Putin und die Guten – Merkel und Hollande reden Klartext
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Von Miguel Sanches
Berlin. Für Russlands Präsidenten ist das Dauerfeuer auf Aleppo lediglich Terrorbekämpfung – für Merkel und Hollande ein „Kriegsverbrechen“.
Sie haben ihm Bescheid gestoßen. Aber hat es auch Eindruck auf Wladimir Putin gemacht? Angela Merkel ist da überfragt. „Man kann in einer solchen Unterredung sicherlich nicht sofort die Wirkungen sehen“, antwortet sie. Neben ihr steht der französische Präsident François Hollande und lächelt geheimnisvoll. Er und die Kanzlerin machen den Eindruck, als seien sie nah bei sich. Zwei Stunden lang hatten sie mit dem russischen Präsidenten Klartext geredet. „Wir haben uns die Dinge gesagt“, so Hollande. In solchen Treffen sei es besser, „offen und frei zu sprechen“, ohne diplomatische Floskeln. „Was gerade in Aleppo passiert, ist ein Kriegsverbrechen. Ein echtes Kriegsverbrechen“, schimpft der Franzose.
Bevor Putin um ein Uhr am Morgen das Kanzleramt verlässt, sichert er zu, den achtstündigen Waffenstillstand in Syrien zu verlängern – nach Angaben der Vereinten Nationen vier Tage lang für jeweils elf Stunden. Das ist weniger, als Hollande erhofft hatte: „Wir wollten Druck ausüben, damit der Waffenstillstand so lang wie möglich ausgedehnt wird.“ Auch Merkel reicht es nicht. Nötig sei ein „dauerhafter Waffenstillstand“, sagte sie am Donnerstag vor dem EU-Gipfel in Brüssel. Man könne nicht nach ein paar Stunden wieder mit der Bombardierung weitermachen.
Ukraine-Frage: „Ein hartes Stück Arbeit“ wartet
Anlass des Treffens, das am Mittwoch um 18.30 Uhr begonnen hatte, war die Ukraine-Krise. Nun soll im November ein neuer Zeitplan für die Umsetzung des Minsker Friedensabkommens vorgelegt werden. Die Details müssen von den Außenministern ausgehandelt werden, „nach Maßgabe der Dinge“ noch ein hartes Stück Arbeit, weiß Merkel.
Vorgesehen ist der Rückzug ukrainischer Regierungstruppen und prorussischer Separatisten an vier Frontabschnitten. Und wenn der ukrainische Präsident Petro Poroschenko das Ergebnis der Gespräche richtig wiedergibt, war Russland auch einverstanden mit – bewaffneten – Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Region. Vieles ist noch unklar: der Gefangenenaustausch, die Wasserversorgung in Luhansk, der Abzug von Kämpfern, die Abhaltung von Wahlen. „Es ist ein dickes Brett, das wir zu bohren haben“, sagt Merkel. Aber es sei aller Mühe wert.
Putin: In Aleppo wird Terror bekämpft
Gegen 23 Uhr verlässt Poroschenko das Kanzleramt. Danach geht es zur Sache. Es wäre nicht möglich gewesen („moralisch gesehen“), rechtfertigt sich Hollande, sich mit Putin zusammenzusetzen, ohne ihn auf Syrien anzusprechen. Putin begründet das Dauerfeuer auf Aleppo mit dem Kampf gegen den Terrorismus. „Aber doch nicht um den Preis, dass dort 300.000 Menschen ihr Leben verlieren“, wendet Merkel ein. Hollande unterstützt sie und führt Putin als Beispiel den Kampf um Mossul im Irak vor Augen, um die Stadt, die vom „Islamischen Staat“ gehalten wird. Es könne passieren, „dass hier und da Schläge durchgeführt werden“, erklärt Hollande, „aber wir werden keinen Bombenteppich auf diese Stadt legen“.
Merkel kann überhaupt keinen Sinn in Putins Strategie erkennen. Die Bombardierungen in Aleppo seien unmenschlich, für die Bevölkerung ein grausames Erlebnis. „Ich persönlich glaube auch nicht, dass es gelingt, Terroristen von friedlichen Menschen zu separieren, wenn man permanent solche Angriffe fährt.“ Wie wolle man einen Friedensprozess aufbauen bei so einem Angriff auf die Zivilbevölkerung?
Das ist Bundeskanzlerin Angela Merkel
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Hollande erkennt an, dass in der Stadt Terroristen von Al-Nusra seien, 1000, 2000, vielleicht 3000 Leute, „aber man darf die Opposition nicht mit Al-Nusra verwechseln, wie es seitens des Regimes und der Russen manchmal zu tun versucht wird“. Er und Merkel forderten einen Waffenstillstand, damit die Bevölkerung Atem holen könne und um dem Internationalen Roten Kreuz einen Zugang zu verschaffen. Zudem müsse eine Reihe von Gruppen die Gelegenheit haben, Aleppo zu verlassen.
Kanzlerin macht für Surkow eine Ausnahme
„Wir haben gesagt, wie berührt und wie entschlossen wir sind und welchen Druck wir ausüben wollen, damit wir einen Beginn einer Lösung finden“, erzählt Hollande. Er befürwortet Sanktionen. Die Kanzlerin formuliert es vorsichtiger: „Man kann sich der Option nicht berauben“, bemerkt sie nur.
Insgesamt hatte sie stundenlang verhandelt, bis tief in die Nacht, „man kann ja schon ‚Guten Morgen‘ sagen“, eröffnet Merkel die Pressekonferenz. Putin ist zu diesem Zeitpunkt schon auf der Fahrt zum Flughafen. Die Kanzlerin sieht blass aus, wirkt müde, nicht so aufgekratzt wie Hollande. Wie zur Selbstvergewisserung führt sie aus, „ich denke, dass es richtig war, diese harte Aussprache zu führen“. Mit der Stellung, die Russland in Syrien habe, gebe es eine klare Verantwortung, Einfluss auf den syrischen Machthaber Baschar al-Assad auszuüben. Merkel: „Darauf haben wir in aller Deutlichkeit hingewiesen.“
Hollande sagt, es werde auf dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag eine Diskussion über Syrien geben. Es würden „Optionen eröffnet“ in Bezug auf Verantwortliche, „auf Menschen, die diese Verbrechen begehen“. Ein Muster wären die Einreiseverbote und Kontensperrungen, die nach der Eroberung der Krim gegen Russen verhängt wurden, gegen Leute wie Wladislaw Surkow, der Putin nach Berlin begleiten durfte. Es war ganz einfach. Der Kremlherrscher hatte darauf bestanden – und Merkel für Surkow eine Ausnahme gemacht. Auch dafür gibt es eine EU-Regelung.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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