Veles. Im mazedonischen Veles entstehen rund 140 Webseiten mit Fake-News. Deren Betreiber verdienen viel Geld und denken nicht ans Aufhören.

Viktor T. sitzt mit vier Freunden um einen Tisch in einem Café, das ausgerechnet „Inbox“ heißt, wie der Posteingang bei E-Mails. Seine Jacke sieht teuer aus, mit einem dieser Fellkragen, der wie eine Löwenmähne absteht. Seine Haare sind zu einem Scheitel gegelt. Er hat einen Espresso vor sich stehen, es ist kurz nach 21 Uhr, in drei Stunden wird er arbeiten. „Alle hier in der Runde“, er zeigt auf seine Freunde, „verdienen Geld mit Fake-News“.

Fake-News, also gefälschte Nachrichten, sind ein großes Geschäft im Internet. Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA hat es groß gemacht.

Viktor grinst, es ist nicht ganz klar, ob aus Verlegenheit oder aus Stolz oder einer Mischung aus beidem. Er beantwortet ein paar Fragen, aber sein Nachname soll geheim bleiben.

Was war deine beste Fake-News?

„‚Hillary ist eine Lesbe‘, das brachte mir rund 3000 Euro.“

Hast Du sie dir selbst ausgedacht?

„Ja, manchmal mit Freunden zusammen, aber das war meine Idee.“

Deine Brille sieht teuer aus, wie viel kostet sie?

„Das Gestell? Vielleicht 150 Euro.“

Mazedonische Teeanger verdienen viel Geld damit

Das ist das Monatsgehalt eines Fabrikarbeiters hier in Veles in Mazedonien. Viktor betreibt hier eine von 140 Webseiten, die Fake-News in die Welt tragen. Die 45.000-Einwohner-Stadt erlangte in diesem Jahr zweifelhafte Berühmtheit. US-Medien stürzten sich auf diese Stadt, als bekannt wurde, dass viele Falschmeldungen im US-Wahlkampf, die Donald Trump nutzten, von Webseiten aus Veles kamen. Anfang November berichtete „Buzzfeed“ von mazedonischen Teenagern, die Tausende von Euro verdienen. Angeblich sollen es bis zu 50.000 Euro im Monat sein, aber wahrscheinlich ist die Summe erfunden.

Der US-Komiker Steven Colbert sagte in seiner Sendung: „Hey ihr Teenager in Mazedonien! Hört auf mit dem Mist!“ Doch sie hören nicht auf, sie machen weiter, jede Nacht zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens füllen sie ihre Webseiten. Einige Texte denken sie sich aus, den Rest kopieren sie aus dem Internet. Niemand kennt die Webseiten; darauf kommt es auch nicht an.

Je reißerischer die Nachricht, desto mehr Klicks gibt es

Wichtiger ist, dass Viktor und seine Leute in vielen Gruppen auf Facebook Mitglied sind. Dort veröffentlichen sie ihre Fake-News und wann immer jemand auf den Link dahinter klickt, verdienen die Nachrichtenerfinder Geld. Für 1000 Besucher auf ihrer Seite bekommen sie zwischen einem und zwei US-Dollar ausgezahlt – für die Werbung, die auf den Seiten geschaltet ist.

Je reißerischer die Überschrift einer Nachricht, desto mehr Klicks generiert sie und desto höher sind die Einnahmen. Und mit Nachrichten über Donald Trump ließ sich im vergangenen Jahr besonders viel Geld verdienen. Einmal im Monat, um den 22. herum, wird es ausgezahlt. Manche Clubs in Veles, so heißt es, haben um diese Zeit eine große Party organisiert.

Politikmeldungen bringen Geld

In Veles entstehen Fake News.
In Veles entstehen Fake News. © sören kittel | sören kittel

Einer, der den Anfang miterlebt hat, ist Nicola B. Er ist ein Webdesigner aus Veles, 33 Jahre alt, „glücklich unverheiratet“, wie er sagt, er erlebt gerade seine letzten Tage in der Stadt. Im Januar zieht er nach Zagreb, weil er dort mehr Geld verdienen kann. Ich habe im November 2015 die erste Fake-News-Webseite erstellt. „Das war ein Freundschaftsdienst“, sagt er, „bis dahin hatten die Teenager vor allem Seiten über Sport, Autos oder Gesundheitsthemen gefüllt.“ Das waren oft keine Falschmeldungen, sondern einfach kopierte Artikel aus dem Netz.

„Doch einer von den Jungs dachte, im US-Wahlkampf lässt sich Geld mit Politikmeldungen verdienen.“ Nikola B. schrieb die Webseite in zwei Stunden. Sie heißt „USpoliticstoday.com“ und ist noch immer online. „Mein größter Fehler war, mich nur für das Schreiben der Webseite bezahlen zu lassen, hätte ich eine monatliche Beteiligung genommen“, sagt er, „wäre ich jetzt reich.“

Veles verfällt stetig

Das ist eine der Besonderheiten in Veles, die sich überall feststellen lässt, egal, in welche der Kneipen auf dem Hauptboulevard man geht: „Drama“, „Escape“ oder „The End“. Niemand zeigt Unverständnis für die Autoren dieser Webseiten, niemand verurteilt das Geldverdienen mit Lügen. Die Einwohner erzählen eine Geschichte vom stetigen Verfall der Stadt.

