Berlin. Finanzminister Wolfgang Schäuble beendet das dritte Jahr in Folge mit einem Plus. Doch das Geld für Investitionen fließt nicht ab.

Selten waren die Beamten des Bundesfinanzministeriums so stolz auf ihre Zahlen für den Bundeshaushalt wie in diesem Januar. Zum dritten Mal in Folge kann Minister Wolfgang Schäuble (CDU) für das abgelaufene Jahr eine „schwarze Null“ oder sogar einen Überschuss verkünden. Und zum dritten Mal muss er keine neuen Schulden aufnehmen.

Das gab es in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland noch nie. Mehr noch: „Es ist europäisch und weltweit einmalig, dass es in einem Land unserer Größenordnung drei Jahre in Folge Überschüsse in dieser Größenordnung gibt“, sagte ein hoher Vertreter des Finanzministeriums.

Bruttoinlandsprodukt um 1,9 Prozent gestiegen

Tatsächlich sind die Zahlen bemerkenswert, die das Ministerium und das Statistische Bundesamt am Donnerstag vorgelegt haben. Danach haben Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen das Jahr 2016 mit einem Überschuss von insgesamt 19,2 Milliarden Euro beendet. Allein das Plus beim Bund betrug 6,2 Milliarden Euro. Das ist immerhin noch halb so viel wie der Rekordwert von rund zwölf Milliarden Euro im Jahr zuvor.

Der Grund dafür ist die nach wie vor gut laufende Konjunktur: Das Bruttoinlandsprodukt wuchs nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent, die Beschäftigung war so hoch wie lange nicht und die Steuereinnahmen flossen entsprechend reichlich – beim Bund, aber auch in den Ländern und den Kommunen.

Schäuble will alte Schulden abtragen

Die niedrigen Zinsen halfen den Finanzministern in Bund und Ländern dabei, die Kosten für bestehende Kredite gering zu halten. Nicht zuletzt hat die Bundesbank etwas mehr Gewinn gemacht als geplant.

Er wolle dem Bundestag vorschlagen, den Überschuss zur Tilgung von Schulden einzusetzen, sagte Schäuble am Donnerstag. „Damit stärken wir die langfristige Tragfähigkeit unserer öffentlichen Finanzen.“ Konkret will Schäuble mit dem Geld die Schulden abtragen, die er während der Finanzkrise aufgenommen hat.

Nur Tropfen auf dem heißen Stein

Das Extra-Konto, das er damals zu diesem Zweck einrichtete, ist noch immer mit 18,7 Milliarden Euro im Minus. Insgesamt steht der Bund sogar noch mit der riesigen Summe von 1270 Milliarden Euro in der Kreide. Die wenigen Milliarden, die nun getilgt werden sollen, sind also eher ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Finanzpolitiker der CDU finden das gut: „Anlass für neue Begehrlichkeiten besteht nicht“, sagte Fraktionsvize Ralph Brinkhaus mit Blick auf Forderungen aus der Schwesterpartei CSU, die Steuern zu senken. Während die Linken mit dem Geld Kinderarmut bekämpfen wollen, fordern die Grünen mehr Investitionen.

SPD will lieber Brücken und Schulen sanieren

Schäubles Koalitionspartner SPD sieht das auch so und ist bereits in Wahlkampf-Stimmung: „Mit seinem Tilgungsfetisch würgt Herr Schäuble dringend benötigte Investitionen in die Zukunft unseres Landes ab“, kritisierte Generalsekretärin Katarina Barley. Marode Brücken, Straßen und Schulen müssten mit dem Geld saniert werden.

Schäubles Beamte konterten diese Forderung am Donnerstag, indem sie auf ihre Zahlen zeigten. Danach sei für solche Sanierungen längst genug Geld da – es werde von Ländern und Kommunen nur nicht ausgegeben. „Die Mittel fließen nicht so ab, wie sie eingeplant waren“, hieß es aus der Spitze des Finanzministeriums. „Es gelingt nicht, das Geld im Wortsinne auf die Straße zu bringen.“

Rücklage für Flüchtlingskosten wurde bisher nicht gebraucht

Länder und Kommunen kämen mit den Planungen nicht schnell genug voran, Baufirmen hätten keine Kapazitäten. Von den 3,5 Milliarden Euro, die im vergangenen Jahr den Kommunen für Investitionen zur Verfügung standen, sei nur die Hälfte konkreten Projekten zugewiesen und nur 146 Millionen tatsächlich ausgegeben worden. „Wir müssen über Planungsprozesse reden“, sagte der Spitzenmann aus dem Ministerium.

Im vergangenen Jahr hatte Schäuble die 12,8 Milliarden Euro Haushaltsüberschuss quasi zur Seite gelegt, um daraus die Kosten für Flüchtlinge zu finanzieren. Die eine Hälfte dieser Summe sollte 2016 und die andere in diesem Jahr ausgegeben werden. Diese Rücklage wurde jedoch bislang nicht benötigt, das Geld blieb bis heute unangetastet. Mehr noch: Schäuble konnte sogar das erwähnte Investitionsprogramm für Kommunen auflegen.

Signal an andere EU-Länder

Auch wenn es im Finanzministerium niemand so formulieren will, so deutet das darauf hin, dass die finanziellen Folgen der Flüchtlingskrise geringer sind als angenommen und auch so bewältigt werden können. Die erst im vergangenen Jahr eingeführte Regel, Haushaltsüberschüsse für Flüchtlingskosten zu reservieren, soll nun wieder gestrichen werden.

Dass der Bundesfinanzminister nicht nur Überschüsse macht, sondern jetzt auch demonstrativ Schulden tilgen will, ist obendrein ein Signal an die europäischen Nachbarländer. Die Botschaft: Solide öffentliche Finanzen und Wachstumsimpulse durch Investitionen schließen sich nicht aus.

Steuerquote deutlich gestiegen

Schäuble wäre aber nicht Schäuble, würde er nicht auch in die Zukunft denken, also: über die Bundestagswahl hinaus. Für diese Zeit versprechen CDU und CSU Steuersenkungen, die mehrere Milliarden Euro Kosten. Wenn Konjunktur und Steuereinnahmen weiter so gut laufen, steht den Plänen wenig entgegen.

Den Spielraum für Entlastungen beziffert Schäuble auf etwa 15 Milliarden Euro und begründet ihn damit, dass die Steuerquote konstant bleiben solle – damit ist der Anteil an der Wirtschaftsleistung gemeint, den der Staat als Steuereinnahmen bekommt. Tatsächlich stieg diese Steuerquote in den vergangenen Jahren deutlich: 2010 lag sie noch bei 21,4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Für dieses Jahr hat das Wirtschaftsforschungsinstitut RWI 22,3 Prozent errechnet.