Istanbul. 2017 ist keine zwei Stunden alt, da richtet ein Terrorist in einem Istanbuler Nachtklub ein Blutbad an. Die Tat erinnert an den IS.

Für die Türkei beginnt das neue Jahr mit einem Massaker: Ein Attentäter stürmt mit einem automatischen Gewehr einen Nachtklub in Istanbul und feuert in die feiernden Gäste. Mindestens 39 Menschen sterben, meist Ausländer. Der Täter ist auf der Flucht. Erst vor drei Wochen rissen zwei Selbstmordattentäter an einem Istanbuler Fußballstadion 45 Menschen in den Tod. Der Angriff am Neujahrsmorgen lässt ahnen: Auch 2017 steht die Türkei im Fadenkreuz des Terrors.

Wer etwas auf sich hält in Istanbul, der feiert im „Reina“. Der weitläufige Komplex aus Restaurants, Bars und Tanzflächen am Ufer des Bosporus ist seit 15 Jahren ein angesagter Treffpunkt der Istanbuler Prominenz. Auch ausländische Besucher zieht es zum „Reina“, aber nicht alle finden Einlass.

Täter verschaffte sich schießend Zutritt

Die Türsteher lassen nur ausgewählte, zahlungskräftig wirkende Gäste rein. Wie in allen großen Istanbuler Hotels und vielen Top-Restaurants gibt es Sicherheitsvorkehrungen: Am Eingang des Nachtklubs stehen Metalldetektoren. Aber die Kontrollen sind in diesem Fall wirkungslos: Vor dem Eingang erschoss er einen Polizisten und einen Türsteher, stürmte dann in den Klub und feuerte in die Menge.

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim besucht am Neujahrstag einen Verletzten des Anschlags im Krankenhaus in Istanbul.
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim besucht am Neujahrstag einen Verletzten des Anschlags im Krankenhaus in Istanbul. © dpa | Uncredited

Am Sonntagvormittag herrschte noch Ungewissheit über den genauen Hergang der Tat: Eine Augenzeugin berichtete, die Attentäter seien zu zweit gewesen und hätten Weihnachtsmannkostüme getragen. Sie hätten arabisch gesprochen, sagen andere Zeugen. Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim dementierte Berichte über mehrere Täter und ein Weihnachtsmannkostüm. Solche Aussagen seien falsch, sagte Yildirim am Sonntag in Istanbul. „Wir wissen von einem bewaffneten Terroristen.“ Innenminister Süleyman Soylu sprach von einem Einzeltäter, der mit „wahrlich unmenschlicher Brutalität“ vorgegangen sein.

Viele Ausländer unter Toten und Verletzten

„So Gott will, werden wir ihn bald fassen“, sagte Soylu. Am Sonntagabend waren 35 Tote identifiziert. Darunter waren 11 türkische Staatsangehörige, die anderen 24 Ausländer verschiedener Nationalitäten. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu melde, zu den Opfern gehörten Saudis, Marokkaner, Libyer, Libanesen und eine Israelin. Die Angaben sind allerdings nur vorläufig, denn am Sonntag waren vier Leichen noch nicht identifiziert. Auch unter den 69 Verletzten, davon vier in kritischem Zustand, seien „mehrere Ausländer“, sagte der türkische Gesundheitsminister Recep Akdag am Tatort.

Nach der Welle von Terroranschlägen, die im vergangenen Jahr allein in Istanbul 108 Tote forderte, hatte die Polizei zu Silvester besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Rund 17.000 Beamte waren im Einsatz, um Anschläge zu verhindern. Viele Plätze waren durch Betonsperren gesichert. In zentralen Bereichen Istanbuls galt ein Fahrverbot für Lastwagen. An den Zugängen zur Ausgehmeile Istiklal Caddesi kontrollierte die Polizei die Taschen der Passanten.

„Reina“-Besitzer: Es gab Warnungen

Menschen legen Blumen unweit des Clubs „Reina“ nieder.
Menschen legen Blumen unweit des Clubs „Reina“ nieder. © REUTERS | UMIT BEKTAS

Auch am „Reina“ habe es zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen gegeben, sagte der Besitzer des Klubs, Mehmet Kocarslan, der Zeitung „Hürriyet“. Anlass dafür seien unter anderem Warnungen der US-Geheimdienste vor möglichen Anschlägen zum Jahreswechsel gewesen, so Kocarslan. Dennoch konnte das Massaker nicht verhindert werden.

