Berlin. Die Regierung will Firmen mit einem Nationalen Aktionsplan dazu bringen, Menschenrechte zu achten. Organisationen fehlen Sanktionen.

Auch Kinder im Kongo sorgen dafür, dass unsere Handys laufen. Denn die Mobilfunk-Industrie braucht den Rohstoff Kobalt, ein Metall, das in Akkus verwendet wird – und das Kinder im Süden der afrikanischen Republik aus Minen schürfen. Das jedenfalls behauptet Amnesty International, die Organisation interviewte 87 Minenarbeiter. Zudem stießen die Menschenrechtler bei der Sicherheitsausrüstung auf Mängel. Kobalt aus dem Kongo geht an Unternehmen wie Apple und Microsoft, aber auch deutsche Konzerne wie Daimler.

Immer wieder werden die Vorwürfe laut, das Produktionen weltweit gegen Menschenrechte verstoßen. 23 der 30 Dax-Unternehmen waren in den vergangenen zehn Jahren mit solchen Vorwürfen konfrontiert. Wissenschaftler der Universität Maastricht stuften deutsche Firmen in einem internationalen Vergleich auf Platz fünf ein, nach den USA, Großbritannien, China und Kanada. 2013 starben mehr als 1000 Arbeiter, als eine marode Textilfabrik in Bangladesch einstürzte. Opfer eines Feuers in einer pakistanischen Fabrik verklagen derzeit den Discounter KiK am Landgericht Dortmund auf Schadenersatz.

Lange Debatte, späte Ergebnisse

Doch noch immer fehlt Deutschland ein Nationaler Aktionsplan (NAP) zu Wirtschaft und Menschenrechten – dieser soll Firmen verpflichten, in ihren Produktionsstätten und Lieferketten auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Sozialstandards zu achten. Dabei hatte die EU-Kommission diesen von den Mitgliedsstaaten bereits 2011 gefordert, die Bundesregierung aus Union und SPD schrieb eine Ausarbeitung eines NAP 2013 in ihren Koalitionsvertrag. Doch nun wird die Zeit knapp.

Für die Kabinettssitzung Mitte dieser Woche steht der Aktionsplan auf der Tagesordnung. Doch ob er diskutiert oder gar beschlossen wird, ist unklar. Seit Monaten debattieren Mitarbeiter verschiedener Ministerien über den Plan, Aspekte werden gestrichen und ergänzt, die Veröffentlichung immer wieder verschoben. Fünf Ministerien sind mit der Ausarbeitung des NAP befasst, dazu wurden Unternehmensverbände und Menschenrechtler angehört.

Ein Entwurf, über den die Ministerien nun abstimmen sollen, liegt dieser Redaktion vor. Und nichtstaatliche Organisationen beklagen: Selbst wenn dieser Entwurf jetzt so durchkommt – ihm fehle der Mut, deutsche Firmen entschlossen zur Einhaltung Menschenrechte zu verpflichten. Ein konsequenter Kampf gegen Ausbeutung sei weichgespült worden.

2020 sollen mindestens die Hälfte aller Firmen ihre Standards überprüfen

Die Bundesregierung setzt laut Entwurf vor allem auf eines: dass deutsche Unternehmen freiwillig die Achtung der Menschenrechte in Produktion und Lieferung einhalten. Das Ziel ist ambitioniert: Bis 2020 sollen mindestens die Hälfte aller Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern ihre Standards regelmäßig und sorgfältig überprüfen. Aber eben freiwillig.

Das kritisieren Organisationen wie das katholische Hilfswerk Misereor. „Unternehmen, die ihrer Pflicht nicht nachkommen, müssen weder Bußgelder befürchten, noch Zivilklagen im Schadensfall“, sagt Armin Paasch von Misereor. Auch würden staatliche Förderungen nicht bei Verstößen gestrichen. Nicht einmal eine Androhung von Gesetzesverschärfungen sei in den Plänen der Regierung vorgesehen. Paasch und andere Menschenrechtler werfen der Regierung vor, sie habe den Aktionsplan „verwässert“.

