Berlin. Terror-Propaganda im Namen des Islam – so sehen die Ermittler die salafistische Gruppe „Die wahre Religion“. Doch wer steckt dahinter?

Großrazzia der Polizei am frühen Dienstagmorgen: Im Fokus der Ermittler stehen mutmaßliche Unterstützer der islamistischen IS-Terrormiliz. Es geht offenbar auch um islamistische Propaganda. Was will „Die wahre Religion“?

Seit Jahren schon sorgt die islamistische Vereinigung „Die wahre Religion“ für Schlagzeilen in Deutschland – vor allem wegen ihrer umstrittenen Koran-Verteilaktionen. Erklärtes Ziel der Kampagne unter dem Namen „Lies!“ ist es, jedem Haushalt in Deutschland eine Koran-Übersetzung zur Verfügung zu stellen.

Gruppe will Krieger für den Dschihad rekrutieren

Großrazzia gegen Islamisten-Netzwerk

Mit einer Großrazzia in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und acht weiteren Bundesländern ist die Polizei zeitgleich am frühen Dienstagmorgen gegen mutmaßliche Unterstützer der islamistischen Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) vorgegangen.
Mit einer Großrazzia in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und acht weiteren Bundesländern ist die Polizei zeitgleich am frühen Dienstagmorgen gegen mutmaßliche Unterstützer der islamistischen Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) vorgegangen. © REUTERS | PAWEL KOPCZYNSKI
Hunderte Polizisten durchsuchten etwa 190 Wohnungen und Büros von Organisatoren und Anhängern der radikal-salafistischen Vereinigung „Die wahre Religion“, die hinter umstrittenen Koran-Verteilaktionen in deutschen Städten steht. Diese und die folgende Aufnahme zeigt den Polizeieinsatz in Berlin.
Hunderte Polizisten durchsuchten etwa 190 Wohnungen und Büros von Organisatoren und Anhängern der radikal-salafistischen Vereinigung „Die wahre Religion“, die hinter umstrittenen Koran-Verteilaktionen in deutschen Städten steht. Diese und die folgende Aufnahme zeigt den Polizeieinsatz in Berlin. © REUTERS | PAWEL KOPCZYNSKI
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) teilte am Dienstagvormittag in Berlin mit, dass er die Vereinigung „Die wahre Religion“ verboten und aufgelöst habe. Die Organisation, auch aktiv unter dem Namen „Stiftung Lies“, bringe dschihadistische Islamisten zusammen unter dem Vorwand, für den Islam zu werben, verbreite Hassbotschaften und radikalisiere damit Jugendliche, sagte der Innenminister.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) teilte am Dienstagvormittag in Berlin mit, dass er die Vereinigung „Die wahre Religion“ verboten und aufgelöst habe. Die Organisation, auch aktiv unter dem Namen „Stiftung Lies“, bringe dschihadistische Islamisten zusammen unter dem Vorwand, für den Islam zu werben, verbreite Hassbotschaften und radikalisiere damit Jugendliche, sagte der Innenminister. © REUTERS | PAWEL KOPCZYNSKI
Auch in Pulheim in Nordrhein-Westfalen sichern Polizeikräfte seit dem frühen Morgen ein Gelände, auf dem sich ein Lager der „Lies! Verlag Gesellschaft“ befindet.
Auch in Pulheim in Nordrhein-Westfalen sichern Polizeikräfte seit dem frühen Morgen ein Gelände, auf dem sich ein Lager der „Lies! Verlag Gesellschaft“ befindet. © dpa | Wolfram Kastl
Hinter der Kampagne „Lies!“ steht die islamische Organisation „Die Wahre Religion“.
Hinter der Kampagne „Lies!“ steht die islamische Organisation „Die Wahre Religion“. © dpa | Wolfram Kastl
Ein Kameramann filmte in Pulheim ein Lager der „Lies! Verlag Gesellschaft“, ...
Ein Kameramann filmte in Pulheim ein Lager der „Lies! Verlag Gesellschaft“, ... © dpa | Wolfram Kastl
... in dem Paletten mit verschiedensprachigen Ausgaben des Koran stehen.
... in dem Paletten mit verschiedensprachigen Ausgaben des Koran stehen. © dpa | Wolfram Kastl
In Nordrhein-Westfalen wurden mehrerer Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht, so auch in Bonn. Hier soll sich der Hassprediger und Initiator der Verteilaktion „Lies!“, Ibrahim Abou-Nagie, zuletzt aufgehalten haben.
In Nordrhein-Westfalen wurden mehrerer Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht, so auch in Bonn. Hier soll sich der Hassprediger und Initiator der Verteilaktion „Lies!“, Ibrahim Abou-Nagie, zuletzt aufgehalten haben. © REUTERS | WOLFGANG RATTAY
Auch die Al-Taqwa-Moschee in Hamburg-Harburg war von der Aktion betroffen.
Auch die Al-Taqwa-Moschee in Hamburg-Harburg war von der Aktion betroffen. © dpa | Christian Charisius
Dort vollstreckten mehr als 20 Beamte am Morgen einen Durchsuchungsbeschluss.
Dort vollstreckten mehr als 20 Beamte am Morgen einen Durchsuchungsbeschluss. © dpa | Christian Charisius
Polizisten trugen Kartons und Papiersäcke aus der Al-Taqwa-Moschee.
Polizisten trugen Kartons und Papiersäcke aus der Al-Taqwa-Moschee. © dpa | Christian Charisius
Diese Aufnahme zeigt den Eingangsbereich der Al-Taqwa-Moschee mit Koranversen.
Diese Aufnahme zeigt den Eingangsbereich der Al-Taqwa-Moschee mit Koranversen. © dpa | Christian Charisius
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Laut dem Gründer, dem gebürtigen Palästinenser Ibrahim Abou-Nagie, sind bis Mitte 2016 etwa 3,5 Millionen Exemplare verteilt worden. Doch für den deutschen Verfassungsschutz ist die Koran-Verteilung in Fußgängerzonen nur Fassade, um für eine verfassungsfeindliche Ideologie zu werben.

