London. Wie geht es weiter mit dem Brexit? Das oberste Gericht Großbritanniens stellt an diesem Dienstag die Weichen. Die wichtigsten Punkte.

Heikler Verfassungsstreit: Das höchste britische Gericht wird an diesem Dienstag verkünden, ob die Regierung den Brexit ohne Einschaltung des Parlaments in Gang setzen darf. Das Urteil des Supreme Courts in London dürfte vor allem Einfluss auf den Zeitplan der Trennung von der Europäischen Union haben.

Um was geht es vor Gericht?

Die entscheidende Frage lautet: Benötigt die Regierung die Zustimmung der Parlamentarier, bevor sie die Erklärung zum Austritt aus der Europäischen Union in Brüssel einreicht? Auch die Regionalparlamente von Schottland, Wales und Nordirland fordern ein Mitspracherecht.

Ein Urteil des High Courts hatte dem Parlament zuvor das letzte Wort über die Austrittserklärung zugesprochen. Premierministerin Theresa May hatte dagegen Berufung eingelegt. Britische Medien gehen davon aus, dass das erste Urteil bestätigt wird.

Das sind die möglichen Folgen

Die Regierung befürchtet in dem Fall zweierlei: Zum einen könnte der Brexit möglicherweise inhaltlich etwas aufgeweicht werden, da das Parlament mehrheitlich als EU-freundlich gilt. Zum anderen könnte der Zeitplan durcheinandergeraten. Für diesen Fall hat die Regierung den Berichten zufolge einen sehr kurzen Gesetzestext vorbereitet, der schnell durch das Parlament gebracht werden soll.

