Berlin. Zur Bundestagswahl fordern die Parteien besseren Schutz vor Hacker-Attacken aus dem Ausland – und vor falschen Nachrichten im Internet.

Ein Gespenst geht um. Doch für die Geheimdienste ist es kein Spuk mehr, sondern real: Cyber-Angriffe zur politischen Verunsicherung. Seit sich die Hinweise erhärten, dass russische Hacker den US-Wahlkampf beeinflusst haben, befürchten auch die Parteien in Berlin das Schlimmste für die Wahl 2017.

Gegen Angriffe von außen könne man sich besser schützen, aber gegen erfundene Nachrichten, Hass und Hetze „gibt es keine technische Lösung“, gibt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann zu bedenken. Gegen einen unlauteren digitalen Wahlkampf schlägt er im Gespräch mit unserer Redaktion „ein Fairnessabkommen“ vor.

Wer versucht, Wähler zu manipulieren?

Bereits Ende November warnte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, Europa sei im Fokus von „Störversuchen“, besonders Deutschland. Das zielte auf Russland. Die Zurechnung zu einem staatlichen Akteur sei zwar schwierig, so Kahl. Doch zumindest geduldet oder gewünscht sei die Störung schon. Das beschreibt genau das Szenario, vor dem die US-Sicherheitsbehörden inzwischen offen warnen.

Droht zur Bundestagswahl ein Szenario wie in den USA?

Diese Sorge sei berechtigt, sagte FDP-Chef Christian Lindner im Deutschlandfunk. „Das hört man aus den USA, wir sehen es in Europa“, erklärte er. Unabhängig von den Manipulationen habe sich das Kommunikationsverhalten „massiv verändert“, analysiert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Zur Sorge vor Angriffen aus Moskau kommt also eine grundsätzliche Frage hinzu: „Wir Politiker müssen uns immer aufs Neue fragen, wie wir die Menschen erreichen.“

Was geschieht im Internet?

Als Merkel jüngst im Bundestag die Gefahren für demokratische Meinungsbildung aufzählte, nannte sie auch Trolle im Internet. Ein Ritterschlag, schließlich wollen sie Aufmerksamkeit, dafür provozieren sie online mit rassistischen, sexistischen, homophoben oder antisemitischen Äußerungen. Ursprünglich waren Trolle unpolitisch. Mittlerweile gibt es aber bezahlte Gruppen, die gezielt in Foren und sozialen Netzwerken die Kommunikation der Nutzer stören und Propaganda verbreiten.

Sind deutsche Politiker schon Opfer von „Fake News“ geworden?

Viele. Jüngstes Beispiel: Renate Künast. Die grüne Bundestagsabgeordnete wurde auf Facebook zum mutmaßlichen Vergewaltiger und Mörder von Freiburg mit dem fehlerhaft aufgeschriebenen Satz zitiert: „Der traumatisierte Junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen.“ Dazu stellte der Fälscher ein Foto der Politikerin. Als Quelle wurde die „Süddeutsche Zeitung“ genannt. Auf ihrer Facebook-Seite stellte Künast klar: „Dieses Zitat ist frei erfunden.“ Sie reichte Anzeige und Strafantrag gegen unbekannt und die Macher der Facebook-Seite „Widerstand deutscher Patrioten“. Dort hatte eine Künast-Mitarbeiterin die Fälschung erstmals entdeckt.

Zum Fall Künast gibt es eine Vorgeschichte. Im Sommer hatte der Axt-Attentäter von Würzburg mehrere Menschen in einem Regionalzug schwer verletzt. Polizisten erschossen den jungen Flüchtling. Und Künast schrieb auf Twitter: „Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden??? Fragen!“ Dafür wurde die Politikerin heftig kritisiert – was die aktuelle Nachrichtenfälschung für manche Internet-Nutzer im ersten Augenblick womöglich glaubwürdig erscheinen ließ. Nach dem Motto: die schon wieder!

Wer steckt hinter solchen Meldungen?

