Das bedeutet die E-Mail-Affäre für Hillary Clinton
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Von Dirk Hautkapp
Washington. Die erneuten Ermittlungen des FBI gegen Hillary Clinton wirbeln den US-Wahlkampf auf. Diese Folgen könnte die E-Mail-Affäre haben.
Es ist wie in der Notfallaufnahme im Krankenhaus. Man weiß, der Patient ist ernsthaft verletzt. Ob es bleibende Schäden gibt, muss abgewartet werden. Übertragen auf den immer bizarrer werdenden Präsidentschaftswahlkampf in Amerika heißt das: Hillary Clinton hat durch die Neuauflage der Ermittlungen der Bundespolizei FBI im Umfeld ihrer E-Mail-Affäre zehn Tage vor der Wahl den bisher gefährlichsten Schuss vor den Bug bekommen.
Ihr Wahlsieg, vor Tagen angesichts der Selbstdemontage ihres Rivalen Donald Trump noch von US-Kommentatoren als so gut wie sicher apostrophiert, scheint plötzlich wieder fraglich. Das Wichtigste im Überblick:
Was weiß man bisher?
FBI-Chef James Comey hat am Freitag den Kongress in einem knappen Brief darüber informiert, dass die Untersuchungen gegen Clinton, die im Juli mit einer Unbedenklichkeitsbescheinigung zweiter Klasse eingestellt worden waren, wieder aufgenommen werden.
Grund: Bei einem „Beifang“ in einer anderen Sache seien Informationen gefunden worden, die eventuell Staatsgeheimnisse beinhalten, die Clinton betreffen könnten. Comey gab keinerlei Details bekannt. Auch nicht darüber, ob die Untersuchungen bis zur Wahl am 8. November abgeschlossen werden. Und wie sie mit Teil eins in Verbindung stehen.
Im Frühjahr 2015 war herausgekommen, dass Clinton während ihrer Zeit als Außenministerin zwischen 2009 und 2013 ihre digitale Post, dienstlich wie privat, gegen alle Empfehlungen und Gepflogenheiten im Außenministerium über einen nicht gesondert gesicherten Computer-Server in ihrem Privathaus erledigen ließ.
Das FBI schaltete sich ein. Comey warf Clinton im Sommer nach monatelangen Prüfungen einen „fahrlässig leichtsinnigen“ Umgang mit besagten E-Mails vor. Er sah aber keinen Anlass, gegen sie strafrechtliche Schritte einzuleiten. Trotzdem sieht sich Clinton seither dem Verdacht ausgesetzt, „eine unsichere Kantonistin zu sein, die etwas zu verbergen hat“, wie ein US-Magazin schrieb.
Warum ist die Wendung so brisant?
18 Millionen Amerikaner haben bereits vorgezogen gewählt. Sie können die neue Lage nicht mehr berücksichtigen Aber: Unentschiedene Wähler der Mitte werden plötzlich an das größte real existierende Manko der Demokratin erinnert: an ihre mickrige Glaubwürdigkeit.
Demokratische Wähler, die lieber den Linkspopulisten Bernie Sanders ins Rennen geschickt hätten, könnte die unappetitliche Geschichte abtörnen, überhaupt noch zur Wahl zu gehen. Für Republikaner wiederum, die nach den Sex-Eskapaden und frauenfeindlichen Tiraden Donald Trumps schon alle Hoffnung fahren ließen, ist die Rückkehr des FBI auf die Bühne dagegen wie ein starkes Aphrodisiakum. Sie haben (wieder) Grund zur Wahl zu gehen.
Welche Auswirkung sind zu erwarten?
Das wird davon abhängen, mit welchen Info-Häppchen FBI-Chef Comey die Öffentlichkeit bis zum 8. November füttert. Bisher herrscht viel Ungenauigkeit. Es geht nicht um E-Mails, die auf Clintons Geheim-Server verwaltet wurden. Sondern um mehrere hundert Mitteilungen, in denen Huma Abedin, ihre engste Vertraute seit 20 Jahren und wichtigste Wahlkampf-Helferin, und deren Noch-Ehemann Anthony Weiner die Hauptrollen spielen.
Bei dem Namen Weiner rollen sich nicht nur Demokraten die Fußnägel auf. Der ehemalige Kongress-Abgeordnete und Bürgermeister-Kandidat für New York hatte seine Karriere vor die Wand gefahren, weil er wiederholt Sex-Botschaften und peinliche Intim-Fotos von sich via Handy an fremde Frauen versendet hatte, darunter zuletzt auch an eine 15-Jährige aus North Carolina.
