Berlin. Ein Schweizer Pegida-Fan denkt sich ein Freiburg-Zitat von Renate Künast aus. Facebook schaut bei der massenhaften Verbreitung zu.

Ein frei erfundenes Zitat von Grünen-Politikerin Renate Künast zum Mord in Freiburg zeigt einmal mehr das kriminelle Vorgehen von Rechtspopulisten und den blinden Empörungseifer mancher Facebook-Nutzer. Und es führt zudem Facebooks Versagen vor.

Der Schweizer Rechtspopulist Ignaz Bearth hat das Bild geteilt, das Künast zeigt und einen Text, der bei den Nutzern den Eindruck eines Zitats von Künast hervorrufen soll (Rechtschreibung so im Original): „der traumatisierte Junge Flüchtling hat zwar getötet man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen.“ Als vermeintliche Quelle steht „Süddeutsche Zeitung“ daneben.

Künast wird Anzeige erstatten

Rund 5000 Mal war das am Sonntag gepostete Bild bereits geteilt, als Facebook es schließlich am späten Dienstagmorgen zumindest vorläufig sperrte. In den Kommentaren gab es viele Hinweise, dass es sich um ein Fake handelt. Viele Nutzer ließen sich aber auch menschenverachtend über Künast aus und ignorierten, dass der Satz nie gefallen ist – Motto: Egal, ob der Satz stimmt, er passt in ihr Weltbild.

Facebook schaute trotz zahlreicher Hinweise lange tatenlos zu. Stefan Plöchinger, Mitglied der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“, empörte sich nach Kontakt mit Facebook auf seiner Facebook-Seite über deren vage Versprechen: „Ein paar Stunden lang nicht wissen, was man mit so einem demokratiezersetzenden Dreck machen soll — das kann man sich als Multimilliardenmedienkonzern schon mal erlauben, gell?“

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Künast bekam eine ähnliche Reaktion, wie sie unserer Reaktion sagte: „Die Vertreterin von Facebook antwortete mir lediglich, sie versuche, das zu lösen.“ Künast kündigte an, Strafantrag zu stellen.

Kritiker: Facebook macht falsche Zitate immer populärer

Gemeldet hatte das Bild auch der Würzburger Rechtsanwalt Chan-jo Jun, der mit Anzeigen gegen Facebook bereits Ermittlungen gegen den Konzern ausgelöst hat. Er sagt unserer Redaktion: „Diese Art der verleumderischen Zuschreibung falscher Zitate zur Aufstachelung zum Hass wird derzeit immer populärer, weil Facebook nicht bereit ist, diese Inhalte zu löschen.“

Jun bekam die Antwort, dass das Bild nicht gegen Facebooks Gemeinschaftsstandards verstößt. Facebook bietet zwar eine versteckte Möglichkeit, Fake News gezielt zu melden, für Fotos gibt es diese Möglichkeit so nicht.

Facebook sah in dem Bild mit dem erfundenen Zitat von Renate Künast keinen Verstoß.
Facebook sah in dem Bild mit dem erfundenen Zitat von Renate Künast keinen Verstoß. © Screenshot/Montage FMG | Screenshot/Montage FMG

Künast hat sich zu dem Mord an der Studentin in Freiburg bisher öffentlich überhaupt nicht geäußert. Sie ist mutmaßlich zum Ziel der aktuellen Attacke geworden, weil sie im Juli kurz nach der Axt-Attacke eines IS-Sympathisanten in Würzburg Schlagzeilen gemacht hatte mit einer vielfach kritisierten Reaktion auf Twitter. Sie hatte Bedauern für die Verletzten ausgedrückt, aber zugleich die Polizei indirekt kritisiert: „Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden?“

Schweizer teilte bereits erfundenes Cohn-Bendit-Zitat

Die frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen fordert, Fake News müssten von den Betreibern der sozialen Netzwerke umgehend nach Meldung gelöscht werden. „Sie untergraben ganz gezielt öffentlich das Vertrauen in die adressierte Person. Im politischen Kontext sind sie sogar eine Gefahr für die Demokratie. Denn sie werden immer mehr zur politischen Stimmungsmache genutzt, das haben wir gerade bei dem US-Wahlkampf gesehen.“ Fake News – „oder sollte man besser Propaganda sagen“ – verbreiteten sich wie ein Lauffeuer, während die Gegendarstellungen meist nur von wenigen zur Kenntnis genommen werden, sagte Künast.

