Dresden. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) bedauert, dass sich ein harter Kern in Sachsen in der Flüchtlingskrise radikalisiert hat.

Stanislaw Tillich wirkt nicht müde an diesem Vormittag, obwohl er bis 5 Uhr morgens an Beratungen über den sächsischen Etat teilgenommen hat. Angesichts der Schwierigkeiten des Freistaats, die an die Grenze des Staatsversagens reichen, waren die Verhandlungen willkommene Ablenkung.

Herr Tillich, macht es Ihnen noch Freude, Ministerpräsident von Sachsen zu sein?

Stanislaw Tillich : Das Land ist anders, als es gerade in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Die Sachsen sind fleißige und aufrichtige Menschen, die sich jeden Tag darum bemühen, die Chancen zu nutzen, die sie mit der Wiedervereinigung erfahren haben. Sie haben sich in der friedlichen Revolution die Demokratie selbst erstritten. Gleichzeitig betrübt es mich, dass es eine kleine, hässliche Minderheit gibt, die das Bild von Sachsen verzerrt.

Pegida marschiert seit mehr als zwei Jahren. Wie weit sind Sie bei der Suche nach einer Antwort?

Tillich: Auf der einen Seite sind Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit ein hohes Gut. Auf der anderen Seite müssen wir einschreiten, wenn Menschen beleidigt, verleumdet und körperlich attackiert werden. Das tun wir auch. Aber Repression allein reicht nicht. Wir setzen daher auch auf Bildung ...

... und zwar wie?

Tillich: Den Menschen muss der Wert der Demokratie besser vermittelt werden – in der Schule wie in der Erwachsenenbildung. Wir haben Geschichte zum Pflichtfach bis zum Schulabschluss gemacht, damit wir die jüngere Vergangenheit intensiver beleuchten können. Es ist sicherlich wichtig zu wissen, was im 11. Jahrhundert in Sachsen passiert ist. Aber es ist mit Sicherheit noch wichtiger, die gegenwärtigen Entwicklungen beurteilen zu lernen.

Worauf führen Sie die besondere Fremdenfeindlichkeit in Ihrem Bundesland zurück?

Tillich: Die Ausländerquote in Sachsen ist gering. Viele haben in der Vergangenheit kaum Erfahrung mit Migranten gemacht. Es gibt einen harten Kern, der sich in der Flüchtlingskrise radikalisiert hat und dem die Fähigkeit zum Dialog abhandengekommen ist. Das haben wir bitter erfahren bei den Feierlichkeiten zum 3. Oktober, als einige nur noch gebrüllt und gepöbelt haben. Bei Pegida sind es nicht mehr 20.000, die sich Woche für Woche versammeln, sondern nur noch 2000.

Polizei und Justiz in Sachsen sind ins Zwielicht geraten – auch weil Beamte den Eindruck erweckt haben, mit Pegida zu sympathisieren. Zuletzt war es einem terrorverdächtigen syrischen Asylbewerber möglich, sich in einem Leipziger Gefängnis umzubringen. Was ist eigentlich los im sächsischen Staatsapparat?

Tillich: Ich habe keinen Zweifel, dass Polizei und Justiz in Sachsen auf dem Boden des Grundgesetzes arbeiten. Sie wahren politische Neutralität. Aber Sachsen ist nicht fehlerfrei. Um den Selbstmord des Terrorverdächtigen aufzuklären, haben wir eine Expertenkommission eingesetzt. Es ist mein fester Wille, dass wir aus Fehlern die richtigen Schlüsse ziehen. So etwas darf sich nicht wiederholen.

Was muss eigentlich passieren, bevor in Sachsen ein Minister zurücktritt?

Tillich: Mein Justizminister hat erklärt, dass er die politische Verantwortung für den Selbstmord des Terrorverdächtigen übernimmt. Sein Rücktritt hätte aber niemandem geholfen. Es nötigt mir Respekt ab, dass sich Sebastian Gemkow der Verantwortung stellt und sich um die Aufklärung des Falls kümmert.

Wie wollen Sie dem Eindruck vom gescheiterten Freistaat begegnen?

Tillich: Sachsen hat ein Problem. Fremdenfeindlichkeit schadet dem Ansehen des Landes. Sachsen hat aber auch eine andere Seite, die sich durch Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur auszeichnet. Viele Menschen kommen, um bei uns Urlaub zu machen. Darauf wollen wir hinweisen.

Die AfD ist in Ihrem Bundesland besonders stark, Parteichefin Frauke Petry hat ihre Basis im sächsischen Landtag. Sehen Sie eine Chance, bisherige Wähler der Rechtspopulisten von der CDU zu überzeugen?

Tillich: Die Union kann Protestwähler erreichen. Das gelingt am besten, wenn wir die Menschen davon überzeugen, dass wir die großen Probleme lösen – etwa die Herausforderung durch den Flüchtlingszustrom. Wir müssen auch den Eindruck vermeiden, dass wir über die Köpfe der Menschen hinweg regieren. Freihandelsabkommen wie Ceta oder TTIP sind notwendig, um Europa wettbewerbsfähig zu halten. Aber die Art, wie sie verhandelt und erklärt werden, schwächt das Vertrauen in die etablierte Politik – und stärkt populistische Protestparteien wie die AfD.

Sie haben es mit dem Satz versucht, der Islam gehöre nicht zu Sachsen. Ist es erfolgversprechend, die AfD zu kopieren?

Tillich: Ich habe das nicht gesagt, weil ich jemanden kopieren will.

Würden Sie den Satz wiederholen?

Tillich: Ich bleibe bei dem Satz. Und damals schon habe ich mehr als diesen einen Satz gesagt: Die Religionsfreiheit ist in Deutschland nicht nur ein juristischer, sondern ein gelebter Wert. Ganz entscheidend ist der Respekt, den wir anderen Glaubensrichtungen entgegenbringen.

Welches Ergebnis kann die Union in dieser Lage bei der Bundestagswahl erreichen?

Tillich: Die Union will 2017 wieder stärkste Partei werden, um den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin zu stellen. Der Wahlkampf wird die Kraft aller Beteiligten erfordern. CDU und CSU müssen endlich wieder geschlossen auftreten. Ein Ende des Streits ist die wichtigste Voraussetzung, um im Wahlkampf bestehen zu können.

Sie sagen Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin – halten Sie es für möglich, dass Angela Merkel aufhört?

Tillich: Das ist allein die Sache der Kanzlerin. Es wäre gut, wenn Angela Merkel die Entscheidung, ob sie für eine vierte Amtszeit zur Verfügung steht, bald treffen würde. Das Jahr geht zu Ende, und die Wähler sollten Klarheit haben. Es wäre sicherlich gut für die Union, wenn sich Angela Merkel für eine weitere Kandidatur aussprechen würde.

Die Kanzlerin ist nicht einmal zum CSU-Parteitag gefahren.

Tillich: Die Frage, wer zu welchem Parteitag fährt, entscheidet nicht über die Einigkeit in der Union.

Sehen Sie einen Kompromiss im Streit um Obergrenzen für Flüchtlinge?

Tillich: Für mich sind die entscheidenden Fragen: Wie kommen wir zu einer gesteuerten Zuwanderung? Wie können wir die europäischen Außengrenzen so sichern, dass wir wissen, wer hereinkommt und wo er sich aufhält? Wie können wir durchsetzen, dass die Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien endlich zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden? Mit einer endlosen Obergrenzen-Debatte wird man den Herausforderungen nicht gerecht.