Berlin. Angela Merkel, Francois Hollande und Petro Poroschenko ringen mit Wladimir Putin um Fortschritte für die Ukraine – und für Syrien.
Wladimir Putin kommt unpünktlich, gut eine halbe Stunde. Das hat bei ihm womöglich sogar Methode. Denn der russische Präsident hat Angela Merkel (CDU) schon häufig warten lassen. An diesem Mittwoch ist er in Berlin der letzte Gast, den die Regierungschefin vor dem Kanzleramt empfängt. Der Ukrainer Petro Poroschenko und der Franzose François Hollande warten längst in der fünften Etage. Im Bankettsaal setzen sie sich danach an einen runden Tisch, die Kanzlerin und die drei Präsidenten, jeweils von zwei Mitarbeitern sekundiert. Es wird simultan übersetzt.
Dabei haben Putin und die Kanzlerin den Vorteil, dass sie sich verstehen. Sie behauptet immer, er spreche besser Deutsch als sie Russisch. Bei ihm kann sie an der Sprache sogar Stimmungslagen festmachen. „Wenn alles in Ordnung ist“, hat Merkel einmal erzählt, „spricht er Russisch mit mir. Doch wenn es ein Problem gibt, spricht er Deutsch und flüstert mir ins Ohr: Alles gut, Angela?“
„Schonungslose Bestandsaufnahme“ soll her
Nichts ist gut. Deswegen sitzen sie an diesem Abend auch nicht zu zweit, sondern zu viert, im Krisen-Modus: im so genannten Normandie-Format. Die erste Zusammenkunft dieser Art im Juni 2014 im Norden Frankreichs war stilbildend. Weitere Treffen folgten, zunächst im Oktober 2014, dann im Februar und Oktober 2015, um zwischen den Konfliktparteien in der Ostukraine zu vermitteln.
Wenn sich alle in Berlin einig sind, dann in einem Punkt: im Erwartungsmanagement. Man könne keine Wunder erwarten, hatte Merkel zuvor gesagt. Es gehe um eine „schonungslose Bestandsaufnahme“ des Minsker Waffenstillstandsabkommens, hatte es in Paris, Berlin, Kiew und Moskau geheißen.
Das ist die halbe Wahrheit. Russlands Präsident kommt zum ersten Mal nach gut drei Jahren nach Deutschland, weil er zu Fortschritten bereit ist. Das Treffen sei gut vorbereitet, er rechne mit einem „starken und konkreten Signal“, verrät der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD). Vorbereitet seien Fortschritte bei den militärischen Entflechtungsgebieten, beim Sonderstatusgesetz und den Regeln für die Kommunalwahlen. „Eine Verständigung zu viert kann dem Friedensprozess ein dringend benötigtes neues Momentum geben“, glaubt Erler.
Beziehungen zwischen Frankreich und Russland arg belastet
Dass das Berliner Treffen stattfindet, ist an sich schon ein Erfolg für Merkel und bestätigt einen Erfahrungssatz: „Wir haben einen Weg gefunden, auch kritische Fragen offen und ehrlich zu erörtern“, hat sie einmal gesagt. Das hat sie Hollande voraus. Die Beziehungen zwischen Frankreich und Russland sind momentan arg belastet. Eine Visite in Paris hatte Putin verärgert abgesagt. Erst dadurch wurde der „Slot“ frei, den Merkel jetzt in Berlin nutzte.
Poroschenko kommt als Erster, es ist 17.15 Uhr. Seine Limousine hält vor dem Eingang. Merkel geht auf dem roten Teppich ihrem Gast lächelnd entgegen, kurzer Händedruck – das zeremonielle Minimum. Herzlicher fällt eine Viertelstunde später der Empfang von Hollande aus, inklusive zwei Wangenküsschen. Dann posieren sie für die Fotografen.
Nach zwei Stunden, für etwa 20 Uhr ist ein Abendessen angesetzt. Nach den Verhandlungen wollten Hollande und Merkel unter sechs Augen mit dem russischen Präsidenten über einen anderen Brandherd reden: Syrien. Als Zeichen des guten Willens hatte Russland am Vortag eine kleine Waffenruhe verkündet, eine „humanitäre Pause“. Merkel will mäßigend auf Putin einwirken.
