Berlin. Außenminister Steinmeier war in der Türkei auf schwieriger Mission. Dass es fast zum Eklat kam, zeigt wie groß das Zerwürfnis ist.

Wenn ein Chefdiplomat nach einem Treffen mit einem ausländischen Amtskollegen von „Eintrübung“ spricht, vom „Austausch unterschiedlicher Positionen“ und einem „nicht ganz einfachen Gespräch“, dann heißt das im Klartext: Die Beziehungen sind schlecht, das Klima ist frostig.

Dass es eine schwierige Mission werden würde, zu der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nach Ankara flog, war schon vorher klar. Wie strapaziert die deutsch-türkischen Beziehungen sind, war dann am Dienstag nach dem Gespräch Steinmeiers mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu an den Gesichtern der beiden Politiker abzulesen: Cavusoglu blickte grimmig drein, auch Steinmeiers Miene verriet Missstimmung.

Das Verhältnis ist auf einem Tiefpunkt

Dass Cavusoglu in der gemeinsamen Pressekonferenz das Interesse seines Landes an „guten Beziehungen zu Deutschland“ unterstrich und Steinmeier den Wunsch äußerte, „offen und ehrlich miteinander zu sprechen“, ändert nichts daran: Das Verhältnis beider Länder ist auf einem Tiefpunkt, wie es ihn seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat.

Viel ist zusammengekommen in den letzten Monaten: Die türkische Verärgerung über die Armenien-Resolution des Bundestages, der Streit um das Besuchsverbot auf der Luftwaffenbasis Incirlik, die aus türkischer Sicht zu späte und zu halbherzige Verurteilung des Putschversuchs vom 15. Juli, die deutsche Kritik an den „Säuberungen“, mit denen der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf den Coup reagierte, die Verhaftungen kritischer Journalisten und Oppositionspolitiker, und nun auch noch der Vorwurf Erdogans, Deutschland gewähre Terroristen Schutz – die Liste der bilateralen Probleme ist lang. Hinzu kommt, auf EU-Ebene, der Streit um die Visumfreiheit, der den Flüchtlingspakt gefährden könnte.

Affront bei der Pressekonferenz

Steinmeier durfte nicht hoffen, diesen Berg von Problemen auch nur ansatzweise abtragen zu können. Aber dass es so dick kommen würde, hatte er wohl kaum erwartet.

Bei dem gemeinsamen Auftritt vor der Presse nahm Cavusoglu kein Blatt vor den Mund, sondern konfrontierte seinen Gast gleich mit einer ganzen Litanei von Vorwürfen: Deutschland beherberge tausende Mitglieder der als Terrororganisation verbotenen kurdischen PKK und gewähre Anhängern des Exil-Predigers Fethullah Gülen Schutz, der hinter dem Putschversuch stecke. Die Türkei sei es leid, in der EU von oben herab als Partner zweiter Klasse behandelt zu werden, klagte Cavusoglu. Ein Affront auf offener Bühne.

Türkei will mit Berlin im Gespräch bleiben

Der Bundesaußenminister ließ es sich nicht nehmen, die türkischen Terrorismus-Vorwürfe öffentlich zurückzuweisen: Erdogans Anschuldigung, Deutschland sei ein sicherer Hafen für Terroristen, „können wir schlicht und einfach nicht nachvollziehen“, unterstrich Steinmeier.

Das konnte der Bundesaußenminister später am Dienstag auch Erdogan persönlich vortragen. Denn Steinmeier wurde nicht nur von Premierminister Binali Yildirim empfangen, auch der Staatschef ließ kurzfristig bitten. Das scheint zu zeigen: Trotz Misstönen und Kritik will die Türkei offenbar mit Deutschland im Gespräch bleiben.

Über 110.000 Staatsdiener entlassen

Vor seinem Treffen mit Cavusoglu hatte Steinmeier in der Residenz des deutschen Botschafters in Ankara ein Gespräch mit Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft geführt. Dabei dürfte er einen Eindruck davon gewonnen haben, mit welch großem Einsatz und unter welch hohem persönlichem Risiko sich derzeit Menschen in der Türkei für die Grundrechte, die Meinungsfreiheit und die Rechte von Minderheiten wie der Kurden einsetzen.

Steinmeier traf auch zwei Abgeordnete der pro-kurdischen Partei HDP, deren Vorsitzende seit Anfang November in Haft sitzen. Seit dem gescheiterten Militärputsch haben die türkischen Behörden rund 35.000 Menschen festgenommen. Über 110.000 Beamte wurden entlassen. Erdogan ließ 170 Medien schließen, über 100 Journalisten und mehr als ein Dutzend Kurdenpolitiker einsperren.

Todesstrafe steht wieder auf der Agenda

Steinmeier warb in Ankara um Verständnis: Man möge bitte deutsche Kritik an Massenverhaftungen und Einschränkungen der Meinungsfreiheit „nicht als Anmaßung, nicht als Belehrung von oben herab“ verstehen sondern als echte Sorge. Doch das bleibt wohl genauso ein Wunsch wie Cavusoglus Prognose, dass die deutsch-türkischen Beziehungen schon bald wieder „auf dem alten Stand“ sein würden.

Zumal Ankara auch beim Thema Todesstrafe auf Konfrontationskurs bleibt. Noch Ende September hatte Cavusoglu gegenüber deutschen Journalisten in Ankara angedeutet, das Thema sei vom Tisch: „Die Wogen haben sich geglättet“. Er selbst sei gegen die Todesstrafe und habe sogar seine Frau überzeugt, „jedenfalls zu 80 Prozent“. Dann brachte Erdogan das Thema wieder auf die Tagesordnung.

„Das Volk will die Todesstrafe und meine Frau auch“, sagt Cavusoglu jetzt im Beisein Steinmeiers. Es sei völlig normal, dass die Türkei nach dem Putschversuch die Rückkehr zur Todesstrafe plane. Dass ihre Wiedereinführung zum Abbruch der EU-Beitrittsgespräche führen könnte, schreckt die türkische Regierung offensichtlich nicht. Über die Todesstrafe entscheide „nicht der Westen, sondern das türkische Volk“, erklärte Erdogan.