Die Behörden sehen in „Die wahre Religion“ eine Gruppe, die zur Rekrutierung dschihadistischer Islamisten beiträgt. Führende Akteure, Unterstützer und Aktivisten glorifizierten Terroranschläge und stünden der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nahe.

Teilnehmer seien bereits zur Beteiligung am Dschihad, dem „Heiligen Krieg“, nach Syrien oder in den Irak gereist. Dem Salafisten-Netzwerk sollen mehrere hundert Personen angehören. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es: „Die im In- und Ausland stetig expandierende Kampagne wird von der Öffentlichkeit verstärkt wahrgenommen und entfaltet gerade auf Jugendliche und Heranwachsende eine besondere Anziehungskraft.“

Gründer Ibrahim Abou-Nagie bereits verurteilt

Das Predigernetzwerk wurde laut den Behörden 2005 gegründet und konzentrierte sich zunächst auf Vorträge und Seminare, bevor es mit den Koran-Verteilaktionen mehr Aufmerksamkeit erlangte. Netzwerkgründer und Laienprediger Abou-Nagie wurde in Köln im Februar verurteilt – allerdings wegen gewerbsmäßigen Betrugs.

Zuletzt forderte der nordrhein-westfälische Landtag alle staatlichen Institutionen auf, die Aktivitäten des Netzwerks unverzüglich zu unterbinden. Ein Vereinsverbot liege allerdings in der Zuständigkeit des Bundesinnenministers, befand der NRW-Landtag noch im Oktober.

Salafisten wollen islamistischen Gottesstaat

Salafisten wollen Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach mittelalterlichen Regeln umgestalten. Sie sehen sich als Verfechter eines unverfälschten Islams, lehnen Reformen ab und betreiben die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bezifferte die Zahl radikal-islamistischer Salafisten in Deutschland bis Ende Oktober auf 9200. Es radikalisieren sich dabei immer mehr junge Menschen.

Motor der Radikalisierung ist oft das Internet. Eine autoritäre Erziehung, innerfamiliäre Gewalt und soziale Unsicherheit verstärken Studien zufolge die Bereitschaft junger Menschen, selbst gewalttätig zu werden und sich von Islamisten vereinnahmen zu lassen. (dpa)