Gauck sorgt sich um „bestes Deutschland, das wir je hatten“
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Berlin. Die Amtszeit von Joachim Gauck endet. Nach fünf Jahren als Bundespräsident fühlt er stärker die Bedrohungen für unser Land, sagt er.
Gauck spricht in letzter Rede seiner fünfjährigen Amtszeit vor allem über die Demokratie
„Große Anstrengungen sind notwendig“, um unser Land künftig stark zu machen, sagt er
Gauck fordert ein noch stärkeres internationales Engagement Deutschlands
In einer Rede zum Ende seiner fünfjährigen Amtszeit hat Bundespräsident Joachim Gauck eindringlich zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen. Er glaube auch heute noch, dass das aktuelle Deutschland das beste und demokratischste sei, „das wir jemals hatten“, sagte er im Schloss Bellevue in Berlin. „Nun, nach fast fünf Jahren, bin ich stärker beeinflusst von dem Bewusstsein, dass diesem demokratischen und stabilen Deutschland auch Gefahren drohen. Und dass große Anstrengungen notwendig sein werden, um es für die Zukunft stark zu machen.“
In der Debatte über Konsequenzen aus den Terroranschlägen in Deutschland plädierte er für einen starken Staat. „Der Rechtsstaat verliert, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach oder gar hilflos erweist“, sagte er. Mehr Sicherheit sei keine Gefahr für die Demokratie, sondern ein Erfordernis zu ihrem Schutz. Er mahnte auch: Ohne eine dauerhafte Sicherung der Außengrenzen und ohne eine Verbesserung der Lebensumstände in den Herkunftsländern würden krisenhafte Zuspitzungen wie in der Flüchtlingskrise auch in Zukunft zu erwarten sein.
Gauck warnt vor pazifistischer Haltung
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Gauck forderte ein noch stärkeres internationales Engagement Deutschlands und den Schutz osteuropäischer Partner vor militärischen Bedrohungen. „Gemessen an den Herausforderungen unserer Zeit und an unseren Möglichkeiten, könnten und sollten wir deutlich mehr tun: für Krisenprävention und Diplomatie, für Entwicklungszusammenarbeit und Missionen der Vereinten Nationen, auch für eine verbesserte Verteidigungsfähigkeit im westlichen Bündnis“, sagte Gauck. Die Bundesrepublik habe zwar in den vergangenen Jahren mehr getan. „Trotzdem kommt Deutschland gegenwärtig bei weitem noch nicht allen Verpflichtungen nach.“
Der scheidende Bundespräsident warnte zudem vor einer pazifistischen Haltung. „Denn die Aussage, es könne niemals eine militärische Lösung geben, klingt gut und ist gut, allerdings nur, solange sich alle Seiten an diese Maxime halten“, sagte er. Deshalb müsse die EU ihre Verteidigungsanstrengungen verstärken. „Und ich trete ein für eine unzweideutige Klarstellung gegenüber unseren osteuropäischen Verbündeten: Die Beistandspflicht der Nato gilt ohne Abstriche.“ Hintergrund sind die Sorgen der osteuropäischen EU- und Nato-Partner vor Russland und kritische Aussagen des künftigen US-Präsidenten Donald Trump zur Rolle der Nato.
Demokratie und Westen unter Beschuss
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Gauck forderte Mut, aktuellen Herausforderungen zu begegnen. Als Beispiele nannte er die Krise der Europäischen Union mit dem drohenden Brexit, den Nationalismus und die oftmals von Hass geprägte Debatte über Zuwanderung. „Die liberale Demokratie und das politische und normative Projekt des Westens, sie stehen unter Beschuss“, warnte Gauck. „Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Alteingesessen und Neubürgern. Sie verläuft zwischen Demokraten und Anti-Demokraten.“
Der scheidende Bundespräsident kritisierte auch ein wachsendes Anspruchsdenken der Bürger, das den Staat als Dienstleister sehe. Die Demokratie sei kein politisches Versandhaus, sagte Gauck. Er rief zur Selbstermächtigung auf. Die Bürger entschieden über die Gestalt des Gemeinwesens.
Bundespräsident fordert zum Dialog mit Andersdenkenden
Das Staatsoberhaupt forderte zudem, Zersplitterung entgegenzuwirken - „und zwar möglichst in Begegnungen mit Menschen, die anders denken als man selbst“. Vor dem Hintergrund der Debatte um sogenannte Fake News warnte Gauck, oft sei nicht mehr erkennbar, was wahr sei und was falsch. „Vor allem in den sozialen Netzwerken wird fast grenzenlos gelogen, beschimpft, verletzt.“ Man lebe in „rauen Zeiten“.
Gauck spannte in seiner Rede unter dem Titel „Wie soll es aussehen, unser Land?“ den Bogen zu seiner Antrittsrede am 23. März 2012. Am 12. Februar wählt die Bundesversammlung einen neuen Bundespräsidenten. Gauck kandidiert aus Altersgründen nicht für eine zweite Amtszeit. (dpa/rtr/epd)
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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