Berlin. Gesundheitsminister Hermann Gröhe will die Versorgung mit Medikamenten bundesweit sichern. Der Versandhandel soll nicht mitspielen.

Dieses Geschäftsmodell könnte bald Geschichte sein: Online bestellt der Patient ein Medikament. Während der Kurier das Rezept abholt, bereitet der Apotheker die Bestellung der Arznei vor, samt Tagesrationen und vom Arzt empfohlener Dosierung.

Wenige Stunden später klingelt der Kurier wieder an der Tür des Patienten. Dieses Mal bringt er die Medikamente vorbei. Nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) soll der Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten in Deutschland künftig verboten sein.

Nach genauer Prüfung habe sich der Gesundheitsminister entschieden, eine entsprechende Regelung zu erarbeiten, bestätigt sein Ministerium. Gröhe will nun bei den Abgeordneten von CDU, CSU und beim Koalitionspartner SPD für ein Gesetz werben. Der Minister will mit dem Vorstoß vor allem die wohnortnahe und flächendeckende Versorgung mit Medikamenten über Apotheken bundesweit stärken, heißt es.

Angst vor wirtschaftlichem Einbruch

„Ein Verbot würde uns hart treffen“, sagt Hartmut Deiwick, kaufmännischer Leiter beim Versandhändler Aponeo. In den vergangenen zehn Jahren haben mehr als 1,6 Millionen Menschen Medikamente und Produkte, die es vor allem in Apotheken gibt, bei Aponeo bestellt. Rund 45 Millionen Euro Umsatz macht das Unternehmen den Angaben nach. Etwa eine Million davon mit Arzneien auf Rezept. Aponeo gehört zu den größten Versandapotheken in Deutschland.

Einschränkungen im Versandhandel würden nicht nur einen wirtschaftlichen Einbruch bedeuten, sondern auch zukunftsträchtige Ansätze in der Patientenversorgung blockieren, sagt Deiwick. Zum Beispiel, dass Medikationspläne eingehalten werden. Die richtige und regelmäßige Einnahme der Arzneimittel zähle zu den größten Herausforderungen, so Deiwick: „Je nach Krankheitsbild nimmt jeder zweite Mensch seine Medikamente nicht immer richtig.“

Befürchtungen, dass der Versandhandel die gute Beratung in Vor-Ort-Apotheken nicht einhalten kann, kann er nicht verstehen. „Wer einen Apotheker am Telefon hat, hat mehr Privatssphäre als jemand, hinter dem eine Schlange drängelt und gleichzeitig jedes Wort mithört“, sagt Deiwick. Beraten wird auch per E-Mail, im Testlauf ist die Hilfe per Chat.

Luxemburger Urteil brachte Stein ins Rollen

Auslöser für die Verbotspläne des Ministers ist ein Urteil der Luxemburger Richter aus der vergangenen Woche. Der EuGH beriet über einen Streit zwischen der Deutschen Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und der Deutschen Parkinson Vereinigung. Die Selbsthilfeorganisation hat mit der niederländischen Internet-Apotheke DocMorris ein Bonussystem ausgehandelt.

Profitieren sollen Mitglieder der Vereinigung, wenn sie dort verschreibungspflichtige Medikamente einkaufen. Dagegen hat die Wettbewerbszentrale geklagt. Der EuGH entschied, dass ausländische Versandapotheken die gesetzlich festgelegten Arzneimittelpreise für rezeptpflichtige Arzneimittel unterlaufen dürfen und Patienten mit Boni belohnen können.

Bisher müssen sich Online-Apotheken mit Sitz im EU-Ausland an den einheitlichen Apothekenabgabepreis halten, wenn sie Patienten in Deutschland mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln beliefern. Das ist aber nun nicht mehr der Fall. Stationäre Apotheken, aber auch Versandhändler in Deutschland, sind jedoch über das Arzneimittelgesetz daran gebunden.

„Ungezügelte Marktkräfte triumphieren“

Die Verbände – sowohl die Vertreter der Vor-Ort-Apotheken als auch die der Versandhändler – hatten auf das Urteil aus Luxemburg reagiert. Online-Apotheken im EU-Ausland gelten bereits jetzt als starke Konkurrenz beim Verkauf von Medikamenten oder Apothekenprodukten ohne Rezept. Aspirin, Grippemittel oder spezielle Hautcremes sind über den Internetversand oft billiger zu haben.

„Es kann nicht sein, dass ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen triumphieren“, sagt Friedemann Schmidt, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Er hatte ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Deutschland ins Spiel gebracht. Dem will nun Minister Gröhe folgen.

Krankenkassen gehen auf Distanz

Die Versandapotheker wünschen sich dagegen eher eine Liberalisierung des Marktes. Christian Buse, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken, spricht von einer Inländerdiskriminierung, die verhindert werden muss.

„Warum sollten deutsche Versandapotheken etwas nicht dürfen, was Versender aus anderen europäischen Ländern dürfen? Es geht um die bestmögliche Versorgung der Patienten, was man immer im Blick haben sollte“, sagt Buse. Er fordert, unnötige Hürden abzubauen, neue Techniken zu nutzen und auf „antiquierte Preismodelle“ zu verzichten.

Auch die Krankenkassen reagierten zurückhaltend auf Gröhes Vorschlag. Für den AOK-Bundesverband ist ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Medikamenten ein falsches Signal. Das Bundesgesundheitsministerium sollte nun keine Schnellschüsse machen.

Rechtliche Lage noch unklar

Hinzu kommt: Ob eine Beschränkung des Versandhandels tatsächlich rechtens ist, ist nicht sicher. Das Bundesjustizministerium will erst einmal abwarten bis Gröhes Gesetzesentwurf vorliegt. Rückenwind für die Pläne kommt bereits aus Bayern.

Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) will im November eine entsprechende Initiative im Bundesrat einbringen. „Wir müssen verhindern, dass Apotheken in Stadtrandlagen und wenig frequentierten ländlichen Gegenden schließen müssen“, sagt Huml. „Wer sonst außer Apotheken stellt hier persönliche Beratung, unverzichtbare Notfallversorgung oder Nacht- und Notdienste sicher? Sicher nicht der anonyme Versandhandel“, sagt die CSU-Politikerin.

Wann ein Verbot per Gesetz entschieden sein wird, ist jedoch völlig unklar. Dem Vernehmen nach soll es aber noch vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr eine Entscheidung geben.