Berlin. Ein neuer Bericht der Bundesregierung zeigt: Die Zahl der Überschuldeten steigt. Besonders Ältere und Alleinerziehende sind betroffen.

Viele gehen erst, wenn es schon fast zu spät ist. Es kostet Überwindung, sich einzugestehen: Ich schaffe es nicht alleine, das Geld ist zu knapp, der Schuldenberg zu hoch. Rund 650.000 Menschen in Deutschland haben sich im Jahr 2015 in einer der 1400 Schuldenberatungsstellen helfen lassen.

„Überschuldet zu sein muss man sich erst mal eingestehen, das ist mit Schuld und mit Scham behaftet“, sagt Matthias Bruckdorfer von der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Wohlfahrtsverbände. „Die Leute kommen erst, wenn gar nichts mehr anderes geht.“ Wie steht es aktuell um die Schulden der Deutschen? Ein Überblick.

Wie viele Menschen gelten in Deutschland als überschuldet?

Zum 1. Oktober 2016 waren in Deutschland insgesamt 6,8 Millionen Bürger über 18 Jahren verschuldet. Das entspricht einer Quote von 10,06 Prozent. Sie ist erstmal seit acht Jahren wieder zweistellig. Im vergangenen Jahr betrug die Quote 9,92 Prozent. 2009 trugen Kurzarbeitsprogramme und sinkende Ölpreise dazu bei, dass die Schuldenquote stark sank. Derzeit leben in Deutschland nach den Zahlen des Schuldneratlas 2016, auf den sich auch die Bundesregierung in ihrem „Armuts- und Reichtumsbericht“ unter anderem bezieht, 4,17 Millionen Menschen, die dauerhaft überschuldet sind. Das sind 2,05 Millionen Haushalte.
Bei ihnen geht es um juristische Sachverhalte, etwa Inkassoverfahren.

Gibt es „gute“ und „schlechte“ Schulden?

„Eine Regierung, die Arbeit eklatant stärker besteuert als Kapitalbesitz, handelt verantwortungslos und versündigt sich am Gemeinwohl“, meint Linke-Chef Bernd Riexinger.
„Eine Regierung, die Arbeit eklatant stärker besteuert als Kapitalbesitz, handelt verantwortungslos und versündigt sich am Gemeinwohl“, meint Linke-Chef Bernd Riexinger. © imago/Jens Jeske | imago stock&people

Menschen, die etwa für den Bau eines Hauses einen Kredit aufgenommen haben oder ein Auto leasen und die Raten regelmäßig zurückzahlen, gelten als verschuldet. Sie sind aber nicht überschuldet. Bei den überschuldeten Personen wird noch mal unterschieden. „Hart überschuldet“ bedeute, dass es bereits einen juristisch relevanten Sachverhalt gibt, etwa eine Privatinsolvenz, erklärt Michael Bretz von der Creditreform Wirtschaftsforschung, die den Schuldneratlas erstellt. Als „weich“ überschuldet gilt jemand, der „nachhaltige Zahlungsstörungen“ aufweist – etwa, wenn man Verpflichtungen wie der Mietzahlung nicht nachkam und bereits mehrfach gemahnt wurde.

Welche Gruppen sind besonders betroffen?

Laut Statistischem Bundesamt suchten alleinlebende Männer im Jahr 2015 besonders häufig die Schuldnerberatungsstellen in Deutschland auf. Sie waren mit 30 Prozent die größte Gruppe. Häufig in Beratung waren auch alleinerziehende Frauen. Der Wirtschaftsrat der CDU fordert daher gezielte Hilfsmaßnahmen. Unterhaltspflichtige Ex-Partner sollten zu Leistungen verpflichtet werden, sagt Generalsekretär Wolfgang Steiger. Außerdem sind deutlich mehr ältere Menschen hoch verschuldet.

Was sind die Gründe?

Arbeitslosigkeit, Trennung, Krankheit sind die häufigsten Gründe für private Überschuldung. Übermäßiger Konsum folgt auf dem vierten Platz vor der gescheiterten Selbständigkeit. Aber auch wer arbeitet, kann in die Überschuldung rutschen. Immer häufiger ist Einkommensarmut der Grund dafür, dass Menschen ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. „Wir haben einen sehr breiten Niedriglohnsektor“, sagt Bruckdorfer. „Je niedriger das Einkommen ist, desto höher ist das Risiko, sich zu überschulden.“ Im hohen Alter sind oft die Ersparnisse aufgebraucht.

Was sagt die Politik?

„Die Zunahme überschuldeter Haushalte ist ein Warnsignal, gerade wenn Einkommensarmut dafür eine Ursache ist“, sagt FDP-Chef Christian Lindner.
„Die Zunahme überschuldeter Haushalte ist ein Warnsignal, gerade wenn Einkommensarmut dafür eine Ursache ist“, sagt FDP-Chef Christian Lindner. © dpa | Roland Weihrauch

FDP-Chef Christian Lindner fordert von der Bundesregierung eine Befreiung vom Solidaritätszuschlag für Menschen mit kleinem oder mittlerem Einkommen. „Die Zunahme überschuldeter Haushalte ist ein Warnsignal, gerade wenn Einkommensarmut dafür eine Ursache ist“, sagt Lindner unserer Redaktion. Es sei eine „Ungerechtigkeit“, wenn von der guten Konjunktur und den niedrigen Zinsen nur der Bundeshaushalt profitiere. Auch Linke-Chef Bernd Riexinger hält Einkommensarmut für den Hauptgrund für Verschuldung. „Eine Regierung, die Arbeit eklatant stärker besteuert als Kapitalbesitz, handelt verantwortungslos und versündigt sich am Gemeinwohl.“ Er fordert einen Mindestlohn von zwölf Euro. So solle Verschuldung verhindert werden.

Warum steigt die Zahl der Schuldner?

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, sieht ein sozialpolitisches Problem. „Die Zahl der überschuldeten Menschen steigt, weil der Anteil derer steigt, die keinerlei Reserven haben“, sagt er dieser Redaktion. „Immer mehr Menschen leben von der Hand in den Mund. Da reicht ein kleiner Ausfall, um in die Überschuldung zu rutschen.“ Schulden an sich sind kein Problem, so Wolfgang Stadler, Bundesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt. „In der heutigen Konsumgesellschaft ist es wirtschaftlich gesehen unsinnig, den Kaufpreis für eine Ware auf den Tisch zu legen, wenn man die Anschaffung auch auf Raten bei einer Null-Prozent-Verzinsung machen kann.“. Krisen förderten den Übergang von der Ver- zur Überschuldung.