Abedin trennte sich darum im vergangenen Sommer von ihm. Das FBI ermittelte weiter und stieß dem Vernehmen nach auf von Weiner wie Abedin gleichermaßen benutzten Computern und Mobilgeräten auf besagte Mails, in denen vertrauliche Informationen von Clinton eine Rolle spielen sollen.
Hillary Clinton will Präsidentin werden
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Warum kommt das FBI quasi am Vorabend der Wahl damit heraus?
Comey sagt, er habe die Informationen am Donnerstag von Ermittlern bekommen und am Freitag, die kontroversen Reaktionen ahnend, sofort gehandelt, um die Neutralität der Behörde unter Beweis zu stellen. Ob Clinton „signifikant“ betroffen sei durch die neuen Funde, sei aber noch unklar, sagte Comey und löste damit in Expertenkreisen Stirnrunzeln bis Empörung aus:
„Entweder hat er schwerwiegende Indizien an der Hand. Oder er sollte erst dann reden, wenn die Dinge ausrecherchiert sind“, sagte ein ehemaliger Fahnder dieser Redaktion. Den Vorwurf, das FBI habe auf politischen Druck Trumps reagiert, der Clinton wegen der E-Mail-Affäre ins Gefängnis stecken möchte, wies Comey zurück. Was ihm aber keine Entlastung brachte.
Das Clinton-Lager ist komplett auf der Zinne. „Wir sind geschockt“, sagen Mitarbeiter. Wahlkampf-Manager John Podesta warf dem obersten Polizisten der USA Unprofessionalität vor. Comey müsse unverzüglich öffentlich erklären, was genau und warum untersucht wird.
Andernfalls trage die Behörde zur Verunsicherung der Wähler bei und könne womöglich den Wahlausgang beeinflussen. Comey ist Republikaner. Seit seinem „Freispruch“ für Clinton im Juli muss der auf zehn Jahre gewählte Karriere-Beamte intern wie extern wütende Kritik einstecken.
Was sagt Clinton – und was Trump?
Die Demokratin, bei ihren Auftritten am Freitagabend sichtlich angegriffen und zerknirscht, forderte das FBI auf, alle Details auf den Tisch zu legen. „Das amerikanische Volk hat das Recht, alle Fakten sofort und vollständig zu kennen.“ Clinton zeigte sich zuversichtlich, dass sich an Comeys grundsätzlicher Bewertung ihres E-Mails-Gebarens – fahrlässig leichtsinnig ja, strafrechtlich relevant nein – nichts ändern wird.
Donald Trump machte sich wenig Mühe, seine Schadenfreude zu verbergen. „Das FBI hat nun endlich den Willen, den furchtbaren Fehler, den es gemacht hat, zu korrigieren“, sagte er in New Hampshire. Für den 70-Jährigen ist die neue Entwicklung wie eine Frischzellenkur. Trump macht sich Hoffnungen, den im Schnitt bei vier Prozentpunkten liegenden Rückstand auf Clinton aufholen und am 8. November gewinnen zu können.
Vorläufiges Fazit?
Die E-Mail-Affäre, von Clinton anfangs belächelt, später notgedrungen als Fehler eingestanden, bleibt bis zur letzten Minute ein Mühlstein am Hals der Demokratin. Weil nicht damit zu rechnen ist, dass die Durchsicht der neuen E-Mails, die Rede ist von mindestens 1000, in zehn Tagen beendet sein wird, würde der Skandal Clinton im Falle eines Wahlsieges auch im Amt begleiten und beeinträchtigen.
Die Republikaner haben bereits erklärt, den Sachverhalt nach allen Regeln der Kunst zu skandalisieren. Selbst über ein Amtsenthebungsverfahren wird schon geredet. Dass Clinton kurz vor der Wahl massiv unter Druck gerät, weil das FBI einen psychisch gestörten Exhibitionisten auf dem Kieker hat, der zufällig der Gatte ihrer wichtigsten Vertrauten ist, macht den von Ungeheuerlichkeiten dominierten Kampf um das Amt des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten vollends zur Farce.
Schon hört man Millionen Amerikaner aufheulen: Zurück auf Los! Wahl verschieben! Neue Kandidaten aussuchen! Weg mit den Knall-Chargen! Aber dafür ist es jetzt zu spät.
So funktionieren die Wahlen in den USA
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Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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