Brüssel/Braunschweig. Verkehrsminister Dobrindt sagt vor EU-Untersuchungsausschuss aus. Die Staatsanwaltschaft ermittelt indes gegen 30 Beschuldigte bei VW.

Immerhin: Der Bundesverkehrsminister ist bereit, vor dem Dieselgate-Untersuchungsausschuss des Europa-Parlaments zu erscheinen. Alexander Dobrindt ist damit der erste nationale Ressortchef, der den Parlamentariern zum VW-Abgas-Skandal Rede und Antwort steht. Dafür bekommt er Beifall in Brüssel. Doch die Europa-Abgeordneten im Ausschuss „Emissionsmessungen in der Autoindustrie“ (EMIS) stellen kritische Fragen. Die FDP-Vertreterin Gesine Meissner sagt: „Es ist unsere Aufgabe festzustellen: Wer wusste wann was?“

Dobrindt findet die Fehler der Vergangenheit nicht so interessant. Er möchte sich lieber „über die bedeutende Frage der Zukunft der Abgasreinigung unterhalten“. Wer nachbohrt, wie es dazu kam, dass VW und weitere Hersteller Dieselfahrzeuge mit krass überhöhtem Stickoxid-Ausstoß vertreiben konnten, stößt auf eine harte Verteidigungsposition des Zeugen D. Sie besteht aus drei Punkten. Erstens: „Volkswagen hat betrogen.“ Zweitens: Bei anderen deutschen Herstellern – Audi, Mercedes, Opel, Porsche – bestehen zwar Zweifel, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist, doch da liefen jetzt „Optimierungsmaßnahmen“. Und drittens: Schuld seien die löchrigen EU-Vorschriften. Deutschland sei hingegen „das Land, das umfänglich aufklärt“ und in dem „unmittelbar gehandelt wurde“.

Minister behauptet, lange von nichts gewusst zu haben

Die Abgeordneten tun sich schwer, Dobrindt in Verlegenheit zu bringen. Rebecca Harms von den Grünen will wissen, ob der Minister eigentlich mit den deutschen Aufsichtsbehörden zufrieden sei. „Es geht nicht um meine Zufriedenheit“, bescheidet der Zeuge knapp. Im Übrigen habe es „keine Hinweise auf illegale Abschalteinrichtungen vor 2015 gegeben“. Nach den Erkenntnissen, die der Ausschuss bereits eingesammelt hat, ist das eine eher kühne Behauptung.

Ausrichten können Harms und ihre Mitstreiter nur wenig. Zwar bleibt der Verdacht, dass Regierungen wussten oder nicht wissen wollten, dass die Industrie die verbotenen „Defeat Devices“ einsetzt. Also Software, die die Testsituation erkennt und dafür sorgt, dass der Ausstoß an Stickstoff auf dem Prüfstand die Grenzwerte nicht überschreitet. Im Straßenbetrieb liegen die Werte dann viel höher. Doch Ahndungsmöglichkeiten gegen das politische Personal hat der Ausschuss nicht.

Indes schreitet die Suche nach den strafrechtlich Verantwortlichen rund ein Jahr nach Bekanntwerden des VW-Abgas-Skandals voran. Klaus Ziehe, Oberstaatsanwalt in Braunschweig, sagte dieser Zeitung, es würden in der Sache vier Ermittlungsverfahren mit insgesamt 30 Beschuldigten geführt. Eingestellt sei noch kein Verfahren. „Die Zahl der Beschuldigten ist bisher nur gestiegen“, sagte er. Eine durchgehende Mauer des Schweigens zeige sich nicht, stattdessen ergäben sich durch Aussagen immer wieder neue Ermittlungsansätze.

Beschuldigten bei VW drohen bis zu fünf Jahre Haft

Im ersten Verfahren gehe es um die Abgas-Manipulationen beim Dieselmotor. 21 Mitarbeiter des Volkswagen-Konzerns sind beschuldigt. „Der Hauptvorwurf lautet Betrug und unlauterer Wettbewerb“, sagte Ziehe. Im zweiten Fall gehe es um falsche Angaben zum Kohlendioxid-Ausstoß von VW-Fahrzeugen. In diesem Fall mit sechs Beschuldigten stehe die Hinterziehung von Steuern im Mittelpunkt. Die Kfz-Steuer richtet sich nach den Abgaswerten.

Im dritten Fall lautet der Vorwurf Marktmanipulation. Einer der Beschuldigten ist Ex-VW-Chef Martin Winterkorn. Und schließlich wird ein VW-Mitarbeiter verdächtigt, Daten beseitigt zu haben. Die Strafen für Betrug, Marktmanipulation, Urkundenunterdrückung und Steuerhinterziehung reichen laut Ziehe von einer Geldstrafe bis hin zu fünf Jahren Haft.

Das VW-Management ist auch im eigenen Haus unter Druck. Die Verhandlungen über den Umbau von Volkswagen stecken im Streit über Einsparungen und Investitionen fest. VW-Markenchef Herbert Diess strebt offenbar zusätzliche Kostensenkungen um 3,7 Milliarden Euro im Jahr bis 2021 an. Betriebsratschef Bernd Osterloh will sich darauf ohne Investitionszusagen und Beschäftigungsgarantien für jeden Standort nicht einlassen. Seit Monaten ringen mehr als 60 Manager und Betriebsräte in sechs Arbeitsgruppen um die Zukunft von VW.