Die Türkei befinde sich „in einem Krieg“, hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wenige Stunden zuvor in seiner Neujahrsansprache erklärt. 2016 sei ein schreckliches Ereignis dem nächsten gefolgt, sagte Erdogan. „Unsere nationale Einheit, die territoriale Integrität, unsere Institutionen, die Wirtschaft, die Außenpolitik, kurzum alles, was den Staat aufrecht hält, stehen unter Angriff“, so Erdogan. Der Präsident versuchte dennoch, Zuversicht zu verbreiten: „Wir lassen 2016 hinter uns und betreten 2017 mit neuen Hoffnungen und Erwartungen.“

Kurdische Terroristen haben Polizei im Visier

Tote bei Angriff auf Club in Istanbul

Viele hundert Menschen feierten in einem Istanbuler Club, als ein oder zwei Männer, die als Weihnachtsmänner verkleidet gewesen sein sollen, das Feuer eröffneten.
Viele hundert Menschen feierten in einem Istanbuler Club, als ein oder zwei Männer, die als Weihnachtsmänner verkleidet gewesen sein sollen, das Feuer eröffneten. © imago/Depo Photos | imago stock&people
Mindestens 39 Menschen wurden getötet, mindestens 69 Menschen wurden verletzt.
Mindestens 39 Menschen wurden getötet, mindestens 69 Menschen wurden verletzt. © imago/Depo Photos | imago stock&people
Etwa 17.000 Polizisten sollten die Silvesterfeiern in Istanbul sichern.
Etwa 17.000 Polizisten sollten die Silvesterfeiern in Istanbul sichern. © imago/Depo Photos | imago stock&people
Istanbuls Gouverneur spricht von einem Terrorangriff.
Istanbuls Gouverneur spricht von einem Terrorangriff. © dpa | Uncredited
Im Club Reina feierten zum Zeitpunkt des Angriffs 600 bis 700 Menschen.
Im Club Reina feierten zum Zeitpunkt des Angriffs 600 bis 700 Menschen. © Getty Images | Burak Kara
Der Club liegt unmittelbar am Bosporus. Einige Clubbesucher retteten sich mit einem Sprung ins Wasser.
Der Club liegt unmittelbar am Bosporus. Einige Clubbesucher retteten sich mit einem Sprung ins Wasser. © REUTERS | STRINGER
1/6

Aber das neue Jahr war gerade etwas mehr als eine Stunde alt, als der Terror zurückkehrte. Über die Identität des Täters und das Motiv für den Anschlag gibt es bisher keine gesicherten Erkenntnisse. Zuletzt hatten vor allem die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und ihre Splittergruppe Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) Terroranschläge in türkischen Städten verübt. Dieser Angriff trägt aber nicht die Handschrift der kurdischen Terroristen. Sie nehmen vor allem Polizisten und Soldaten ins Visier.

Die Bluttat im Nachtklub „Reina“ erinnert hingegen eher an Attentate der IS-Terrormiliz wie das Massaker im Pariser Bataclan-Theater am 13. November 2015. Erst am Samstag hatte die türkische Polizei in der Hauptstadt Ankara acht mutmaßliche Mitglieder des IS festgenommen. Die Verdächtigen hätten Anschläge in der Silvesternacht geplant, meldete die Agentur Anadolu.

Terrormiliz IS in Türkei gut vernetzt

Der IS verfügt in der Türkei nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste über ein dicht geknüpftes Netzwerk und hatte bereits im vergangenen Jahr in Istanbul schwere Anschläge verübt, darunter einen Selbstmordattentat auf eine deutsche Touristengruppe vor der Blauen Moschee am 12. Januar mit zwölf Toten und einen von drei Selbstmordattentätern ausgeführten Angriff auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen, bei dem am 28. Juni 47 Menschen starben.

Staatschef Erdogan rief die Bevölkerung am Sonntag zur Geschlossenheit im Kampf gegen den Terror auf. Die Regierung werde „alles Notwendige tun, um die Sicherheit und den Frieden der türkischen Bürger zu schützen“, hieß es in einer schriftlichen Erklärung des Präsidialamtes. Die Terroristen wollten mit Angriffen auf Zivilisten wie in dem Nachtklub „Chaos“ verbreiten. Erdogan: „Sie wollen die Moral unseres Landes zerstören.“

Anschlag trifft auch Wirtschaft

Für die ohnehin schwächelnde türkische Wirtschaft ist das Massaker im „Reina“ ein neuer Rückschlag. Von den Durchhalteparolen der Politiker in Ankara dürften sich verunsicherte Investoren ebenso wenig beeindrucken lassen wie verschreckte Urlauber. Der türkische Tourismus litt bereits 2016 unter der Terrorwelle. Die Hoffnungen der Reisebranche auf eine Erholung 2017 haben nun bereits den ersten großen Dämpfer bekommen.