Berlin. Die Zahl der Studienabbrecher nimmt vor allem in Master-Studiengängen zu. Die Bundesregierung will Betroffenen Ex-Studenten helfen.

Eigentlich, so dachte Susanne Schmidt noch vor einigen Monaten, würde sie bald auf der anderen Seite stehen. Als Lehrerin vor ihrer Klasse, nicht als Schülerin, die Schulbank drückend. Im September allerdings war sie wieder so etwas wie eine Erstklässlerin – in der Lehrklasse für angehende Bürokaufleute. Kurz vor dem ersten Staatsexamen hat sie ihr Lehramtsstudium abgebrochen und eine Ausbildung begonnen.

In deutschen Hörsälen drängen sich die Studenten. Im Wintersemester 2015/2016 waren mit rund 2,8 Millionen so viele Studenten wie noch nie eingeschrieben. Das führt dazu, dass sich in Firmen zwar die Bewerbungen von BWL-Absolventen stapeln, ausgebildete Klempner in Deutschland aber selten werden. Rund 43.500 freie Lehrstellen waren Ende September noch unbesetzt.

29 Prozent der Studenten brechen ihr Studium ab

Und das Dilemma wird noch drastischer, wenn man bedenkt, dass viele Studenten ihr Studium gar nicht abschließen – gut ausgebildete junge Menschen, über deren Potenzial sich viele Unternehmen freuen würden.

Eigentlich wollte die Bundesregierung längst dieses Missverhältnis kitten. Anfang 2015 startete Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) das Programm „Jobstarter Plus“, mit dem das Image der dualen Ausbildung aufpoliert und die Durchlässigkeit zwischen Hochschulen und Betrieben erhöht werden soll. In bundesweit 18 Pilotprojekten sollen Beratungsstellen Studienabbrechern eine Lehrstelle vermitteln. Sie können sich Leistungen aus dem Studium anrechnen lassen, um die Lehre ein Jahr zu verkürzen.

Nur 402 vermittelte Studienabbrecher

Die erste Bilanz des Bildungsministeriums ist allerdings durchwachsen. Bislang konnten 2606 Studienabbrecher beraten werden. 402 davon konnte eine betriebliche Berufsausbildung vermittelt werden. Am gefragtesten war der Ausbildungsberuf Informatiker, an zweiter Stelle folgen handwerkliche Ausbildungsberufe. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bildungsministerium, Thomas Rachel, findet die Zahlen „ermutigend“. „Sie zeigen, dass die Maßnahmen angenommen werden“, sagte er unserer Redaktion.

Angesichts der Anzahl der Studenten, die ihr Studium nicht abschließen, wirken die Maßnahmen aber wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigen aktuelle Berechnungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung im Auftrag des Bundesbildungsministeriums auf Basis des Absolventenjahrgangs 2014, die dieser Zeitung vorliegen. Danach brechen 29 Prozent der Bachelorstudenten ihr Studium ab – das sind bis zu 75.000 pro Jahr. An den Fachhochschulen sind es 27 Prozent. Ein Anstieg um einen Prozentpunkt im Vergleich zu vergangenen Berechnungen auf Basis des Jahrgangs 2012.

Abbruchquoten im Master-Studiengang gestiegen

Die Abbruchquoten bei Master-Studiengängen sind noch deutlicher gestiegen – um vier Prozentpunkte an Unis und an Fachhochschulen sogar um 12. Auch in Anbetracht dieser Quoten will Wanka das Beratungsangebot für Studenten ausbauen. In Nordrhein-Westfallen etwa sollen bis 2019 mit einer Anschubfinanzierung von 1,9 Millionen Euro dauerhafte Beratungsangebote für Studenten entstehen. Startschuss ist der 28. November.

Auch Susanne hat über diesen Weg zu ihrer Lehre bei Gypsilon Software gefunden. Das Unternehmen ist auf Vermittlungshilfe angewiesen. Wie sonst, fragt sich Chef Michael Glasmacher, soll er an die jungen Menschen rankommen? Vier seiner sieben Lehrlinge hat er über das Programm Jobstarter gefunden. „Die ehemaligen Studenten sind viel reifer als etwa Schüler mit mittlerer Reife“, frohlockt der Chef Michael Glasmacher. Er hätte weitere Stellen zu besetzen, findet aber keine geeigneten Bewerber.

Image der Lehrberufe müsste verbessert werden

Rachel beobachtet, dass das Image der Lehre „unter den jungen Leuten besser sein könnte“. Er sieht auch die Unis in der Pflicht, damit Betriebe und Studienabbrecher künftig besser zusammenfinden. Viele Hochschulen seien zu sehr auf den innerbetrieblichen Bereich konzentriert und hätten das Thema Studienabbruch bislang nicht ausreichend im Blick gehabt, kritisiert er: „Das Interesse der Hochschulen für Studienabbrecher muss erhöht werden.“

Anreiz dazu haben Hochschulen kaum. Im dritten Hochschulpakt haben Bund und Länder beschlossen, bis 2020 ein Angebot für 675.000 Studienanfänger zu schaffen. Pro Student erhalten Hochschulen 26.000 Euro. Nur ein geringer Teil des Geldes richtet sich danach, ob das Studium auch abgeschlossen wird. Die Zahl der Studenten aber will die Bundesregierung nicht senken. Nach jahrelanger Rüge durch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wonach die Anzahl der Studierenden im Vergleich zu anderen Industriestaaten gering sei, ist man nun froh über die gut besuchten Hochschulen.