Berlin. Der Absturz im Verhältnis USA-Israel wird Folgen für den gesamten Nahen Osten haben. Es könnte Nährboden für weiteren Terror entstehen.

Noch nie flogen so viele rhetorische Giftpfeile zwischen Washington und Jerusalem hin und her wie in diesen Tagen. Vorbei die Zeit, in der Amerika seinem Schützling Israel im UN-Sicherheitsrat den Rücken freihält. Mit ihrer Enthaltung kurz vor Weihnachten öffnete die US-Regierung die Tür für die geballte internationale Kritik an der israelischen Siedlungspolitik. Was danach folgte, ist der absolute Tiefpunkt in den amerikanisch-israelischen Beziehungen: Die geharnischten Vorwürfe zwischen US-Außenminister John Kerry und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu suchen in der Geschichte beider Länder ihresgleichen.

Hinter Kerrys Anschuldigungen mögen Enttäuschung, Frust und kalte Wut stecken. Der Mann, dessen Verhandlungsinitiativen in der Palästinenser-Frage und im Syrien-Konflikt verpufften, steht vor den Scherben seiner Politik. Dennoch gilt festzuhalten: Das Verhältnis zwischen US-Präsident Barack Obama und Netanjahu war von Beginn an distanziert. Spätestens seit Obamas 2011 erhobener Forderung, Israel solle sich auf die Grenzen von 1967 zurückziehen, reagierte man in Jerusalem gereizt.

Regierungen entfremden sich

Die neuesten emotionalen Ausbrüche werfen ein Schlaglicht auf die schleichende Entfremdung beider Regierungen. Amerika hat mit dem scharfen Ton seine klassische Maklerrolle im Nahost-Konflikt aufgegeben. Präsident Bill Clinton war es in den 90er-Jahren noch gelungen, mit dem Oslo-Friedensprozess Israelis und Palästinenser an einen Tisch zu bringen. Dagegen hatte Obama nie den Ehrgeiz, sich im Pulverfass Nahost zu engagieren. Darüber hinaus verprellte er traditionelle Verbündete wie Saudi-Arabien durch seinen Atom-Deal mit dem Iran.

Auf der anderen Seite ließ sich Netanjahu von seinen siedlerfreundlichen Koalitionspartnern immer weiter nach rechts drängen. Mittlerweile bekennt er offen, seine Regierung sei „den Siedlungen mehr verpflichtet als jede andere in Israels Geschichte“. Damit ist klar: Die Zwei-Staaten-Lösung ist für Netanjahu passé. Alle Indizien deuten darauf hin, dass der Premier eine schleichende Annexion des Westjordanlandes und Ost-Jerusalems anstrebt. Unwahrscheinlich, dass Palästinenser dann die gleichen Rechte wie jüdische Staatsbürger bekämen.

Neue US-Regierung denkt anders als Obama

Netanjahu nutzt die Gunst der Stunde. Er glaubt, dass die Verhärtung seiner Politik durch einen Gezeitenwechsel begünstigt wird – in Amerika und in Nahost. Der designierte US-Präsident Donald Trump hat erklärt, dass er voll an der Seite Jerusalems stehe. Der neue US-Botschafter in Israel, David Friedman, billigt die rasante Siedlungspolitik Netanjahus ebenso wie der neue Sonderbeauftragte für internationale Verhandlungen, Jason Greenblatt.

Gleichzeitig verschiebt sich die Macht-Balance in Nahost. Washington verliert, Moskau gewinnt in der Region an Einfluss. Netanjahu hat versucht, sein Land durch mehrere taktische Schwenks aus der Isolation zu führen. Er entspannte die zuvor belasteten Beziehungen zu Russland wie auch das Verhältnis zur Türkei. Zudem gelang ihm eine diplomatische Meisterleistung: Unter dem Radarschirm der Öffentlichkeit betreibt er ein Zweckbündnis mit den sunnitischen Golfstaaten. Die Absicht: Das schiitische Mullah-Regime in Teheran soll eingedämmt und von Nuklearwaffen abgehalten werden.

Nährboden für weiteren Terror könnte entstehen

Mit seiner anti-iranischen Stoßrichtung kann Netanjahu ebenfalls auf Trump zählen. Die neue politische Gemengelage hat allerdings große Risiken. Durch den Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten werden die Ex­tremisten in beiden Lagern gestärkt. Diese Radikalisierung und der ungelöste Palästina-Konflikt wären der Nährboden für weiteren Terror.