Istanbul. In der Türkei beginnen heute Beratungen über ein neues Präsidialsystem. Es würde Präsident Erdoğan weitreichende Befugnisse einräumen.

  • Die Türkei will ihre Verfassung ändern und ein sogenanntes Präsidialsystem einführen
  • Der Präsident wäre dann nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef
  • Er hätte insgesamt mehr Einfluss, unter anderem auch auf das Justizsystem

Das Parlament in Ankara beginnt am heutigen Montag mit den Beratungen über die geplante Verfassungsreform für ein Präsidialsystem in der Türkei. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, die Beratungen würden rund zwei Wochen andauern. Die Regierungspartei AKP will auf Betreiben von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan ein Präsidialsystem in der Türkei einführen. Damit würde der Präsident deutlich gestärkt: Er wäre dann nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Parlament würde geschwächt.

Für die von Erdoğan angestrebte Volksabstimmung über das Präsidialsystem müssen im Parlament mindestens 330 der 550 Abgeordneten für die Reform stimmen. Die islamisch-konservative AKP verfügt über 316 Stimmen und ist auf Stimmen aus der ultranationalistschen MHP angewiesen. Die kleinste Oppositionspartei hat 40 Sitze im Parlament. MHP-Chef Devlet Bahceli unterstützt das Vorhaben, in der Partei regt sich aber auch Widerstand dagegen.

Opposition fürchtet eine Diktatur

Die beiden anderen Oppositionsparteien – die Mitte-Links-Partei CHP und die pro-kurdische HDP – laufen Sturm gegen die Reform. Sie fürchten, dass die Türkei zu einer „Diktatur“ wird. NGOs und zivile Organisationen sowie ein Großteil der Intellektuellen des Landes teilen diese Sorge.

Erdoğan würde die Reform unter anderem die Befugnis verleihen, per Dekret zu regieren. Die Regierung rechnet im Frühjahr mit einem Referendum. Die wichtigsten Änderungen aus dem Entwurf, den die Verfassungskommission des Parlaments bereits angenommen hat:

Kein Ministerpräsident mehr

• Der Präsident wird nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Amt des Ministerpräsidenten entfällt. Der Präsident darf künftig einer Partei angehören. Er wird nicht mehr vom Parlamentspräsidenten, sondern von einer vom Präsidenten zu bestimmenden Zahl an Vizepräsidenten vertreten. Der Präsident ist für die Ernennung und Absetzung seiner Stellvertreter und der Minister zuständig.

• Der Präsident kann Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, die mit Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten. Eine nachträgliche Zustimmung durch das Parlament (wie im derzeit geltenden Ausnahmezustand) ist im Entwurf nicht vorgesehen. Die Dekrete werden unwirksam, falls das Parlament zum Thema des jeweiligen Erlasses ein Gesetz verabschiedet. Per Dekret kann der Präsident auch Ministerien errichten, abschaffen oder umorganisieren.

Neuer Modus bei Wahlen

• Das Parlament und der Präsident werden künftig am selben Tag für die Dauer von fünf Jahren vom Volk gewählt, und zwar erstmals am 3. November 2019. Die zeitgleiche Wahl erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der jeweilige Präsident über eine Mehrheit im Parlament verfügen wird. Die Amtsperioden des Präsidenten bleiben auf zwei beschränkt. Die Zahl der Abgeordneten steigt von 550 auf 600. Parlamentarische Anfragen gibt es nur noch schriftlich und nur an die Vizepräsidenten und Minister.

• Der Präsident bekommt auch mehr Einfluss auf die Justiz: Im Rat der Richter und Staatsanwälte kann der Präsident künftig vier der 13 Mitglieder bestimmen, das Parlament drei weitere. Bislang bestimmen Richter und Staatsanwälte selber die Mehrheit der (derzeit noch 22) Mitglieder des Rates. Das Gremium ist unter anderem für die Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten zuständig. (dpa/aba)

