Brüssel. Belgien ist sich einig, dass es dem europäischen Handelsvertrag mit Kanada zustimmen will. Ob CETA jedoch Bestand hat, bleibt fraglich.

Der weiße Rauch am Sitz des Premierministers stieg kurz vor Mittag auf. „Eine sehr wichtige Abmachung“, lobte Hausherr Charles Michel. „Ausgezeichnet – ein Modell für alles, was kommt!“, jubelte Außenminister Didier Reynders, zuständig für die Handelspolitik.

Und der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette, der in den vergangenen Tagen sein Land, die ganze EU und eine – bemerkenswert duldsame – kanadische Regierung in Atem gehalten hatte, war geradezu euphorisch. Was man hier erreicht habe, sei „entscheidend für die Wallonie und die ganze Welt!“.

CETA für Belgien „zwölf Milliarden Euro wert“

Der „Ausgleichsausschuss“, in dem die Vertreter der Zentralregierung mit denen der Regionen und Volksgruppen verhandeln, hatte endlich zustande gebracht, woran die belgische Politik sich zuvor die Zähne ausgebissen hatte. Zwar nicht mehr rechtzeitig für die Unterzeichnung von CETA die eigentlich am Donnerstagnachmittag hatte stattfinden sollen. Aber doch hinreichend für eine zügige Endausfertigung, Verabschiedung und vorläufige (Teil-) Inkraftsetzung von CETA, das laut Premier Michel allein für sein Land „zwölf Milliarden Euro wert ist“.

Der Gipfel ist gestorben, es lebe der Vertrag? Sicher ist das keineswegs. CETA steht eine politisch unwegsame Strecke bevor. Die Hochstimmung könnte in Katzenjammer umschlagen. „Wer glaubt, dass die Wallonie die letzte Hürde für CETA war, kennt den Ratifizierungsprozess von gemischten Handelsabkommen nicht sehr gut“, sagt Bernd Lange, SPD-Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, unserer Redaktion.

SPD-Politiker Lange gibt sich zurückhaltend

„Wir werden das Abkommen im Europäischen Parlament analysieren. Sollten wir grünes Licht geben, geht es seinen Weg durch die nationalen Parlamente. Wenn man sich die kontroversen Debatten in manchen dieser Parlamente anschaut, ist die Messe noch lange nicht gelesen“, sagte er weiter.

Zunächst brauchen die innerbelgischen Absprachen neben dem Segen der heimischen Parlamente das Einverständnisder EU-Partner und -Institutionen , denen das Ergebnis der Beratungen im Hause Michel sogleich zugestellt wurde.

Belgier wollen Zusatzerklärung anfügen

Die EU-Botschafter der 28 Mitgliedstaaten traten noch am Donnerstagnachmittag zusammen, der formelle Beschluss soll bis Freitag Mitternacht im schriftlichen Verfahren folgen: für die Unterschrift unter den CETA-Vertrag und die vorläufige Anwendung der Zollbestimmungen und anderer Kapitel, für die allein die EU zuständig ist. Sowie über die Aufnahme von insgesamt drei Dutzend Zusatz-Erklärungen. Eine solche (laufende Nummer: 35) haben nun auch die Belgier den 1600 Seiten des Abkommens angefügt.

Formal ist das kein Problem. Der Vertrag besteht ohnehin zu mehr als zwei Dritteln aus Anhängen und hat eine eigene Andockstelle für Ergänzungen. Artikel 30,1 stellt fest, dass „die Protokolle, Anhänge, Erklärungen, Gemeinsamen Erklärungen, Vereinbarungen und Fußnoten dieses Abkommens Bestandteile desselben sind“.

Bundesverfassungsgericht forderte CETA-Notausgang

Einen solchen Zusatz hat unter anderem auch Deutschland erwirkt, nachdem das Bundesverfassungsgericht einen CETA-Notausgang verlangt hatte: Wenn sich herausstelle, dass CETA gegen das Grundgesetz verstoße, müsse die Bundesrepublik aussteigen können, auch aus der „vorläufigen Anwendung“ von Vertragskapiteln. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ließ sich das von den Partnern zusichern.

Daran nahmen sich die Belgier ein Beispiel. Nur ist ihr Ausstiegsanspruch viel weitreichender. Gemäß der Verfassung Belgiens, die einen Großteil der Macht an die Regionen delegiert, könnten neben dem Zentralparlament auch die Volksvertretungen der fünf Regionen und Volksgruppen die Reißleine ziehen. Wenn also beispielsweise die 25 Abgeordneten des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Eupen CETA ablehnen, wäre die Zustimmung Belgiens und damit das ganze Abkommen erledigt – endgültig.

In Belgien regt sich weiterhin Widerstand

Das Szenario ist nicht weit hergeholt. Schon jetzt kündigen die fünf Regionalparlamente an, das umstrittene Schiedsverfahren für Investor-Klagen abzulehnen, wenn es bis zur Ratifizierung nicht reformiert werde. Vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg möchten die Belgier ein Gutachten, ob die Sondergerichtsbarkeit für Investoren überhaupt mit EU-Recht vereinbar ist.

Eine kanadisch-europäische Zusammenarbeit bei der Marktregulierung wollen sie nur nach vorheriger Zustimmung durch ihre Parlamente im Einzelfall gestatten. Außerdem lassen sie sich noch einmal verbriefen, dass Europa sich grüne Gentechnik vom Acker halten und bei der Warenzulassung nach dem Vorsorge-Prinzip verfahren darf.

Weitere Prüfungen des Abkommens erforderlich

„Ganz schöne Hämmer“, kommentiert ein EU-Diplomat. Es sei keineswegs sicher, dass die Juristen des Ministerrats und der Kommission diese Feststellungen kommentarlos hinnähmen. Vom Vertragspartner Kanada kamen zunächst nur Signale nach der Devise „Das müssen wir uns genauer ansehen.“ Das gilt auch für das Europa-Parlament, das den Gesamt-Deal, belgisches Element eingeschlossen, prüfen und für die vorläufige Anwendung freigeben muss. Das werde vermutlich im Februar geschehen, heißt es in der Dienststelle des Ausschuss-Chefs Lange.

Die Aussichten auf Zustimmung im EP sind gestiegen: Was der wallonische Sozialistenführer Magnette an Verbesserungen und Klarstellungen herausgeholt hat, dürfte in den Reihen der sozialdemokratischen S+D-Fraktion manchen umstimmen, der bislang skeptisch war.

Keine Sicherheit über Ratifizierung

Doch ob ein Vertrag, der von so vielen so leicht gestoppt werden kann, den anschließenden Ratifizierungsprozess übersteht, bezweifeln auch CETA-Befürworter im EU-Apparat. „Wir haben vielleicht eine Schlacht gewonnen“, sagt einer, „aber den Krieg noch lange nicht.“