Das zeigt sich auch an einem anderen Bild, bei dem ebenfalls ein Grünen-Politiker betroffen ist und das Ignaz Bearth 2013 ebenfalls auf seiner „Wohlfühl-Page für Rechtsradikale“ (Zitat Vice.com) gepostet hatte. Es zeigt den Europa-Politiker Daniel Cohn-Bendit mit einem Satz „Wir, die Grünen, müssen dafür sorgen, dass so viele Ausländer wie möglich nach Deutschland kommen.“ Mit deren Stimmen könne die Grüne Partei die Republik verändern.

Bewusstes Verbreiten ist Verleumdung

Auch dieses Zitat war frei erfunden. Beim Teilen bekam Bearth mehr als zwei Jahre später Gesellschaft von CDU-Politikerin Erika Steinbach. „Ich schreibe hier keine Doktorarbeit! Sende Infos, die mir wichtig sind“, reagierte sie auf Hinweise, dass das Zitat gefälscht ist. Das Foto findet sich noch heute unter ihren Tweets.

Renate Künast (60) ist Ziel einer Kampagne mit einem frei erfundenen Zitat.
Renate Künast (60) ist Ziel einer Kampagne mit einem frei erfundenen Zitat. © imago/HiPi | imago stock&people

Rechtsanwalt Jun erläutert, dass es sich bei der Verbreitung eines erfundenen Zitats um eine Verleumdung (§ 187 StGB) handelt: Das bedeutet, dass vom Täter wissentlich die unwahre Tatsache verbreitet wird, dass jemand sich wie zitiert geäußert habe. Wenn durch ein solches Vorgehen das öffentliche Wirken eines Politikers erschwert wird, kommt das verschärfend hinzu. Dann (§ 188) stehen auf eine Verleumdung sechs Monate bis drei Jahre Strafe. Über Rechtshilfeersuchen kann Deutschland auch eine Verfolgung in der Schweiz beantragen.

Bearth war Sprecher von Pegida Schweiz

Dass das Zitat ohne An- und Abführungszeichen auch anders etwa als Vorschlag an Künast interpretiert werden kann, dürfte nach Einschätzung von Rechtsanwalt Jun nichts an einem Straftatbestand ändern. „Hier wird ganz bewusst, nämlich durch das Foto und die Quellenangabe der Zeitung der Eindruck eines authentischen Zitats erweckt.“ Die bloße Möglichkeit einer anderen Deutung spiele keine Rolle, wenn es offenkundig um eine Täuschung und Falschinformation gehe.

Fake-Foto-Verbreiter Bearth hat den Großteil (54 Prozent) seiner 110.000 Fans in Deutschland und zielt offenbar auch auf Deutsche, wie sich über einen Follower-Check herausfinden lässt. Nach dem Künast-Bild hat er ein Foto von sich vor dem Brandenburger Tor als Facebook-Seitenfoto gewählt. im Mai war er Redner bei einer „Merkel muss weg“-Demo, in der Vregangenheit auch bei Pegida in Dresden, ehe er sich mit Lutz Bachmann überwarf.

Mit gekauften Fans aufgefallen

Vernetzung scheint ihm wichtig zu sein, er ist auf Fotos rechtspopulistischer Vereinigungen in verschiedenen Teilen Europas zu sehen und unterstützt offenbar gerade in Österreich FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer. Auf eine Anfrage unserer Redaktion zu dem Fake-Foto hat er bisher nicht reagiert.

Nicht einmal vier Prozent der Likes seiner Seite kommen aus der Schweiz, wo er erster Sprecher des dortigen Pegida-Ablegers war, sich aber nach Berichten über seine rechtsradikale Vergangenheit in der Partei National Orientierter Schweizer zurückzog.

Da hatte sich auch bereits gezeigt, dass er es mit Fakes auf Facebook nicht so genau nahm: Vice.com hatte seine Fans analysiert: 43 Prozent kamen demnach Anfang 2015 aus Indien, „41,9 Prozent“, korrigierte er – mit dem Kommentar. „Ich wüsste gerne welche wirtschaftlichen und politischen Organisationen nicht Likes `einkaufen´“.