Der Putschversuch in der Türkei 2016

Dieses Foto entstand kurz nach Beendigung des Putschversuches am 15. Juli 2016 in der Türkei. Präsident Erdogan (M.) zeigt sich in Istanbul seinen Unterstützern.
Dieses Foto entstand kurz nach Beendigung des Putschversuches am 15. Juli 2016 in der Türkei. Präsident Erdogan (M.) zeigt sich in Istanbul seinen Unterstützern. © REUTERS | HUSEYIN ALDEMIR
Die türkische Regierung hatte wieder die Kontrolle übernommen.
Die türkische Regierung hatte wieder die Kontrolle übernommen. © REUTERS | KENAN GURBUZ
In der Nacht waren in den Straßen von Ankara und der Metropole Istanbul Panzer aufgefahren. Schüsse wurden abgegeben.
In der Nacht waren in den Straßen von Ankara und der Metropole Istanbul Panzer aufgefahren. Schüsse wurden abgegeben. © REUTERS | TUMAY BERKIN
Menschen kletterten auf Panzer und schwenken Türkei-Flaggen.
Menschen kletterten auf Panzer und schwenken Türkei-Flaggen. © Getty Images | Gokhan Sahin
In Istanbul wurden an der Bosporus-Brücke Wasserwerfer eingesetzt, ...
In Istanbul wurden an der Bosporus-Brücke Wasserwerfer eingesetzt, ... © REUTERS | MURAD SEZER
... um gegen die Putschisten vorzugehen.
... um gegen die Putschisten vorzugehen. © Getty Images | Gokhan Tan
Später prügelten Menschen auf die Putschisten ein. Soldaten versuchen, sich vor dem Mob in einen Bus zu retten.
Später prügelten Menschen auf die Putschisten ein. Soldaten versuchen, sich vor dem Mob in einen Bus zu retten. © REUTERS | MURAD SEZER
Die Soldaten, die in den Putsch verwickelt waren und festgenommen wurden, mussten Klamotten und Waffen auf den Boden legen.
Die Soldaten, die in den Putsch verwickelt waren und festgenommen wurden, mussten Klamotten und Waffen auf den Boden legen. © Getty Images | Gokhan Tan
In Istanbul trauten sich die Menschen wieder auf die Straße.
In Istanbul trauten sich die Menschen wieder auf die Straße. © dpa | Tolga Bozoglu
Auf der Bosporus-Brücke in Istanbul versammelten sich unzählige Menschen.
Auf der Bosporus-Brücke in Istanbul versammelten sich unzählige Menschen. © Getty Images | Burak Kara
Einige machten vor den Panzern Selfies.
Einige machten vor den Panzern Selfies. © REUTERS | MURAD SEZER
Andere kletterten auf die zurückgelassenen Militärfahrzeuge.
Andere kletterten auf die zurückgelassenen Militärfahrzeuge. © Getty Images | Gokhan Tan
Das Parlamentsgebäude in Ankara wurde bei den Ausschreitungen teilweise zerstört.
Das Parlamentsgebäude in Ankara wurde bei den Ausschreitungen teilweise zerstört. © dpa | Str
Fotos zeigen Trümmer, zerborstene Scheiben und Schäden am Mauerwerk.
Fotos zeigen Trümmer, zerborstene Scheiben und Schäden am Mauerwerk. © REUTERS | STRINGER
Die Putschisten hatten eine Bombe im türkischen Parlament gezündet.
Die Putschisten hatten eine Bombe im türkischen Parlament gezündet. © imago/Depo Photos | imago stock&people
Nicht nur Anhänger Erdogans, sondern auch breite Teile der Bevölkerung stellten sich in der Nacht gegen die Putschisten.
Nicht nur Anhänger Erdogans, sondern auch breite Teile der Bevölkerung stellten sich in der Nacht gegen die Putschisten. © REUTERS | STRINGER
Die Panzer schmückten sie mit Bildern von Erdogan.
Die Panzer schmückten sie mit Bildern von Erdogan. © REUTERS | TUMAY BERKIN
Am Taksim-Platz in Istanbul wurde eine große Türkei-Flagge ausgebreitet.
Am Taksim-Platz in Istanbul wurde eine große Türkei-Flagge ausgebreitet. © dpa | Uygar Onder Simsek
Zuvor war der Platz noch bewacht worden.
Zuvor war der Platz noch bewacht worden. © REUTERS | MURAD SEZER
Am Abend des 15. Juli hatten Teile des türkischen Militärs einen Putschversuch unternommen.
Am Abend des 15. Juli hatten Teile des türkischen Militärs einen Putschversuch unternommen. © REUTERS | MURAD SEZER
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte dem Sender NTV am gleichen Abend, die Sicherheitskräfte täten alles Notwendige, um die Situation zu entschärfen.
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte dem Sender NTV am gleichen Abend, die Sicherheitskräfte täten alles Notwendige, um die Situation zu entschärfen. © REUTERS | UMIT BEKTAS
Soldaten hatten beide Bosporus-Brücken in Istanbul abgesperrt.
Soldaten hatten beide Bosporus-Brücken in Istanbul abgesperrt. © Getty Images | Gokhan Tan
Die Brücken verbinden die asiatische mit der europäischen Seite der Türkei.
Die Brücken verbinden die asiatische mit der europäischen Seite der Türkei. © Getty Images | Gokhan Tan
Der türkische Präsident Erdogan rief über FaceTime am Abenddas Volk dazu auf „sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln“.
Der türkische Präsident Erdogan rief über FaceTime am Abenddas Volk dazu auf „sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln“. © Getty Images | Burak Kara
Der Putschversuch in der Türkei ging nach Darstellung von Präsident Recep Tayyip Erdogan von einer Minderheit in der Armee aus.
Der Putschversuch in der Türkei ging nach Darstellung von Präsident Recep Tayyip Erdogan von einer Minderheit in der Armee aus. © REUTERS | MURAD SEZER
Die Putschisten hatten eine Ausgangssperre im ganzen Land verhängt.
Die Putschisten hatten eine Ausgangssperre im ganzen Land verhängt. © REUTERS | STRINGER
Auf den Straßen in Istanbul waren Panzer zu sehen.
Auf den Straßen in Istanbul waren Panzer zu sehen. © REUTERS | STRINGER
Protestanten erklommen die Panzer.
Protestanten erklommen die Panzer. © REUTERS | STRINGER
Auch in Ankara waren Panzer unterwegs.
Auch in Ankara waren Panzer unterwegs. © Getty Images | Gokhan Sahin
Ein Mann versuchte mit allen Mitteln, einen Panzer am Atatürk-Flughafen zu stoppen.
Ein Mann versuchte mit allen Mitteln, einen Panzer am Atatürk-Flughafen zu stoppen. © REUTERS | STRINGER
1/30