Berlin/Hannover. Auch deutsche Frauen schließen sich den Terroristen des IS an. Die meisten erziehen ihre Söhne zu Kämpfern. Safia S. wurde gewalttätig.

Die Frauen wollen den Kampf gegen die Ungläubigen nicht ihren Männern überlassen. Also organisieren sie sich. Über die sozialen Netzwerke suchen sie Anhänger, die Bücher von radikalen Predigern übersetzen, die Bilder für ihre Propaganda im Internet gestalten und salafistische Botschaften auf Facebook oder Telegram posten. „Noorul Huda Media“ nennen die jungen Frauen ihr Team, das nach eigenen Angaben aus 30 Mitgliedern besteht. Über ihre Kanäle werben sie auch für Predigten des Islamisten „Abu Walaa“, der kürzlich verhaftet wurde. Ihm wird vorgeworfen, die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ zu unterstützen.

In ihrer Gruppe zitieren die Frauen den radikalen Prediger Salah Ad-Din Ayyubi: „Denke daran dass kein Kafir jemals der Freund von irgendeinem Muslim sein kann.“ Sie übersetzen Schriften von al-Qaida-Funktionär Anwar al-Awlaki. Hass säen, die Gesellschaft aufteilen in Gläubige und Ungläubige, die salafistischen „Schwestern“ stärken – das ist eines der Ziele, die sich „Noorul Huda Media“ gesteckt hat. Die Schwestern kämpfen nun ihren eigenen Dschihad, mit Worten. Nicht mit Gewalt.

Safia S. ging weiter.

Im Februar 2016 hatte das Mädchen im Hauptbahnhof Hannover einen Polizisten mit einem Messer schwer verletzt. Safia war da gerade 15 Jahre alt. Es war das brutale Ende einer langen Karriere der Radikalisierung, die schon mit sieben Jahren an der Seite ihrer Mutter und des Islamisten Pierre Vogel begonnen hatte. Safia S. gilt zudem als Sympathisantin der Terrororganisation „Islamischer Staat“. Ein Gericht in Celle verurteilte das Mädchen zu sechs Jahren Haft. Auf Facebook hatten Unterstützernetze Soplidarität ausgedrückt.

Ein Fünftel der ausgereisten Islamisten sind Frauen

Allein die Bundesanwaltschaft hatte im vergangenen Jahr rund 240 Verfahren eingeleitet. Bei den meisten geht es um islamistisch motivierten Terror. Fast alle Angeklagten sind Männer. Der Prozess gegen Safia S. ist eine Ausnahme. Und doch spielen die Frauen in der islamistischen Szene eine wichtige Rolle: Sie vernetzen sich in Deutschland und über das Internet, rekrutieren neue Szene-Mitglieder, sie dienen den Männern, den „Märtyrern“ und „Löwen“, erziehen ihre Kinder nach den Regeln der Scharia.

Junge Islamistinnen sind „extremistische Familienarbeiterinnen“, sagt Diana Schubert, Geschäftsführerin vom Kriminalpräventiven Rat Augsburg, die derzeit an einem Präventions-Projekt für junge Frauen arbeiten. Der Verfassungsschutz warnt: Dschihadistinnen werben online Frauen für den IS an. Auch Safia S. schaffte es schon bis in die Türkei.

Kriminalpolizisten analysierten die Biografien von Hunderten Islamisten, die aus Deutschland nach Syrien ausreisten. 21 Prozent waren Frauen, im Durchschnitt 23 Jahre alt, mehr als die Hälfte hat schon ein oder mehrere Kinder. Aber 13 Prozent waren noch nicht einmal 18. Doch was die Frauen in Syrien machen, darüber wissen die Sicherheitsbehörden wenig. Ermittler haben keine Beweise, dass sich eine Deutsche an Kämpfen für den IS beteiligt hat. Sie wissen auch nicht, ob eine Ausreisende in Syrien durch Angriffe der Alliierten gestorben ist. Die Erkenntnisse sind dünn. Aber Gespräche mit Sozialwissenschaftlern, Polizisten und auch Szene-Mitgliedern geben einen Einblick in die Welt der „Schwestern im Dschihad“.

