Harmanli. Flüchtlingsunruhen in Bulgarien sorgten zuletzt für Aufsehen. Sie protestierten gegen die elendigen Bedingungen. Ein Besuch am Lager.

Hier, an der bulgarischen Grenze zur Türkei und Griechenland, bäumt sich die EU noch einmal auf. An jeder zweiten Straßenkreuzung im Ort Harmanli steht eine Tafel, die auf ein EU-Bauprojekt hinweist: eine Landstraße, eine Brücke, eine Fabrik. Das Signal: Hier gibt es Zukunft, dem trostlosen grauen Plattenbau-Dschungel zum Trotz.

In diesem Ort liegt das Heim, das Ende November weltweit für Schlagzeilen sorgte. 3000 Flüchtlinge wohnen hier, rund die Hälfte beteiligte sich an einem Aufstand. Sie wehrten sich gegen die hygienischen Bedingungen im Flüchtlingslager: 130 Bewohner litten an Hautkrankheiten und Virus-Infekten.

Stundenlange Kämpfe mit der Polizei

Die Proteste eskalierten, als für die Flüchtlinge ein Ausgangsverbot erlassen wurde. Diese lieferten sich daraufhin stundenlange Kämpfe mit der Polizei, zündeten Reifen an und bewarfen Beamte mit Steinen. Schließlich wurden 400 Flüchtlinge festgenommen.

Fragt man Mitarbeiter von Hilfsorganisationen vor Ort, die nicht namentlich genannt werden wollen, hört man auch andere Geschichten. „Verletzte Flüchtlinge haben mir erzählt, die Polizei hätte nachts eine Razzia im Lager durchgeführt“, berichtet ein Helfer, „und jeden, den sie zu fassen bekamen, mit einem Schlagstock verprügelt.“

Besuch im Lager nicht erlaubt

In Harmanli wohnen besonders viele Afghanen. Sie seien häufig Analphabeten. „Der Plan ist, dass sie freiwillig die Rückführung akzeptieren“, sagt der Helfer, „und ich weiß von einigen, die jetzt so weit sind.“

Das Lager in Harmanli wurde gleich nach dem Aufstand renoviert. Bauerarbeiter stellten einen neuen Zaun auf, bauten Stacheldraht an dessen Oberseite und sprühten graue Farbe auf das Metall. Einen Besuch lässt die Leitung des Heims aber dennoch nicht zu. Eine Anfrage an das Amt für Migration beim Innenministerium bleibt ebenfalls unbeantwortet.

180.000 Menschen flüchteten über die Türkei

Nach neuesten Zahlen der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex sind 2016 etwa 180.000 Flüchtlinge über die Türkei nach Europa gereist. Seit Mazedonien einen Grenzzaun gebaut hat, versuchen die Menschen, über Bulgarien und seine teils noch ungesicherte Grenze zu gelangen – in eine der strukturschwächsten Regionen Europas.

Ausgerechnet hier will man sich zum „Las Vegas“ des Balkans entwickeln. Rund 100 Casinos gibt es schon, von Weiten blinken ihre Namen in der sonst grauen Landschaft: „Princess“, „Nymphe“, „Pegasus“. Doch Omais Mughal will so schnell wie möglich weiter. Der 24 Jahre alte Pakistaner steht auf einer Landstraße, es ist windig, die LKW hupen gereizt, wenn sie an ihm vorbeifahren.

„Wir wären beinahe verdurstet“

© Sören Kittel

Er trägt eine gelbe Jacke, zu dünn für die Jahreszeit. Omais lebt seit vier Monaten im Flüchtlingsheim Pastrogor, dem dritten in der Grenzregion. „Es ist Stillstand“, sagt er, „wir sitzen hier fest.“ Im Mai ist er mit seinem Bruder aus Pakistan in den Iran geflogen, von dort über den Landweg in die Türkei und eines Nachts vor vier Monaten über die Grenze nach Griechenland. Die liegt nur zehn Kilometer entfernt.

Er und sein Bruder haben es geschafft, weil sie sich in einem Waldstück vor den Grenzsoldaten versteckt haben. „Es war das Schlimmste, das ich je erlebt habe“, sagt er. „Wir wären beinahe verdurstet.“ „Wenn die Grenzkontrollen wie jetzt kürzlich wieder verschärft werden“, sagt er, „dann erhöhen die Schleuser nur ihre Preise.“ Sein Eindruck ist, dass zurzeit wieder mehr Neuzugänge ins Lager kommen.

Kurz vor Weihnachten gibt es Grund zur Freude

Doch nur einer aus dem Heim von Omais Mughal weiß, wie es mit ihm weitergeht: Der 39-jährige Bahadur Shah hat eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen – für Bulgarien. Die Gegend um Pastrogor wird seine neue Heimat, mit ihren EU-Bauschildern, blinkender Casino-Werbung und dem blauen Schild mit weißer Schrift („Istanbul 270 Km“). Doch Shahs Freude ist geteilt.

„Meine Frau und meine sieben Kinder sind noch in Kabul, ich habe seit Wochen nichts von ihnen gehört.“ Die Taliban hatten gedroht, ihn zu entführen. Deswegen floh er, doch seine Familie musste er zurücklassen. Der bewilligte Asylantrag sei das erste positive Zeichen seit Langem. „Europa hat mir geholfen“, sagt er leise.