Berlin. Die Großrazzia gegen Salafisten war lange und minuziös vorbereitet. Ausgangspunkt war der Schock nach den Terroranschlägen von Paris.

Die Innenminister von Bund und Ländern übertrafen sich am Dienstag förmlich mit Hinweisen auf die symbolische Wirkung der Großrazzia gegen Salafisten. Die Aktion sei ein „klares Signal“ im Kampf gegen islamistischen Terror, erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Hamburgs Innensenator Andy Grote sprach von einem „Zeichen für unsere wehrhafte, abwehrbereite Demokratie“. Und Hessens Innenminister Peter Beuth sah in der Polizeiaktion „eine eindeutige Botschaft“ an die radikal-islamische Szene in Deutschland.

Signal, Zeichen, Botschaft. Wie auch immer – klar ist, dass die Razzia in zehn Bundesländern, bei der am Dienstagmorgen knapp 200 Wohnungen und Einrichtungen von einem Großaufgebot der Polizei durchsucht wurden, sowie das Verbot der Salafisten-Vereinigung „Die wahre Religion“, minuziös geplant waren. „Wir haben das Verbot gemeinsam mit dem Bund rund ein Jahr lang vorbereitet“, verriet NRW-Innenminister Ralf Jäger am Dienstag.

Anschlag auf das „Bataclan“ war das Fanal

Der letzte Anlass für den Beginn der Planung lässt sich somit ziemlich genau datieren – auf die Anschläge von Paris, bei denen am 13. November vorigen Jahres 130 Menschen von islamistischen Terroristen ermordet wurden. Das Massaker in der französischen Hauptstadt, und somit im Herzen Europas, ließ auch in Deutschland bei Politik und Sicherheitsbehörden den letzten Funken Hoffnung verglühen, der Terror könnte Europa weitgehend verschonen.

Schlag gegen Salafistenszene in Deutschland

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    Der Anschlag auf das „Bataclan“ war auch hierzulande das Fanal, rigoros gegen islamistische Netzwerke, mutmaßliche Attentäter und sogenannte Gefährder vorzugehen. „Nach Paris und den Anschlägen von Brüssel rückte der Gedanke in den Vordergrund, nun müsse man noch genauer auf die islamistische Szene“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Innenpolitiker Thorsten Hoffmann unserer Redaktion.

    „Da sah man: Der Terror kommt näher“

    Sei die Gefährdung durch Anschläge bis dahin noch oft als „abstrakt“ bezeichnet worden, so war durch die Toten in den Nachbarländern Frankreich und Belgien nunmehr „sehr konkret“. Hoffmann: „Da sah man: Der Terror kommt näher.“

    Hoffman gehört auch zu jenen, die die Gefahr von „Die wahre Religion“ schon früh erkannten. Schon vor mehr als einem Jahr verteilte der Dortmunder in der City seiner Heimatstadt unmittelbar neben den Koranverteilern Exemplare des Grundgesetzes. Er weiß: „Die Salafisten betreiben ihre Rekrutierung extrem geschickt. Sie treten nicht aggressiv auf, sondern stehen in der Fußgängerzone und schauen freundlich. Und wenn einer stehen bleibt, setzt ihre Propaganda ganz subtil ein.“

    Die Anti-Terror-Maßnahmen im Überblick

    Die Großrazzia und das Verbot an diesem Dienstag sind nur das bislang letzte Element in einer Reihe von Aktionen in diesem Jahr. Ein Überblick:

    8. November: Die Sicherheitsbehörden nehmen fünf Verdächtige fest, die Freiwillige für den IS in Deutschland angeworben haben sollen. Darunter ist auch der mutmaßliche Top-Islamist Abu Walaa. Dem Zugriff in Dortmund, Duisburg und in Niedersachsen gingen monatelange Ermittlungen voraus.

    2. November: Die Berliner Polizei fasst einen 27-jährigen Mann. Er soll laut Bundesanwaltschaft als IS-Mitglied einen Anschlag geplant haben. Der Haftrichter sieht dafür zwar keinen dringenden Tatverdacht, dennoch bleibt der Mann wegen Urkundenfälschung vorerst in U-Haft.

    27. Oktober: Die Bundesanwaltschaft lässt den 19-jährigen Afghanen Wajid S. festnehmen. Nach den Ermittlungen schloss sich der Mann 2013 in Afghanistan den Taliban an und nahm wiederholt an Kampfhandlungen teil. Er ist der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verdächtig.

    6. Oktober: Der Bundesgerichtshof (BGH) beschließt die Verlängerung der U-Haft gegen einen 19 Jahre alten Syrer, der bereits im März festgenommen worden ist. Er soll für den IS in Berlin den Alexanderplatz, das Brandenburger Tor und das Gebiet um den Reichstag als Anschlagsziele ausgekundschaftet. Der Verdächtige habe seine Erkenntnisse im Februar 2016 an einen Kontaktmann in der Heimat durchtelefoniert. Ihm wird außerdem vorgeworfen, als Kontaktmann für potenzielle Attentäter bereitgestanden zu haben. Laut BGH-Beschluss bot er auch an, „mit zwei unbekannten Personen selbst für den IS in Deutschland einen Anschlag zu begehen“. Der Mann war im Sommer 2015 als Asylsuchender nach Deutschland gekommen.

    9. Oktober: Der Syrer Dschaber al-Bakr wird in Sachsen festgenommen. Er soll einen Anschlag auf einen Berliner Flughafen geplant haben. Der 22-Jährige erhängt sich kurz darauf in seiner Zelle, ein mutmaßlicher Komplize kommt in Untersuchungshaft.

    24. Oktober: Die Bundesanwaltschaft ordnete die Festnahme eines 22-jährigen Deutschen an. Bei seiner Rückkehr aus der Türkei wird der Terrorverdächtige am Flughafen Düsseldorf von der Polizei abgefangen.

    Er soll sich in Syrien dem IS angeschlossen und in einem Ausbildungslager im Umgang mit Waffen unterwiesen worden sein. Zudem habe er weitere Personen in Deutschland auf, ebenfalls zum IS zu reisen und dort dauerhaft zu leben.

    13. September: In Schleswig-Holstein nehmen Sicherheitskräfte drei Syrer im Alter zwischen 17 und 26 Jahren wegen Terrorverdachts fest. Die Männer sollen im Auftrag des IS nach Deutschland gekommen sein, „um entweder einen bereits erhaltenen Auftrag auszuführen oder sich für weitere Instruktionen bereitzuhalten“, so der Generalbundesanwalt.

    17. August: Unter dem Vorwurf, eine Sprengstoffexplosion zu planen, werden gegen einen 27-jährigen mutmaßlichen IS-Sympathisanten aus Eisenhüttenstadt und seinen mutmaßlichen Komplizen Haftbefehle erlassen. Der Terrorverdacht erhärtet sich nicht. (mit dpa)