Frauen stehen in der Propaganda für den Aufbau der „Ummah“

In der siebten Ausgabe des IS-Propaganda-Magazins „Dabiq“ interviewen die Terroristen angeblich die Frau des französischen Attentäters Amedy Coulibaly, der bei einer Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt in Paris vier Menschen ermordete. „Meine Schwestern, seid die Basis für die Hilfe und die Sicherheit eurer Männer, Brüder und Söhne“, ruft Umm Basir al-Muhajirah aus. „Mache es ihnen in jeder Hinsicht bequem.” In der elften Ausgabe von „Dabiq“ schreibt eine Islamistin unter der Überschrift „Ein Dschihad ohne Kampf“ ihren „Schwestern“: Zwar hätten Musliminnen keine Pflicht zum Dschihad oder Krieg, außer zur Selbstverteidigung, doch das schmälere nicht ihre Rolle beim Aufbau der „Ummah“, der Gemeinschaft der Muslime: „Männer produzieren, und diese auszusenden in die Härte der Schlacht“.

In dem Messenger-Kanal „Tagebuch einer Muhajira“ postete mutmaßlich eine Islamistin quasi im Live-Blog aus dem IS-Gebiet. Mal geht es in ihren Nachrichten an die „Schwestern in Deutschland“ um das Wetter oder das Essen. „Man hat nicht immer Strom und Wasser, im Sommer ist es sehr heißt und im Winter sehr kalt.“ Jannah, das Paradies, gebe es „nicht umsonst“. Dann wieder verteidigt der Kanal Gewalt: Das Nehmen „von Sklaven durch den Krieg ist ein Teil unserer Religion und wurde so vom Propheten“ praktiziert.

Parfüm ohne Alkohol in Online-Shops

Das „Tagebuch“ ist nur eine von Hunderten Medien, in denen sich die islamistische Szene in Deutschland sammelt und auch um Frauen wirbt. In offenen und geschlossenen Facebook-Gruppen schaffen sich junge Frauen ihre isolierte Welt nach den Gesetzen der Scharia. Online-Shops bieten Niqab-Gewänder in vielen Farben oder Parfüm ohne Alkohol an. „Schwestern“ organisieren ihre eigenen „Spenden-Galas“, treffen sich in Restaurants oder Gewerbehallen und versteigern Schmuck und Handys für Kinder in Syrien. Als noch 2014 Hunderte Islamisten aus Europa weitestgehend ohne Verfolgung durch Polizei oder Justiz aus Europa in den „Heiligen Krieg“ zogen, bot die Webseite „Jihad Matchmaker“ jungen Frauen online Ehen mit Dschihadisten in Syrien an.

Mittlerweile reist kaum noch jemand aus. Die Sicherheitsbehörden haben (wenn auch spät) reagiert, und Syrien ist durch die Angriffe der Alliierten längst lebensgefährlich. Auch in Deutschland ist die Szene unter Druck: Vereinsverbote, Razzien, Inhaftierungen und Prozesse haben den Salafisten in Deutschland ihre führenden Köpfe genommen. Jetzt sitzt auch Safia S. für sechs Jahre im Gefängnis. „Free Safia“, heißt es auf einer Webseite. „Solidarität mit unserer Schwester“. Hinter dem Schriftzug die schwarze Silhouette einer jungen Muslimin mit Kopftuch. Gerade 16 Jahre alt ist Safia S. für die neue Generation der Islamisten eine Ikone.

Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden über Frauen beim IS sind dünn

Eine Frau aus der alten Garde der Dschihadistinnen bittet in ihre Wohnung im Berliner Stadtteil Spandau, zumindest in den Flur, die Nachbarn müssen ja nicht alles mitbekommen. An der Eingangstür hängt ein Schild: „Willkommen“. Sabine Kretschmann, die eigentlich anders heißt, konvertierte zum Islam, besuchte die berüchtigte Al-Nur-Moschee in Neukölln – und reiste schon 2009 mit ihrem Ehemann in den Dschihad, nach Waziristan, das Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan, dort, wo vor dem Krieg in Syrien das Schlachtfeld des „Heiligen Krieges“ lag. Al-Qaida und andere Terrorgruppen betrieben dort Ausbildungscamps, um die Taliban im Kampf gegen die von den USA geführten Truppen im Afghanistan-Krieg zu unterstützen. Was Sabine Kretschmann dort genau unternahm, ist unklar.

Kretschmanns Ehemann sitzt in Untersuchungshaft, angeklagt wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung. Sie trägt ein braunes Gewand und ein leuchtend blaues Kopftuch, aber keine Ganzkörperverschleierung und noch nicht einmal einen Gesichtsschleier. Ihre blauen Augen schauen einen direkt und freundlich an, in einem Nachbarzimmer spielen zwei Kinder. Später sollen Kretschmann und ihr Mann auch in Syrien gewesen sei. Doch über all das spricht die junge Mutter nicht. Sie sagt nur: Ihre Kinder seien „auf dem Boden der Ehre“ zur Welt gekommen. Und die heute 25-Jährige sagt, dass sie damals „sehr jung“, „sehr naiv“ und „sehr emotional“ gewesen sei. „Jetzt ist es Zeit für ein neues Kapitel.“ Deshalb bittet sie immer wieder, doch bitte den Nachbarn nichts zu erzählen.

Der Dschihad ist auch eine Flucht vor Konflikten

Und überhaupt: Was denn falsch daran sei, wenn sich Muslime auf „den Kern“ und „die Ursprünge“ ihrer Religion besinnen würden, fragt sie. Das klingt harmlos. Doch die Rückbesinnung auf den vermeintlichen „Ursprung“ der Religion – das ist eine Chiffre zur Umschreibung der Ideologie des Salafismus, jener Ideologie also, die sich auch die Dschihadisten-Szene auf die Fahne geschrieben hat. Dass Sabine Kretschmann mit „den Muslimen“ nicht die Millionen Muslime meint, die in Deutschland völlig unauffällig leben und ihre Religion eher im Privaten halten, wird in dem Gespräch schnell klar.

Könne man ausführlich sprechen? Sabine Kretschmann überlegt. Die Medien würden ja so vieles verdrehen, beklagt sie sich. Und, sicher, der IS lege die Religion „sehr extrem“ aus. Man dürfe aber nicht alles über einen Kamm scheren und müsse den Muslimen einfach mal zuhören. Es wäre ihr lieber, man würde jetzt ihre Wohnung verlassen.

Die Berlinerin komme aus einfachen, reichlich zerrütteten Familie, heißt es. Und sie hatte, wie so viele, die den gleichen Weg einschlugen, offenbar das Gefühl, in ihrem Umfeld, in der „westlichen“ Gesellschaft, keinen Platz zu finden. Menschen wie Schubert aus Augsburg und Claudia Dantschke, Leiterin der Beratungsstelle Hayat, sehen sehr häufig diese Motive. Beide arbeiten auch mit radikalisierten jungen Frauen und deren Familien. Die Reise in den Dschihad ist oft auch eine Flucht: vor Konflikten mit den Eltern, vor schlimmen Erfahrung wie Mobbing und Rassismus, vor der Langeweile der Jugend, vor dem eigenen Versagen in Deutschland. Die Flucht in die arrangierte Ehe mit einem Dschihadisten. „Märtyrerwitwe“ gilt in der Propaganda noch immer als eines der höchsten Ziele.

