Washington/Berlin. Fast wie einen Messias feierten die Menschen Barack Obama 2008 in Berlin. Was bleibt vom scheidenden US-Präsidenten? Ein Kommentar.

2008 feierten ihn 200.000 Menschen an der Berliner Siegessäule wie einen Messias. Acht Jahre später blickt Deutschland mit einer Mischung aus Ernüchterung, Anerkennung und Zweifel auf Barack Obama. Der „Yes we can“-Präsident übergibt heute in Berlin eine Welt, die nicht nur wegen der unberechenbaren Charakterschwäche seines Nachfolgers ungewissen Zeiten entgegensieht.

Was bleibt von Obama?

Die amerikanische Verfassung schafft per Definition Unvollendete. Nach acht Jahren ist Schluss. Ein Wimpernschlag am Zeithorizont. Zwangsläufig fällt auch die Bilanz des 44. Präsidenten durchwachsen aus. Wer seine Erfolge und Flops gegeneinander rechnet, wird vielleicht nachvollziehen: Obama hat Amerika und der Welt unter dem Strich gutgetan.

Defizit abgebaut, Autoindustrie flottgemacht

Innenpolitisch steht auf der Habenseite die Bekämpfung der schlimmsten Wirtschaftskrise seit achtzig Jahren. Das Haushaltsdefizit wurde abgebaut, die Autoindustrie wieder flottgemacht, der Arbeitsmarkt um 15 Millionen Jobs bereichert und durch erhöhte Energie-Produktion im eigenen Land die Abhängigkeit der Öl-Staaten im Nahen Osten verringert. Nicht zu vergessen die historische Einführung eines allgemeinen Gesundheitsschutzes (mit den erwarteten Kinderkrankheiten) und gesellschaftspolitische Lockerungsübungen von Homo-Ehe bis zu liberalen Frauen am Obersten Gerichtshof.

Nach außen bleibt der weitgehende Truppenabzug aus dem Irak und Afghanistan in Erinnerung, die Liquidierung Osama Bin Ladens, das Klima-Abkommen von Paris, die friedliche Einhegung des iranischen Atomprogramms und das Ende der Eiszeit mit Kuba.

Gescheitert: Einwanderungs- und Waffenrechtsreform

Es liegt in der Natur der Sache, dass fast alle Wegmarken seiner Präsidentschaft den Test der Zeit erst noch bestehen müssen. Das gilt auch für die Folgen von Fehlern, Versäumnissen und Niederlagen.

Hier wiegen die gescheiterte Einwanderungsreform, die ausgebliebene Verschärfung der Waffengesetze, der grassierende Rassismus und die noch breiter gewordenen politisch-weltanschaulichen Gräben schwer. Ausgerechnet unter dem ersten afro-amerikanischen Präsidenten ist dem Land sein höchstes Gut abhandengekommen: der von unerschütterlichem Optimismus getränkte Glaube an den amerikanischen Traum. Das Amerika von heute ist objektiv betrachtet entschieden besser dran als 2008. Und doch zerrissen, kleinmütig, ängstlich und der kollektiven Paranoia so nah wie nie zuvor.

Militärische Zurückhaltung – ausdruck von Schwäche oder Weitsicht?

Obama hat nach der fatalen Interventionspolitik seines Vorgängers Amerika den Rückzug aus den Krisengebieten dieser Welt verordnet. Aber die Krisen hörten nicht auf ihn. Sie wurden größer, am Boden geglaubte Player, Russland allen voran, stießen in das Vakuum. Obamas Leitlinie des „Führens von hinten“ wurde gerade in der syrischen Tragödie zum Synonym für Feigheit und Flucht aus der Verantwortung. Ob sein Plädoyer für „strategische Geduld“ und weitgehende militärische Zurückhaltung Ausdruck von Schwäche oder erfahrungsgesättigter Weitsicht war, wird die Zukunft zeigen.

Klar ist: Obama hat das Bild vom Weltpolizisten Amerika so nachhaltig verändert, das Deutschland und Europa gezwungen sind, entschieden mehr Eigenvorsorge zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Hier wird Donald Trump nahtlos und mutmaßlich weniger konziliant anschließen. Es ist nicht ohne Ironie, dass Obamas Auftritt in Berlin ganz im Zeichen des großen Unbekannten stehen wird. Obama, der Hoffnungsträger von einst, kommt zum Abschied als Seelsorger. Fürchtet euch nicht…