Krisenherd Nummer 1: die Ukraine
Das erste Konfliktfeld und Anlass des Treffens ist die Ukraine. In einem diplomatischen Kraftakt hatten sich die Regierungen in Moskau und Kiew am 12. Februar 2015 auf einen Friedensplan geeinigt. Seitdem ging es nur mühsam voran. Zwar nahm die Gewalt mit dem damals vereinbarten Waffenstillstand ab. In den Sommermonaten sind bei Gefechten aber wieder mehr Soldaten getötet oder verletzt worden. Dabei sollten die Minsker Vorgaben eigentlich bereits Ende 2015 umgesetzt sein. Die Schuld am Versäumnis schieben sich die Ukraine und Russland – beziehungsweise die mit Moskau verbündeten Separatisten – gegenseitig zu.
Die Wahlen sind ein Knackpunkt. Die Hoffnung ruht darauf, dass es beim geplanten Gesetz für Kommunalwahlen in den Separatistengebieten Donezk und Luhansk Fortschritte gibt. Wenn man sich auf ein solches Gesetz und vielleicht auch auf einen Wahltermin einigen könnte, wäre einiges gewonnen. Russland und die Separatisten bestehen auf diesen Wahlen ebenso wie auf einem Sonderstatus für die Ostukraine. Dabei geht es um eine Reform der ukrainischen Verfassung mit mehr Autonomie für die Separatistengebiete.
Der Dissens lässt sich auf eine Formel bringen: Die Kiewer Regierung will erst einen Waffenstillstand und dann die weitgehende Entmilitarisierung der Separatistengebiete. Die Rebellen und der Kreml streben zunächst Zugeständnisse bei lokalen Wahlen und bei einem Status mit mehr Mitsprache an.
Das ist Bundeskanzlerin Angela Merkel
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Hollande und Merkel fliegen am Donnerstag weiter zum EU-Rat, wo sie den anderen Regierungschefs von Putin berichten wollen. In der EU genießt Russland weiterhin den Status eines strategischen Partners. Was nicht zugleich heiße, dass er ein „leichter Partner“ sei, wie in Regierungskreisen hinzugefügt wurde.
Staaten wie Polen und die Länder im Baltikum fürchten eine Eskalation der Ukraine-Krise. Die Frage von Sanktionen für Russland liegt auf dem Tisch, sowohl Verschärfungen als auch Erleichterungen. Vieles hängt vom Ausgang des Berliner Treffens ab. „Ich gehe davon aus, dass sie jetzt auf dem Tisch liegen und nach dem Gipfel immer noch“, sagte ein Regierungsvertreter über mögliche Sanktionen.
Krisenherd Nummer 2: Syrien
Das hat wiederum mit dem zweiten Konfliktfeld zu tun: Syrien. Zur Krisenbewältigung gibt es ein Nah- und ein Fernziel. Dem Westen schwebt in Syrien eine Verbesserung der katastrophalen Lage der Zivilbevölkerung vor. Insbesondere soll die Situation der Menschen in dem besonders umkämpften Aleppo verbessert werden. Die alte Handels-Metropole im Norden steht unter dem Dauerbeschuss der syrischen Luftwaffe, die von Russland unterstützt wird. Eine längere Einstellung der Kämpfe lehnen Moskau und Damaskus ab.
Auf lange Sicht haben Russland, Syrien und der Iran auf der einen sowie der Westen und einige Regionalmächte wie Saudi-Arabien auf der anderen Seite völlig unterschiedliche Interessen. Letztere wollen für Syrien eine Übergangsregierung, die am Ende ohne den Machthaber Baschar al-Assad auskommt. Dabei sollen alle nichtextremistischen Kräfte beteiligt werden. Russland und seine Verbündeten halten hingegen an Assad fest. Ihr Argument: Nur er garantiere die territoriale Integrität des Staates, andernfalls drohe Syriens Zerfall.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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