Frauen leben beim IS ihre Allmachtfantasien aus

Bei Mädchen bis 18 Jahre spielen vor allem Abenteuerlust und Rebellion gegen Eltern oder Lehrer eine Rolle bei den Motiven für ihren Weg in den Dschihad, sagt Schubert. Bei den älteren Frauen auch Scheitern in der Schule oder im Beruf. Die radikalen Salafisten bieten einen Ausweg. Auf den ersten Blick, jedenfalls. Organisationen wie der IS würden sich als „elitäre islamistische Bewegung ausgeben“, sagt Schubert. Sie nennt den IS nur „Daesh“, weil sie nicht von einem Staat sprechen will. Junge Frauen leben wie die Männer ihre Allmachtphantasien aus: die „Auserwählten“ gegen die „Ungläubigen“.

Mutlu Günal, Anwalt der Angeklagten Safia S., will Revision:“Radikale Attentäter haben sich, glaube ich, noch nie bei ihren Opfern entschuldigt.“ 15-jährige Teaanger könnten noch keine gefestigten Einstellungen haben, sagte er.
Mutlu Günal, Anwalt der Angeklagten Safia S., will Revision:“Radikale Attentäter haben sich, glaube ich, noch nie bei ihren Opfern entschuldigt.“ 15-jährige Teaanger könnten noch keine gefestigten Einstellungen haben, sagte er. © dpa | Holger Hollemann

Sicherheitsleute und Wissenschaftler stellen Unterschiede zwischen Islamistinnen wie Kretschmann und Safia S. fest: zwei Generationen des Dschihads. Die Älteren, noch geschult in radikalen Lesarten des Korans, zogen häufig Seite an Seite mit ihrem Mann los. Jetzt werden Islamistinnen jünger, radikalisieren sich oft allein, immer weniger in Moscheen, häufiger in Internet-Foren, in Chats oder auf Facebook. Und sie haben immer weniger Wissen über den Islam.

Experten kennen Berichte über Vergewaltigungen

Naivität präge auch das Bild vom Leben im „Islamischen Staat“, sagt Dantschke von Hayat. Seit vielen Jahren betreut ihr Verein auch Eltern, hört Geschichten deren Töchter, die in Syrien sind. Bekannt wurden die sogenannten „Frauenhäuser“ des IS, in denen neu Ankommende auf ihre Heirat mit einem Kämpfer warten. Das seien „eher Frauengefängnisse“, sagt Dantschke. Die Mädchen müssten gleich am Anfang ihre Handys abgeben. Es gebe Berichte über zu wenig Essen für die Kinder, überall solle es schmutzig sein. „Irgendwann wollen die jungen Frauen da nur noch raus.“ Dantschke hörte Berichte über Vergewaltigungen von Frauen in ihren Ehen, Kämpfer halten sich Frauen als „Sex-Sklavinnen“. Dantschke ergänzt: „Wir wissen von einer deutschen Ausreisenden, dass sie so verzweifelt war und sich das Leben nehmen wollte.“

Wollen die jungen Frauen zurück nach Deutschland, haben sie kaum eine Chance. Eine allein reisende Frau fällt den Scharia-Wächtern sofort auf. Die Preise für Schleuser aus Syrien in die Türkei seien drastisch angestiegen, sagt Dantschke. Der IS übe zudem heftigen psychischen Druck auf: „Sie sagen den Mädchen, dass ihnen dort zehn Jahre Haft blühe. Und dass sie zum Christentum gezwungen würden.“

Die einstige Vorstellung, sich als Lehrerin, Krankenschwester oder Propaganda-Aktivistin für den IS einzusetzen, erfülle sich nur in sehr wenigen Fällen, sagt auch Schubert vom Kriminalpräventiven Rat Augsburg. „Viele Mädchen kommen depressiv zurück aus dem Kriegsgebiet“, sagt sie. Manche leiden unter Vitaminmangel. Ihnen fehlte Sonne. Die Kämpfer des IS ließen sie nie aus ihren Häusern.