Brexit-Befürworter bejubeln ihren Sieg

Die Entscheidung ist gefallen: Die Mehrheit der Briten hat beim Brexit-Referendum für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gestimmt.
Die Entscheidung ist gefallen: Die Mehrheit der Briten hat beim Brexit-Referendum für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gestimmt. © REUTERS | NEIL HALL
Überall auf den Straßen Londons ...
Überall auf den Straßen Londons ... © Getty Images | Chris J Ratcliffe
... jubeln die Brexit-Befürworter.
... jubeln die Brexit-Befürworter. © imago | Kyodo News
51,9 Prozent der Briten haben für den Austritt aus der EU gestimmt, lediglich 48,1 Prozent für den Verbleib. Insgesamt votierten 17.410.742 Wähler beim EU-Referendum für den Brexit, 16.141.241 fürs Drinbleiben.
51,9 Prozent der Briten haben für den Austritt aus der EU gestimmt, lediglich 48,1 Prozent für den Verbleib. Insgesamt votierten 17.410.742 Wähler beim EU-Referendum für den Brexit, 16.141.241 fürs Drinbleiben. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
Nach Ansicht des führenden Vertreters des Brexit-Lagers, Boris Johnson, dürfte sich kurzfristig nichts ändern. Es gebe keinen Grund zur Eile, sagt der frühere Londoner Bürgermeister.
Nach Ansicht des führenden Vertreters des Brexit-Lagers, Boris Johnson, dürfte sich kurzfristig nichts ändern. Es gebe keinen Grund zur Eile, sagt der frühere Londoner Bürgermeister. © REUTERS | POOL
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach der Brexit-Entscheidung Großbritanniens für einen EU-Austritt zu Ruhe und Besonnenheit aufgerufen. Es dürfe jetzt keine schnellen und einfachen Schlüsse geben, sagte sie am Freitag in Berlin.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach der Brexit-Entscheidung Großbritanniens für einen EU-Austritt zu Ruhe und Besonnenheit aufgerufen. Es dürfe jetzt keine schnellen und einfachen Schlüsse geben, sagte sie am Freitag in Berlin. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
„Der heutige Tag ist ein Einschnitt für Europa, er ist ein Einschnitt für den europäischen Einigungsprozess“, sagte Merkel.
„Der heutige Tag ist ein Einschnitt für Europa, er ist ein Einschnitt für den europäischen Einigungsprozess“, sagte Merkel. © dpa | Kay Nietfeld
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fordert die Regierungen in Berlin und Paris zu einer raschen Reaktion auf. „Ich erwarte, dass Frankreich und Deutschland eindeutig Position beziehen, damit für jeden klar wird, dass diese Situation der Unsicherheit nicht lange anhalten darf“.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fordert die Regierungen in Berlin und Paris zu einer raschen Reaktion auf. „Ich erwarte, dass Frankreich und Deutschland eindeutig Position beziehen, damit für jeden klar wird, dass diese Situation der Unsicherheit nicht lange anhalten darf“. © REUTERS | FRANCOIS LENOIR
Der französische Präsident Francois Hollande bedauert das Brexit-Votum. Das Nein der Briten zur EU sei eine große Herausforderung für Europa, das nun nicht zur Tagesordnung übergehen könne.
Der französische Präsident Francois Hollande bedauert das Brexit-Votum. Das Nein der Briten zur EU sei eine große Herausforderung für Europa, das nun nicht zur Tagesordnung übergehen könne. © Getty Images | Thierry Chesnot
Am Freitagmorgen hat der britische Premierminister David Cameron vor seinem Amtssitz Downing Street 10 seinen Rücktritt für Oktober angekündigt.
Am Freitagmorgen hat der britische Premierminister David Cameron vor seinem Amtssitz Downing Street 10 seinen Rücktritt für Oktober angekündigt. © REUTERS | STEFAN WERMUTH
Er zog damit die Konsequenzen aus seiner Niederlage beim EU-Referendum.
Er zog damit die Konsequenzen aus seiner Niederlage beim EU-Referendum. © dpa | Michael Kappeler
Freude beim britischen Rechtspopulisten Nigel Farage. Der Chef der rechtspopulistischen Ukip fordert rasche Austrittsverhandlungen. „Die EU scheitert, die EU stirbt“, sagte er. „Ich hoffe, wir haben den ersten Stein aus der Mauer geschlagen.“
Freude beim britischen Rechtspopulisten Nigel Farage. Der Chef der rechtspopulistischen Ukip fordert rasche Austrittsverhandlungen. „Die EU scheitert, die EU stirbt“, sagte er. „Ich hoffe, wir haben den ersten Stein aus der Mauer geschlagen.“ © REUTERS | TOBY MELVILLE
Morgendämmerung am 24. Juni: London erwacht – in einem völlig anderen Europa.
Morgendämmerung am 24. Juni: London erwacht – in einem völlig anderen Europa. © dpa | Hannah Mckay
Am Freitagmorgen fiel das Pfund erstmals seit 1985 unter die Marke von 1,35 US-Dollar.
Am Freitagmorgen fiel das Pfund erstmals seit 1985 unter die Marke von 1,35 US-Dollar. © REUTERS | ANDREW KELLY
Der bevorstehende Ausstieg Großbritanniens aus der EU hat dem Dax den größten Kurssturz seit 2008 eingebrockt. Er fiel zur Eröffnung am Freitag um 10 Prozent auf 9232 Punkte.
Der bevorstehende Ausstieg Großbritanniens aus der EU hat dem Dax den größten Kurssturz seit 2008 eingebrockt. Er fiel zur Eröffnung am Freitag um 10 Prozent auf 9232 Punkte. © dpa | Frank Rumpenhorst
Auch die Börse in Tokio wurde auf Talfahrt geschickt.
Auch die Börse in Tokio wurde auf Talfahrt geschickt. © dpa | Kiyoshi Ota
Der Jubel der Brexit-Befürworter ist groß. Von Anfang an war klar, dass die Entscheidung zwischen EU-Gegnern und EU-Befürwortern sehr knapp ausfallen würde.
Der Jubel der Brexit-Befürworter ist groß. Von Anfang an war klar, dass die Entscheidung zwischen EU-Gegnern und EU-Befürwortern sehr knapp ausfallen würde. © dpa | Michael Kappeler
Bei einer Wahlparty der EU-Gegner wuchs die Freude der Brexit-Anhänger, ...
Bei einer Wahlparty der EU-Gegner wuchs die Freude der Brexit-Anhänger, ... © dpa | Michael Kappeler
... je wahrscheinlicher der Sieg der EU-Gegner wurde.
... je wahrscheinlicher der Sieg der EU-Gegner wurde. © dpa | Michael Kappeler
Mit steigender Wahrscheinlichkeit für einen Ausstieg Großbritanniens aus der EU fiel auch der Kurs des britischen Pfund Sterling.
Mit steigender Wahrscheinlichkeit für einen Ausstieg Großbritanniens aus der EU fiel auch der Kurs des britischen Pfund Sterling. © dpa | epa Andy Rain
Millionen Briten waren am Donnerstag dazu aufgerufen, ...
Millionen Briten waren am Donnerstag dazu aufgerufen, ... © imago/ZUMA Press | imago stock&people
... ihr Kreuzchen bei der Abstimmung über Verbleib oder Austritt Großbritanniens in der EU zu setzen.
... ihr Kreuzchen bei der Abstimmung über Verbleib oder Austritt Großbritanniens in der EU zu setzen. © dpa | Elisabeth Moseley
Wegen Unwetter und Überschwemmungen mussten zwar einige Wahllokale geschlossen werden, ...
Wegen Unwetter und Überschwemmungen mussten zwar einige Wahllokale geschlossen werden, ... © imago/ZUMA Press | imago stock&people
... vom schlechten Wetter ließen sich die meisten Briten aber nicht aufhalten. Die Wahlbeteiligung lag bei gut 72 Prozent.
... vom schlechten Wetter ließen sich die meisten Briten aber nicht aufhalten. Die Wahlbeteiligung lag bei gut 72 Prozent. © imago/i Images | imago stock&people
Natürlich gaben auch Premierminister David Cameron und seine Ehefrau Samantha ihre Stimme ab.
Natürlich gaben auch Premierminister David Cameron und seine Ehefrau Samantha ihre Stimme ab. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
Und auch der frühere Londoner Bürgermeister und EU-Gegner Boris Johnson nahm gemeinsam mit seiner Frau Marina Wheeler an der Abstimmung teil.
Und auch der frühere Londoner Bürgermeister und EU-Gegner Boris Johnson nahm gemeinsam mit seiner Frau Marina Wheeler an der Abstimmung teil. © dpa | Michael Kappeler
Um Punkt 22 Uhr am Donnerstagabend (Ortszeit) schlossen die Wahllokale und die Wahlurnen wurden zur Auszählung gebracht.
Um Punkt 22 Uhr am Donnerstagabend (Ortszeit) schlossen die Wahllokale und die Wahlurnen wurden zur Auszählung gebracht. © dpa | Anthony Devlin
Seit kurz nach 6 Uhr am Freitagmorgen (Ortszeit) steht fest: Großbritannien tritt aus der Europäischen Union aus.
Seit kurz nach 6 Uhr am Freitagmorgen (Ortszeit) steht fest: Großbritannien tritt aus der Europäischen Union aus. © dpa | Anthony Devlin
Damit war diese Aktion der EU-Befürworter wohl ein ungewollter Abschiedskuss.
Damit war diese Aktion der EU-Befürworter wohl ein ungewollter Abschiedskuss. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
1/29

