Berlin. Angela Merkel will wieder als Kanzlerin werden. In den europäischen Nachbarländern wird ihre vierte Kandidatur kritisch diskutiert.

Seit Angela Merkel (CDU) bekannt gegeben hat, zum vierten Mal Kanzlerin werden zu wollen, wird das Thema in Deutschland kontrovers diskutiert. Aber auch im europäischen Ausland spricht man darüber. Das schreiben Europas Zeitungen zu Merkels Kandidatur:

Spaniens Zeitung „El Mundo“ kommentiert:

„Die deutsche Kanzlerin hat bekanntgegeben, dass sie bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr erneut als Spitzenkandidatin der konservativen Partei antreten wird. Merkel ist zweifellos nicht nur die beste Option, um den Aufschwung des Rechtsextremismus in ihrem Land zu bremsen. Sie kann zudem nicht nur die Stärke der Europäischen Union garantieren, sondern auch die Erfüllung der Politik des Wachstums und der Ausgabendisziplin.“

In Schweden erklärt die Tageszeitung „Sydsvenskan“:

„Eine Geschichte mit vertrautem Geist schreitet in diesen Tagen mit schweren Schritten durch die westliche Welt: Rechtsextremismus, Nationalismus und der Geist des Isolationismus. In den USA ging aus diesem Geist Donald Trump als Sieger der Präsidentschaftswahl hervor. Im Mai nächsten Jahr kann Frankreich an der Reihe sein. Am Sonntagabend kam jedenfalls eine gute und lang erwartete Nachricht: Angela Merkel bestätigte auf einer Pressekonferenz, dass sie nach den deutschen Wahlen 2017 für eine vierte Amtszeit als Kanzlerin zur Verfügung steht. Routiniert und respektiert ist Merkel die vereinigende Kraft in Europa und der EU – und der gesamten freien Welt – so sehr gebraucht in diesen Zeiten, wo so vieles andere ins Wanken geraten ist.“

„La Repubblica“ aus Italien schreibt:

„Die Zukunft wird zeigen, ob die großzügige Ankündigung von Angela Merkel ein Wagnis oder eine Wahl als Folge der politischen Rationalität ist: In der Lage eine Antwort auf die Herausforderungen zu geben, die die deutsche Politik vor unbekannte Fragen stellen wird – wie den unvermeidlichen Wandel Deutschlands zu einem Land der Einwanderung. Oder die Entschlossenheit, die Führung von ganz Europa auf sich zu nehmen, in einem Moment, in dem diese Aufgabe unaufschiebbar scheint. Man denke nur im Osten an den bedrohlichen Aktivismus Russlands unter Putin oder im Westen an das wahrscheinliche Entfernen eines Amerikas unter Trump. Deutschland wäre aus historischen und geopolitischen Gründen als erstes dran, die schmerzhaften Folgen zu spüren.“

Die „Neue Zürcher Zeitung“ aus der Schweiz kommentiert:

„Merkel ist unentbehrlich, wird so suggeriert. Ihre vierte Kandidatur soll als ebenso natürliche Fügung erscheinen wie ihre durch die Bundestagswahl in zehn Monaten folgende Wiederwahl zur Kanzlerin. Bundeskanzlerin Alternativlos also, genau so, wie Merkel zu regieren pflegt. Diese Sichtweise ist ebenso unsinnig wie Merkels stete Behauptung während der Euro-Krise, die immer neuen Milliardenkredite an Griechenland seien alternativlos, wolle man ein „Scheitern Europas“ verhindern. Und sie ist genauso falsch wie Merkels Beharren während der Flüchtlingskrise im letzten Jahr, Hunderttausende von Migranten müssten unkontrolliert ins Land gelassen werden, da man die Grenze ohnehin nicht kontrollieren könne. Alternativlos ist Angela Merkel allenfalls für die CDU, weil die Chefin talentierte Konkurrenten um den Parteivorsitz stets verhindert hat.“

„de Volkskrant“ aus den Niederlanden meint dagegen:

„Mit ihrer Kandidatur gibt Merkel in einer Zeit, in der das Vertrauen in die etablierte politische Ordnung gering ist, ein wichtiges Signal. Es ist eine Zeit, in der Politiker aus Eigennutz oder aus Risikovermeidung zu Alleingängen neigen. Merkel aber bleibt, auch wenn ihr Wahlsieg alles andere als sicher ist. Angela Merkel ist zu diesem Zeitpunkt am besten geeignet, Europa auf dieser bizarren Weltbühne zu vertreten. Wegen ihrer Erfahrung und dem Respekt, den sie genießt, aber auch weil sie die widerborstige geopolitische Realität kennt und keine unrealistisch hohen Erwartungen nährt.“

Russlands „Kommersant“ merkt an:

„Noch 2014 waren viele Medien in Deutschland überzeugt, dass Angela Merkel ihr Amt vorzeitig aufgibt. Aber dann sickerte durch, dass die Bundeskanzlerin eine erneute Kandidatur mit ihren Beratern bespricht. Offen war eigentlich nur, wann und wie sie diese Absicht erklären wird. Nun hat Merkel die Chance, mit ihrem vierten Wahlsieg und einer vollen Amtszeit in einem Atemzug mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl genannt zu werden. Nach Ansicht von Politologen gehört es zu einem der Geheimnisse der langen Dienstzeit von Merkel, aussichtsreiche Konkurrenten zu beseitigen und dann zu fragen: Wer, wenn nicht ich?“

In Tschechien schreibt die Zeitung „Lidove noviny“:

„Angela Merkel ist die bestimmende Persönlichkeit Deutschlands in der letzten Dekade. Das ist schlicht eine Tatsache, welche selbst diejenigen anerkennen müssen, die ihr alles Mögliche vorwerfen: etwa, dass ihr eine feste ideologische Basis fehlt, dass sie Probleme wie ihr einstiger Mentor Helmut Kohl aussitzt und dass sie die deutschen Grenzen übereilt für Flüchtlinge geöffnet hat. An all der Kritik ist etwas dran. Sie verlangt nach Reflexion, nach politischer Konkurrenz und nach einer Alternative. Doch wenn Merkel sich entschieden hätte, nicht noch einmal zu kandidieren, welche glaubwürdige Alternative für den Spitzenposten würde sich dann anbieten? De facto gibt es keine. Auch das ist Teil von Merkels Erfolg, denn sie besetzt selbst die Rolle der unentbehrlichen Mutter der Nation.“

Ähnlich kommentiert „Der Standard“ aus Österreich:

„Sie, der man so oft und so lange nachgesagt hat, sie stehe eigentlich für nichts und ändere ihre Positionen, wie es gerade opportun ist, gilt nun vielen im In- und Ausland als wichtigste Führungsperson, als „letzte Verteidigerin des liberalen Westens“, wie die New York Times schrieb. Allerdings resultiert Merkels vermeintliche Stärke auch aus der Schwäche anderer „Großer“ in Europa. Theresa May ist in Großbritannien mit dem Brexit beschäftigt, François Hollande – unbeliebt wie nie zuvor – blickt ängstlich der Präsidentenwahl und der Bedrohung durch den Front National im Frühjahr entgegen. Apropos: Der vierte Wahlkampf Merkels wird anders als die ersten drei. Zum ersten Mal gibt es eine ernstzunehmende rechtspopulistische Opposition, nämlich die AfD. Diese dürfte sich über Merkels Entscheidung freuen, ist die Kanzlerin doch ihr Feindbild Nummer eins. (dpa)