„Fake News“ sind Nachrichten, die irreführend oder frei erfunden sind – sie fanden im US-Wahlkampf ein breites Publikum. Viele von ihnen kamen aus Veles, einer kleinen Stadt in Mazedonien, wo sich eine regelrechte „Fake News“-Industrie entwickelt hat. Das Prinzip: Man erstellt eine Website, füllt sie mit Inhalten und verbreitet diese über Facebook. Klickt der Nutzer auf die Meldung, wird er auf die Website mit den Falschmeldungen weitergeleitet. Google und Facebook haben angekündigt, den Zugang dieser Seiten zu ihren Anzeigenservices einzuschränken.

Welche Rolle spielen Bots?

Nicht hinter jedem Facebook- und Twitter-Konto steht auch ein Mensch. „Social Bots“ sind Computerprogramme, die selbstständig Nachrichten posten und mit anderen Nutzern interagieren. Die Propaganda-Roboter sind verhältnismäßig leicht zu programmieren und wurden im US-Präsidentschaftswahlkampf häufig eingesetzt. Nach einer Studie der Universität Oxford wurde während der ersten TV-Debatte der Kandidaten ein Drittel der Tweets, die Trump unterstützten, von „Bots“ abgesetzt, bei Clinton war es ein Viertel.

„Bots“ können Trends verstärken und suggerieren, eine bestimmte Meinung sei weiter verbreitet, als sie tatsächlich ist. „Es gibt leider keine Faustregel, wie man ,Bots‘ oder ,Fake News‘ erkennt“, sagt Joachim Wagner, Sprecher des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. „Man muss die Quellen hinterfragen, aber das ist nicht immer einfach.“

Steuern die politischen Parteien dagegen?

Alle Parteien signalisieren: „Social Bots“ als digitale Helfer sollen tabu sein. Oppermann will für den digitalen Wahlkampf mehr: ein Fairnessabkommen. Das bedeutet, „dass sich die Parteien selbst verpflichten, auf ,Social Bots‘ und ähnliche Manipulationen zu verzichten“. Und in der Konsequenz heißt das auch: Verstöße dagegen gemeinsam zu verfolgen.

Die Stimmung ist labil. Das AfD-Bundesvorstandsmitglied Alice Weidel hatte den Einsatz von „Social Bots“ erst als wichtiges Wahlkampfinstrument bezeichnet, dann aber auf ihrer Facebook-Seite gepostet, man werde „keine ,Social Bots‘ einsetzen, die auf Seiten Dritter im Namen der AfD automatisiert Inhalte posten, Algorithmen nutzen oder ähnliches“. Fakt ist: Eine verbindliche Selbstverpflichtung fehlt.

Sind schärfere Gesetze geplant?

Der CDU-Rechtspolitiker Patrick Sensburg legt einen Drei-Punkte-Plan vor: „Gezielte Desinformation zur Destabilisierung eines Staates sollte unter Strafe gestellt werden“, sagte er unserer Redaktion. Auch müssten Verleumdungen im Internet „stärker verfolgt werden“. Da wäre die Justiz gefragt. Zum anderen müssen wir überlegen, „ob es eine Art ,Prüfstelle‘ geben soll, die Propaganda-Seiten aufdeckt und kennzeichnet“.

Ein News-TÜV? Oppermann will Facebook verpflichten, erwiesene Falschmeldungen schnell zu löschen beziehungsweise mit gleicher Reichweite richtigzustellen. Es gibt viel Kritik an Facebook – auch im Fall Künast. Soziale Medien sind schnell, und ist eine falsche Nachricht erstmal in der Welt, ist es schwer, sie auszutreten. Erst nach mehreren Tagen entfernte Facebook den Eintrag. Künast beklagt, dass Facebook nicht wie angekündigt schnell „Hass- oder Falschnachrichten“ löscht.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber sieht aber auch die Medien unter Zugzwang: Journalisten stünden in der Pflicht, „Fake News“ nicht einfach wegen der Klickzahlen schnell „hochzujazzen“, sondern zunächst gründlich zu prüfen. „Hier wünsche ich mir genau so viel Sensibilität, wie das von den Parteien auch verlangt wird“, sagte er. Auch Oppermann meint: „Mit Medien- und Journalistenverbänden sollten wir zusammenarbeiten, um ,Fake News‘ schnell erkennen und gewichten zu können und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen.“