In anderen Ländern gibt es schärfere Regeln

Menschenrechtler verweisen auf EU-Staaten wie Frankreich und Großbritannien, in denen deutlich schärfere Aktionspläne oder Gesetze verabschiedet worden seien. So seien Firmen etwa durch den „Modern Slavery Act“ zu Transparenz über Lieferwege und Produktionsstätten verpflichtet. In Frankreich würden laut einem neuen Gesetz Bußgelder bis zu 30 Millionen Euro drohen. Doch auch in diesen Staaten gibt es Kritik von Organisationen, die Maßnahmen gegen Unternehmen würden zu wenige Sanktionen bei Missachtung von Standards vorsehen.

In Deutschland ging vor allem das von Wolfgang Schäuble (CDU) geführte Bundesfinanzministerium (BMF) im Sommer beim Streichen von Passagen voran, in denen Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden sollten. Sogar Unionspolitiker kritisierten die Einmischung. Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht der Firmen sollte durch das BMF „infrage gestellt sowie einige Formulierungen relativiert“ werden, sagte etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich.

Finanzministerium wollte viele Punkte streichen

Zum aktuellen Stand der Debatte und zu Inhalten des Entwurfs wollen sich die Ministerien nicht äußern. Die Verhandlungen seien noch nicht abgeschlossen, man wolle einem Beschluss im Kabinett nicht vorgreifen, heißt es auf Nachfrage meist. Nur das federführende Auswärtige Amt gibt schmallippig zu Protokoll: „Es ist weiterhin geplant, den Nationalen Aktionsplan bald dem Kabinett vorzulegen.“

Und doch war das Finanzministerium offenbar nicht mit allen Streichwünschen erfolgreich. Auch Menschenrechtler begrüßen die Vehemenz, mit der die Bundesregierung in dem Plan von Unternehmen sowohl Prävention als auch Sorgfalt in ihrer Produktion einfordere. So will die Politik Mitarbeiter staatlicher Unternehmen besser schulen und für Transparenz bei Lieferketten sensibilisieren. Denn aufgrund der globalen Lieferwege über Subunternehmen und Zulieferer werden global agierende Firmengeflechte immer weniger durchschaubar. Sogar für die Unternehmen selbst. So gab etwa Autohersteller Daimler an, die Lieferketten seien zu komplex, um definitiv auszuschließen, dass Kobalt aus dem Kongo oder den von Amnesty erwähnten Förderunternehmen und Zulieferern in seinen Produkten vorkomme.

Große Hürden für Opfer bei Klagen in Deutschland?

Es bestehe für Opfer von Ausbeutung auch die Möglichkeit in Deutschland zu klagen, wie etwa der Fall gegen Kik in Dortmund zeige, sagt Sarah Lincoln vom evangelischen Hilfswerk Brot-für-die Welt. Die Regierung verweist darauf, dass Unternehmen schon jetzt Bußgeld in Höhe von bis zu zehn Millionen Euro drohen, wenn sie Menschenrechte verletzen. Auch die Menschenrechtsbeauftragtes des Regierung, Bärbel Kofler (SPD), nennt den Entwurf „ausgewogen und gut“. Sie kritisiert jedoch scharf, dass der Aktionsplan noch immer nicht von den Ministerien gemeinsam beschlossen wurde.

Doch Firmen – meist Discounter – könnten nicht per Gerichtsurteil verpflichtet werden, sich an menschenrechtliche Standards zu halten, kritisiert Lincoln. Und die Hürden etwa für eine Näherin aus Bangladesch in Deutschland gegen ein Unternehmen zu klagen, sind hoch.

Bundesregierung setzt auf Freiwilligkeit der Firmen

Der NAP verweist zudem auf eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die derzeit ein Konzept gegen Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung ausarbeite. Auch Hinterbliebene von Opfern wie beim Fabrikunfall in Bangladesch sollen besser über ihre Rechte informiert werden – und Geld als Entschädigung für ihr Leid erhalten. Hier will die Koalition Druck ausüben. Der Textilhersteller Kik stellte den Opferfamilien des Fabrikunfalls in Pakistan insgesamt mehr als fünf Million Euro zu Verfügung – freiwillig, keine verpflichtende Zahlung von Schmerzensgeld.

Mittlerweile haben sich 120 Firmen, darunter auch Tchibo und Kik, dem von der Bundesregierung initiierten Textilbündnis zusammengeschlossen, um gemeinsam mit Politik und Gewerkschaften die Arbeitsbedingungen auf gemeinsame Standards zu bringen. Auch hier funktionierte der Zusammenschuss freiwillig. Doch es brauchte dafür erst den Tod von mehr als eintausend Menschen im Schutt der Fabrik in Bangladesch.