Vor 20 Jahren habe Veles, einst Lieblingsstadt des jugoslawischen Staatsgründer Tito, genauso ausgesehen wie heute: ebenso arm und grau, Matratzen liegen auf dem Gehweg, ein verbrannter Geruch in der Luft, entweder vom Smog der Fabrikschlote oder von den vielen Kohleheizungen der Häuser. Wer einen besseren Job hat, verdient 250 Euro pro Monat, doch das reicht auch nicht zum Leben. Trotzdem fahren in den Straßen hin und wieder BMW und Porsches vorbei.

Vor zehn Jahren war die Stadt in den Schlagzeilen, weil der Drogenhandel in Städten wie Frankfurt in der Hand der Veles-Mafia war. Da haben die Jugendlichen sehen können, heißt es, wie schnelles Geld in die Stadt kommen kann.

Viktor T. stieg spät ins Fake-News-Geschäft ein

Viktor T. hat sich inzwischen eine Zigarette angezündet, obwohl Rauchen in Mazedonien in geschlossenen Räumen verboten ist. Niemand hindert ihn. Seine erste Politik-Webseite hieß „infoglobepress.com“, er ist spät eingestiegen, im April 2016. Das Titelbild ist eine Hand, die eine Erde zwischen Daumen und Zeigefinger hält. Es sieht aus, als wollte sie die Erde zerquetschen.

Er ist sich nicht sicher, welchen Einfluss Webseiten wie seine auf den US-Wahlkampf hatten: Möglich, dass sie den Präsidenten Donald Trump überhaupt erst ermöglichten. Möglich, dass sie die Beziehung zwischen Medien und Lesern nachhaltig zerstört haben.

Wie hat es begonnen?

„Irgendwann haben wir gemerkt, dass falsche Nachrichten mehr verkaufen. Die Amerikaner sind so blöd, die glauben alles.“

Hast Du ein schlechtes Gewissen?

„Ja, manchmal schon, aber es gibt doch überall Lügen in der Politik.“

Bist Du für Trump?

„Er ist super! Ich meine, es ist leichter für uns, weiter Nachrichten über ihn zu schreiben, wenn er im Amt ist.“

Bürgermeister sieht Veles nicht als „Heimat der Lügen“

Der Bürgermeister von Veles, Slavcho Chadiev, ist ein freundlicher Mann mit stets offener Tür. Er musste viele Fragen zu den Jugendlichen seiner Stadt beantworten in den vergangenen Wochen. Erstaunlich, dass er den schlechten Ruf seiner Stadt mit Humor nimmt: „Wenn Sie wollen“, sagt er, „können Sie gern ihren nächsten Wahlsieger in Deutschland bei mir bestellen.“ Meint er das ironisch?

Bürgermeister Slavcho Chadiev.
Bürgermeister Slavcho Chadiev. © sören kittel | sören kittel

Chadiev schüttelt den Kopf: „Es kann doch nicht sein, dass ein paar Jugendliche hier Trump zur Wahl verholfen haben.“ Nein, der Bürgermeister sieht die Nachrichten über Fake-News aus Veles selbst als Falschmeldung an, schließlich gebe es auch in anderen Städten clevere Jugendliche. „Sie haben nichts Illegales getan“, sagt er. „Und sie zahlen ihre Steuern auf die Einkünfte.“ Den Vorwurf, die „Heimat der Lügen“ zu sein, will er nicht auf sich sitzenlassen. Außerdem sei es jetzt zu Ende mit den meisten Webseiten.

„Es geht ihnen nur um das Geld“

Webdesigner Nikola B. erzählt, dass wirklich einige Webseiten empfindliche Einbußen hatten, nachdem Journalisten auf Falschmeldungen hinwiesen. Bis zu einer halben Million Euro sollen nicht ausgeschüttet worden sein. Die Einnahme-Konten wurden gesperrt. „Aber sie haben meist einfach neue Konten eröffnet“, sagt er. „Und oft wird vergessen, dass Google mitverdient, sie schütten nur einen Teil der Werbeeinnahmen an die Betreiber aus.“ Deshalb sei das Interesse der Konzerne am Schließen der Webseiten so gering.

Auch Nikola B. nimmt die Jugendlichen in Schutz: „Sie haben politisch keine Ahnung, sie wissen oft nicht einmal, ob die Nachrichten stimmen.“ Wer weiß schon, ob der Papst eher für Clinton oder Trump gewesen sei? „Es geht ihnen nur um das Geld.“

Auch Wahlen in Deutschland werden Thema sein

Inzwischen hat im „Inbox“ eine Live-Band begonnen zu spielen, Viktor T. muss noch lauter reden. Bald wird er wie seine Freunde nach Hause gehen. Er wird sich im Hochhaus, in dem seine Eltern wohnen, an den Computer setzen, die House-Musik auf dem Kopfhörer lauter stellen und anfangen, zu tippen. Kaffee und Cola werden ihn wach halten. Er wird sich in die Facebook-Profile fiktiver US-Bürger einloggen, „Sienna West“ oder „Mike Thompson“ hat er sie genannt, und wird mit denen die Nachrichten seiner Webseite verbreiten.

Das ist langweilige Klickarbeit, immer wieder den blauen Button „Share“ und „Like“ anklicken. Von dem Wort „Post-truth“, das auf deutsch mit „postfaktisch“ zum Wort des Jahres 2016 gewählt wurde, hat er nie gehört. Drei Fragen noch:

Bald sind Wahlen in Deutschland, ist das ein Ziel für Euch?

„Logisch: Wenn Ihr viel klickt, bekomme ich Geld. Wir werden auch über Merkel schreiben, die kennt eben jeder.“

Du gibst kaum Geld aus, worauf sparst Du?

„Auf einen VW Golf 6, rot lackiert.“

Wo siehst Du Dich in fünf Jahren?

„Ich will auswandern, am liebsten in die USA.“