Aleppo/Berlin. Der syrische Bürgerkrieg geht in den sechsten Winter. Assads Gegner verlieren an Boden. Die Menschen sind den Kämpfen ausgeliefert.

Ein Mann rennt über einen Steinhaufen. Er trägt ein nacktes Baby, um das er schützend die Unterarme gelegt hat. Keine 20 Meter hinter ihm steigt eine Rauchsäule auf, die von Granateneinschlägen syrischer Regierungstruppen stammt. Einen Straßenzug weiter ziehen Menschen stumm durch eine Trümmerwüste. Sie schleppen Decken, Taschen, Teppiche und Kleidersäcke. Morgens um sechs Uhr ist es bitterkalt in Aleppo. Das Thermometer zeigt minus zwei Grad.

Der Osten der Stadt ist eingekesselt. Wer kann, flieht. Die Artillerie von Syriens Machthaber Baschar al-Assad feuert pausenlos auf Wohngebäude, wo sich die zumeist islamistischen Aufständischen verschanzt haben, auf Schulen und Krankenhäuser. Die syrische Luftwaffe wirft Fassbomben und Chemiewaffen ab, unterstützt durch russische Kampfjets. 80 Prozent der Rebellengebiete hat Assads Armee bereits erobert. Die völlige Einnahme ist nur noch eine Frage von wenigen Tagen. Einst wohnten in Ost-Aleppo circa 300.000 Menschen. Heute sind es nur noch rund 100.000.

Im Osten können die Menschen die Toten nicht mehr begraben

Hoffnung hat hier keiner mehr. Wir sprechen mit Ismail Abdallah über den Telekommunikationsdienst WhatsApp. Der 29-jährige Helfer der heimischen Rettungsorganisation Weißhelme sieht seine Stadt dem Untergang geweiht. „Wir sitzen nun seit Tagen in einem Unterstand und hören den Bomben zu, die mal näher, mal weiter entfernt von uns einschlagen“, sagt er resigniert. Die Weißhelme hätten aufgehört, die Menschen von Aleppo zu retten. „Die Straßen sind verschüttet, und unsere Fahrzeuge haben keinen Sprit. Wir müssten mit den Händen graben.“

Das sei aber angesichts des Dauerbombardements sinnlos, so Abdallah. „Wir warten, dass wir selbst getroffen werden und unter den Trümmern liegen.“ In seinem Blick liegen nackte Verzweiflung und Schicksalergebenheit. „Die Rache des Regimes an uns wird furchtbar sein. Ich bin überzeugter denn je, dass ich in Aleppo sterben werde“, sagt er.

Kein Wasser, kein Treibstoff zum Heizen, kein Strom

Auch der 28-jährige Journalist Ali al-Ibrahim schildert die Lage in Ost-Aleppo in düsteren Farben. Er habe kürzlich im Al-Maryah-Viertel einen Vater interviewt, dessen Familie im Bombenhagel getötet worden sei. „Der Mann war ganz ruhig, fast glücklich. Er sagte, jetzt können sie sich ausruhen und haben es hinter sich“, erklärt Ibrahim, der für das britische Onlineportal „Middle East Eye“ aus Syrien berichtet. Wasser, Treibstoff zum Heizen oder Strom gebe es nicht mehr. Die Nahrung sei extrem knapp. „Die Stadt ist voller Leichen“, klagt er.

Doch es sei unmöglich, die Toten zu bestatten. „Wir können keine Löcher ausbuddeln, denn der Boden ist hart und oft gefroren. Immer weniger Menschen haben die Kraft, ein Loch zu graben.“ Den Glauben an Hilfe von außen hat Ibrahim völlig verloren: „Wir sterben hier, und es interessiert die internationale Gemeinschaft nicht. Das habe ich inzwischen verstanden.“

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Seit Beginn der Großoffensive syrischer Regierungskräfte Mitte November sind nach Schätzungen knapp 500 Zivilisten in Ost-Aleppo getötet worden, darunter 45 Kinder. Die Angaben stammen von der in London ansässigen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die über ein informelles Netz an Kontakten in der Region verfügt.

Gelber Teddybär-Aufdruck vor Trümmerlandschaft

Was der Krieg in Syrien mit Kindern macht, zeigen die Tweets der siebenjährigen Bana Alabed und ihrer Mutter Fatima. Bana ist ein Mädchen mit großen dunklen Augen, das auf einem Foto in pinkfarbenem Pulli mit gelbem Teddybär-Aufdruck vor einer Trümmerlandschaft posiert. „Heute Abend haben wir kein Haus mehr, es wurde bombardiert“, heißt es in einer der Kurznachrichten. „Ich habe den Tod gesehen und bin fast gestorben.“

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    Kurz nach dem Einrücken der syrischen Truppen in Ost-Aleppo schrieb Mutter Fatima: „Wir sind sicher, dass uns die Armee jetzt fasst. Wir werden uns an einem anderen Tag sehen, liebe Welt.“ Im Netz verbreitete sich schnell der Hashtag #WhereIsBana (Wo ist Bana?). Zeitweise war das Konto nicht erreichbar. Mittlerweile sollen die beiden in einem anderen Rebellenviertel untergekommen sein, heißt es von verschiedenen Quellen, die sich allerdings nicht überprüfen lassen.

    Flüchtlinge üben Kritik an Rebellen

    Doch der Krieg wütet nicht nur im Osten Aleppos. Auch der Westen der einstigen Handelsmetropole, der von der syrischen Regierung und kurdischen Einheiten kontrolliert wird, steht unter Beschuss. So hätten die Rebellen seit Mitte November 114 Menschen getötet, darunter 36 Kinder, meldet die Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

    Einige Flüchtlinge, die es in den Westen geschafft haben, verlieren keine guten Worte über die Aufständischen im Osten. „Wir wollten eigentlich eher fliehen, aber die Rebellen haben uns davon abgehalten“, erzählt Hassan am Telefon aus dem kurdisch besetzten Stadtteil Scheich Maksud. Er habe großes Glück gehabt, die russischen und syrischen Luftangriffe überlebt zu haben. „Die Rebellen hatten alles: Lebensmittel, Arzneimittel, versteckt in Lagern. Sie haben uns nur einen kleinen Teil abgegeben“, beschwert sich der 45-Jährige.

    Mohammed, ein anderer Flüchtling, wirft den Rebellen vor, Zivilisten für politische Ziele zu benutzen. Der Vater von sieben Kindern berichtet am Telefon, er sei von Kämpfern verhört und geschlagen worden, als diese von seinen Fluchtplänen erfahren hätten. „Ich wollte gehen, weil meine Kinder Hunger hatten und sich wegen der Kämpfe und Bombardierungen fürchteten“, erläutert er mit zitternder Stimme. „Ich dachte, dass meine Kinder sterben, wenn ich bleibe.“