Rom/Berlin. Italien stimmt am Sonntag über eine Verfassungsreform und den Premier ab. Es droht eine Regierungskrise – mit Auswirkungen auf die EU.

Auf den ersten Blick geht es bei der Volksabstimmung am Sonntag in Italien nur um eine Verfassungsreform. Sie soll, so wünscht es sich Ministerpräsident Matteo Renzi, das Parlamentssystem effizienter und das Regieren einfacher machen. Doch tatsächlich stimmen die Italiener auch über ihren Regierungschef ab, der sein Schicksal mit der „Mutter aller Reformen“ verknüpft hat.

Wird die Volksabstimmung angesichts der miserablen Wirtschaftslage zu einer Abrechnung mit Renzi, könnte das die drittgrößte, hoch verschuldete Volkswirtschaft der Eurozone in eine Regierungskrise stürzen – mit wohl dramatischen Folgen.

Renzi verspricht: Es wird kein Machtvakuum geben

„Diese große Volkswirtschaft ist für die wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum von erheblicher Bedeutung. Das Referendum am kommenden Sonntag hat deshalb Bedeutung, die weit über Italien hinausreicht“, so der Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider.

„Italien ist meine größte Sorge“, sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) dieser Redaktion. „Wenn Italien den Bach runtergeht, dann wird das massive Auswirkungen auch auf Deutschland haben.“ Fratzscher nennt die schwache Wirtschaftsleistung, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die maroden Banken. Italien sei ein viel größerer Fall als Griechenland. Das Land sei „,too big to save“ – also zu groß, um gerettet zu werden.

ifo-Institut erwartet keinen wirtschaftlichen Absturz

Der italienische Staat habe mehr Schulden als Deutschland, „weit über 2000 Milliarden Euro“, meint Fratzscher. Der europäische Rettungsschirm ESM habe zum Vergleich 500 Milliarden Euro. „Wenn Italien also in Schieflage gerät, dann könnte dies den Euro gefährden und eine tiefe Rezession auch in Deutschland verursachen“, warnt der DIW-Chef.

Der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, Clemens Fuest, hingegen erwartet keinen Absturz wie in Griechenland. Es ginge bei dem Referendum auch nicht um einen Euro-Austritt, sagt er dieser Redaktion: „Weder bedeutet ein Ja notwendigerweise einen Verbleib Italiens in der Eurozone, noch bedeutet ein Nein den Ausstieg.“

Keine Massenpanik an den Märkten erwartet

Lehnen die Italiener die Reform ab, würde das Renzi schwächen, meint Fuest. „Zurücktreten müsste er nicht, aber die Reformen, die er begonnen hat, könnten kaum weitergeführt werden“, meint der ifo-Chef. An den Märkten sei ein Nein weitgehend ­eingepreist. Er erwarte „keine Marktpanik“.

Auch die italienische Regierung versucht, Sorgen über eine Regierungskrise mit schweren Folgen für die Finanzmärkte zu zerstreuen. Es werde kein Machtvakuum geben, falls die Italiener am 4. Dezember gegen die Verfassungsreform stimmten, sagte Renzi in Rom. „Das institutionelle Gefüge in Italien hat viele Sicherungssysteme, weshalb es immer eine Regierung geben wird.“

Neuwahlen könnten den Populisten in die Karten spielen

In Umfragen liegen die Gegner der Verfassungsänderung vorn. Tritt Renzi wie angedroht zurück, wären Neuwahlen möglich – und dann auch ein Triumph der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung unter dem Ex-Komiker Beppe Grillo. Der stellt den Euro infrage. Das Wort „Italexit“ geht um – nach dem EU-Austritt der Briten also der Austritt Italiens aus der Währungsunion. Doch noch ist nichts entschieden.

Etwa 22 Prozent der Wahlberechtigten haben sich nach den letzten Umfragen noch nicht festgelegt. Die sind allerdings von Mitte November. Danach durften keine Umfragen mehr veröffentlicht werden. Renzi hat starke Helfer, sogar US-Präsident Barack Obama wirbt für die Unterstützung der Verfassungsreformen des italienischen Regierungschefs.

System mit zwei Parlamentskammern soll entschlackt werden

Renzi, der als „Verschrotter“ der alten Eliten angetretene Ex-Bürgermeister von Florenz, will mit der Verfassungsreform ein blockadeanfälliges System aus zwei gleichberechtigten Parlamentskammern entschlacken. „Wenn uns diese Reform gelingt, haben wir die Kurve gekriegt“, ist sich der Ministerpräsident sicher.

Seit der Föderalismusreform von 2007 geriet das Gesetzgebungsverfahren zunehmend in die Fänge konkurrierender Kompetenzen zwischen Rom und den Regionen. „Für mich ist es entscheidend, das paritätische Zweikammersystem abzuschaffen“, sagt Renzi deshalb.

Reform wird in Italien seit mehr als 30 Jahren diskutiert

Der schwerfällige Gesetzgebungsprozess gilt in Italien als eines der Haupthindernisse auf dem Weg zum dringend nötigen Wirtschaftsaufschwung. Dafür wäre auch eine Justizreform nötig, die für mehr Rechtssicherheit sorgt, eine Grundvoraussetzung für mehr Investitionen. Renzi argumentiert zudem mit einer erheblichen Ersparnis.

Die Reform wird in Italien inzwischen seit mehr als 30 Jahren diskutiert. Nun haben die Italiener die Wahl. Und Reformministerin Elena Boschi warnt angesichts des erbitterten Streits, Italien dürfe die Chance auf Modernisierung nicht verpassen.