltung“, sagt er. Deutschland und Frankreich wollten die Kooperation, aber es komme darauf an, „dass Europa eine eigene Position hat“.

Gabriel will Schulz nicht in die Quere kommen

Es ist für Gabriel ein souveräner Auftakt, der den Stil des neuen Außenministers schon erkennen lässt: Ein wenig emotionaler ist er als der eher nüchterne Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, wohl auch etwas klarer in der Aussage – aber nicht weniger diplomatisch. Gabriel hat sich beeilt mit der ersten Reise, um den Rollenwechsel ins Außen-Fach schnell zu absolvieren. Er will dem designierten SPD-Chef und Kanzlerkandidaten Martin Schulz innenpolitisch nicht in die Quere kommen.

Aber er will wohl auch rasch aufräumen mit dem Verdacht, dass jetzt ein unbeherrschter Polterer auf die internationale Bühne stolpert. Von den Klischees, die Gabriel angeheftet werden, ist dies mit das unsinnigste. Tatsächlich ist der Außenminister international erfahren und gut vernetzt. In Frankreich verbindet ihn nicht nur mit Ayrault eine Freundschaft, er hat auch einen engen Draht zu Präsident François Hollande.

Gabriel wirkt gut gelaunt

Und auch in anderen Ländern ist das Netzwerk ordentlich – Russlands Außenminister Sergej Lawrow etwa kennt er gut. So gibt sich Gabriel jetzt zwar hinreichend demütig im neuen Amt, doch in Wahrheit tritt er in gelassenem Selbstbewusstsein an – und wohl schon mit der Hoffnung, auch nach der Bundestagswahl Außenminister bleiben zu können. Zumindest bei einer Neuauflage der Großen Koalition stehen die Chancen dafür gut.

Außenminister Gabriel in Paris

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    So wirkt Gabriel auf seiner ersten Reise nicht nur gut gelaunt und erleichtert, sondern auch überaus ambitioniert. Umfassende Reisepläne werden vorbereitet: am Dienstag Brüssel, rasch Osteuropa. Möglichst schnell, vielleicht kommende Woche schon, will er nach Washington fliegen. Der Besuch in den USA, ein Treffen mit dem designierten Außenminister Rex Tillerson, ist Gabriel sehr wichtig. Er wirbt dafür, die Hand ausgestreckt zu lassen für eine respektvolle Zusammenarbeit. Das transatlantische Verhältnis soll eine der Säulen der deutschen Außenpolitik bleiben.

    Zusammenhalt in der EU zentrales Thema

    Ein frisch bestallter Außenminister, der nach Monaten besorgter Ungewissheit in Berlin die Brücken baut zur Trump-Regierung – das wäre ein gelungener Aufschlag in Gabriels neuer Diplomatenrolle. Zeitraubender wird wohl die Europapolitik, schon wegen der Brexit-Verhandlungen.

    Gabriel will den Zusammenhalt der EU zu einem seiner Schwerpunkte machen. „Nichts ist wichtiger als die Einheit zu bewahren“, erklärt er in Paris. Mit der Präsidentschaftswahl in Frankreich, bei der ein Sieg der rechtsextremen Marine le Pen möglich ist, gehe es dieses Jahr für Europa ums Ganze, sagt Gabriel.

    Gabriel will sich nicht in Wahlkampf einmischen

    Er will vor der Wahl an den Stolz der Franzosen appellieren, die doch die EU mitgegründet haben. Aber direkt in den Wahlkampf einmischen wird er sich nicht. Das ist nun Sache des künftigen SPD-Chefs Schulz, nicht seine, macht Gabriel klar. Er wirkt dabei, als wenn er mit dieser Aussicht sehr zufrieden ist.