Berlin. Andrea Nahles will Deutschland in die Digital-Ära führen. Arbeitgeber sollen künftig über Arbeitszeiten verhandeln. Die sind skeptisch.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will noch vor der Bundestagswahl Millionen Arbeitnehmer aus der „Teilzeitfalle“ befreien: Wer im Job vorübergehend kürzer treten möchte, soll künftig das Recht auf Rückkehr zur früheren Arbeitszeit bekommen – bislang führt der Teilzeitanspruch vor allem bei Frauen oft dazu, dass ihnen der Weg zurück auf eine Vollzeitstelle versperrt bleibt.

Den Gesetzentwurf für das Recht auf befristete Teilzeit legte die Ministerin am Dienstag ihren Kabinettskollegen zur internen Abstimmung vor, der Bundestag soll ihn bis zum Frühsommer beschließen. Es gehe um Respekt vor dem Wunsch nach mehr Selbstbestimmung und Zeitsouveränität, sagte Nahles bei einer Konferenz über die Arbeit der Zukunft in Berlin.

Sozialpartner sollen Wahlarbeitszeit erproben

Dort erläuterte sie auch weitere Pläne, wie Arbeitnehmer von der Flexibilisierung im Zeitalter des digitalen Wandels profitieren sollen: Vor allem durch ein „Wahlarbeitszeit-Gesetz“ könnten Arbeitnehmer stärker selbst bestimmen, wann und wo sie arbeiten.

Wer zum Beispiel sein Kind vor der Arbeit in die Kita bringt, könnte das bald entspannter angehen – denn Arbeitnehmer sollen nach den Worten der Ministerin mit ihrem Arbeitgeber darüber verhandeln können, morgens etwas später zu kommen, um den Kita-Stress zu verringern. „Der Arbeitgeber könnte das nur ablehnen, wenn er gut begründet, warum betriebliche Abläufe das nicht erlauben“, sagte Nahles.

Auch die Arbeit zu Hause im Homeoffice soll auf diese Weise erleichtert werden. Auf der anderen Seite sollen Unternehmen unter bestimmten Bedingungen von Regelungen des Arbeitszeitgesetzes abweichen können, – Zustimmung der Arbeitnehmer, Öffnungsklauseln im Tarifvertrag und Betriebsvereinbarungen vorausgesetzt.

2017 soll Probephase starten

Für die mögliche Aufweichung des Acht-Stunden-Tages will Nahles aber klare Grenzen zur maximalen Länge der Arbeitszeit und eine gesicherte Ruhezeit festschreiben. Nahles plant, 2017 zunächst eine Probephase zu starten: „Wir wollen Arbeitgebern und Gewerkschaften Raum geben, gemeinsam etwas auszuprobieren.“

Die Sozialpartner sollten in „Lernräumen“ in der betrieblichen Praxis die Vereinbarkeit von Flexibilität und Schutz vor Überlastung ausprobieren. Nach Ministeriumsangaben ist geplant, dass sich Unternehmen für die Teilnahme bewerben können. Ziel sei ein „fair ausgehandelter Kompromiss“ zwischen den Erfordernissen der Arbeitgeber und den Bedürfnissen der Arbeitnehmer, die mit Arbeit am Abend oder an Wochenenden vielfach schon in Vorleistung getreten seien, erklärte Nahles.

Arbeitgeber-Präsident Ingo Kramer stellte zwar klar, „totale Flexibilität wird nicht machbar sein“. Das Tempo der Arbeit werde in weiten Bereichen von Kundenwünschen bestimmt. Nahles verwies aber als Beispiel für die Chancen auf eine Betriebsvereinbarung bei Bosch: Dort könnten Mitarbeiter früher nach Hause gehen, um beispielsweise mit ihren Kindern zu Abend zu essen, und dafür später ohne die fällige Spätschichtzulage weiterarbeiten.

DGB-Chef Reiner Hoffmann meinte, die Einrichtung von „Lernräumen“ müsse vor allem dem Ziel dienen, die gesundheitliche Belastung durch flexible Arbeitszeiten zu verringern.

Arbeitgeber-Präsident geht Idee zu weit

Der Plan eines „Wahlarbeitszeit-Gesetzes“ ist ein zentraler Punkt im Entwurf für ein „Weißbuch Arbeiten 4.0“, das Nahles am Dienstag vorlegte. Das Konzept ist das Ergebnis eines fast zweijährigen Diskussionsprozesses mit Experten, Bürgern und Verbänden über die Zukunft der Arbeit.

Es werde für die Arbeit der Zukunft keine Standardlösungen geben können, sondern Leitplanken, meinte Nahles. Ihre Pläne gehen dabei über aktuelle Gesetzesvorhaben hinaus: Sie plädiert für den schrittweisen Ausbau der Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung, die Beschäftigte schon präventiv unterstützt.

„Mein Ziel ist eine Weiterbildungsoffensive und ein Recht auf Weiterbildung, weil sich Anforderungen an Arbeitnehmer in neuem Ausmaß verändern.“ Zunächst will die Ministerin das Recht auf eine unabhängige Weiterbildungsberatung und mehr bedarfsgerechte Förderung einführen. Ihr Bericht verweist auf ein erfolgreiches Pilotprojekt der Bundesagentur für Arbeit zur Weiterbildungsberatung, das jetzt zu einem flächendeckenden Angebot ausgebaut werden soll.

Auch zur Finanzierung von Weiterbildung plädiert die Ministerin langfristig für ein „persönliches Erwerbstätigenkonto“. Jeder Bürger bekäme bei Berufseintritt ein steuerfinanziertes Startkapital, das etwa auch für Elternzeit, Teilzeit oder Existenzgründung eingesetzt werden könnte. Verdi-Chef Frank Bsirske forderte, das Erwerbstätigenkonto solle umgehend eingeführt werden. Arbeitgeber-Präsident Kramer ging die Idee allerdings zu weit: Nahles sage leider nicht, woher das Geld dafür herkommen solle.