Es ist aber auch möglich, dass das Gericht dem Parlament kein Mitspracherecht gewährt oder den Fall an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg weiterleitet. Letzteres gilt aber als unwahrscheinlich.

So ist der Zeitplan

May hatte angekündigt, die Austrittserklärung bis zum 31. März nach Brüssel zu schicken. Erst dann können die Verhandlungen mit der EU beginnen. May wollte das Parlament vorher nicht befragen. Das Votum des Volkes beim Referendum im Juni 2016 reiche aus, argumentiert sie. Damals hatte sich eine knappe Mehrheit für den Austritt entschieden.

Es gibt Anzeichen, dass May im Parlament keine Niederlage zu befürchten hat. Die Mehrheit der Abgeordneten hatte sich in einer nicht bindenden Abstimmung bereits dafür ausgesprochen, den Beginn der Austrittsverhandlungen nicht zu verzögern.

Was geschieht mit Wales, Nordirland und Schottland?

Experten glauben aber, dass das Gericht es May nicht einfach machen wird. Die Richter könnten gewisse Vorgaben machen, um zu verhindern, dass die Regierung sich einen Blanko-Scheck ausstellen lässt, meint Jo Murkens von der London School of Economics and Political Science. „Es gibt immer noch viele verfassungsrechtliche Hindernisse zu überwinden“, bevor die Scheidung eingereicht werden könne. „Ich denke das Gericht wird diese Hindernisse ansprechen“, sagte der Verfassungsexperte der Deutschen Presse-Agentur.

Mit Spannung wird erwartet, ob die elf Richter des Supreme Courts auch den Regionalparlamenten in Wales, Schottland und Nordirland Einfluss zugestehen. Das wäre wohl die größte Gefahr für Mays Zeitplan. Die Regierung in Edinburgh will so eng wie möglich mit der EU verbunden bleiben. Nach Ansicht des walisischen Regierungschefs Carwyn Jones war das Vereinigte Königreich noch nie so uneins. Nordirland steckt in einer Regierungskrise. Die republikanische Partei Sinn Fein nannte den Brexit eine „feindliche Aktion“. 56 Prozent der Nordiren hatten für den Verbleib in der EU gestimmt.

Das will Regierungschefin May

Erst vor einer Woche hatte May einen harten Brexit angekündigt. Sie will ihr Land auch aus dem europäischen Binnenmarkt führen. Als erste ausländische Regierungschefin wird sie am Freitag von US-Präsident Donald Trump empfangen. Die Politiker wollen über ein mögliches bilaterales Handelsabkommen sprechen, das schnell zustande kommen soll.

Nach einem Bericht der Londoner „Times“ gibt es Hindernisse: Formelle Gespräche darüber seien nach den EU-Regeln nicht vor Vollzug des Brexits möglich. Zudem müsse der US-Kongress ein halbes Jahr vor einem geplanten Handelsabkommen vom Weißen Haus informiert werden. (dpa)