Berlin. Ein Rechtsextremer liefert sich eine Schießerei mit Polizisten und mehrere Beamten schwer. Der Mann gehört einer kruden Bewegung an.

Es ist kurz nach sechs Uhr morgens, als die Polizisten vor dem Einfamilienhaus in dem kleinen mittelfränkischen Ort Georgensgmünd Blaulicht und Sirenen einschalten. „Polizei!“, rufen die Beamten des Sondereinsatzkommandos. Mehrmals fordern sie den Mann auf, die Tür zu öffnen. So erzählt es eine Sprecherin der Polizei unserer Redaktion. Doch im Haus bleibt es still.

Dann stürmen die Polizisten die Wohnung. Sie dringen durch die Eingangstür und steigen die Treppe hoch in den ersten Stock, wo sich der Mann aufhalten soll, den sie suchen. Noch bevor Polizisten die Tür an der Treppe öffnen können, fallen Schüsse. „Er hat sofort geschossen“, sagt die Polizistin. Die Beamten feuern zurück.

Gefangen in den Grenzen von 1937

Zwei Polizisten werden schwer verletzt, einer von ihnen stirbt später nach einer Operation an den Verletzungen. Die Einsatzkräfte können den 49 Jahre alten Mann überwinden. Der deutsche Staat lieferte sich an diesem Oktobermorgen ein Gefecht mit einem Mann, der die Bundesrepublik hasst, ihre Gesetze nicht akzeptiert und in seiner extremen Weltsicht lebt. Der sich selbst „Reichsbürger“ nennt.

"Reichsbürger" schießt Polizisten in Franken nieder

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    In ihrer Vorstellung leben sie im Deutschen Reich der Grenzen von 1937. Die Bundesrepublik nennen sie eine „GmbH“, eine Firma, interessiert nur am Profit. Nicht am „Volk“. Ihre eigenen Organisationen nennen die Radikalen „Exilregierung Deutsches Reich“ oder „Republik Freies Deutschland“.

    Innenminister warnt vor „brutaler Gewalt“

    Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warnte davor, „Reichsbürger“ als „Spinner“ abzutun. Sie seien offensichtlich zu brutaler Gewalt fähig. „Ich bin entsetzt über den Fall“, sagte Herrmann. Die Szene würde vom bayerischen Verfassungsschutz „intensiv beobachtet“. Nun müsse man die Gefahr aber „höher einschätzen“. Es solle überprüft werden, inwieweit unter den Anhängern der Bewegung Waffenbesitzer sind.

    Mehrere Behörden warnen mit Info-Blättern vor den Extremisten. Die Bundesregierung listet auch Straftaten, die auf Kosten von „Reichsbürgern“ gehen: vor allem Beleidigungen und Urkundenfälschung, aber auch Körperverletzung und Verstöße gegen das Waffengesetz. „Die Bewegung wird stärker, sie expandiert“, sagt ein Verfassungsschützer unserer Redaktion.

    Haben die Behörden die Bewegung zu lange unterschätzt?

    Die „Reichsbürger“ seien Teil moderner rechtsextremer Widerstandsbewegungen, erklärt Jan Rathje von der antirassistischen Amadeu Antonio Stiftung. „Kern ihrer demokratiefeindlichen Ideologie ist die Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland in Wirklichkeit eine Verschwörung gegen ‚die Deutschen‘ darstellt.“ Im Internet und auf „Schulungen“ werben sie für eigene Pässe, sie haben eine „Reichsmeldestelle“ oder eine „Königliche Reichsbank“. Viele weigern sich, Steuern zu zahlen oder Behördenauflagen zu folgen. Peter Flitzek, der sich „Oberster Souverän“ im „Königreich Deutschland“ nennt, muss sich derzeit wegen Veruntreuung in Millionenhöhe vor Gericht verantworten.

    „Was belustigend klingt, ist gefährlich“, sagt Experte Rathje. Denn die „Reichsbürger“ vertreten eine „klare völkisch-nationalistische Ideologie“. Sie seien dem Rechtsextremismus zuzurechnen. Und Rathje wirft den Sicherheitsbehörden vor, die Gefahr durch die Bewegung unterschätzt zu haben.

    Die Szene ist zersplittert – und doch gefährlich

    Im aktuellen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz taucht sie nicht auf. Die Szene sei „zersplittert und vielschichtig“, heißt es. Das Innenministerium geht von „einer niedrigen dreistelligen Zahl aus“. Eine kleine Gruppe im rechten Spektrum, zu dem laut Verfassungsschutz allein 12.000 gewaltbereite Neonazis zählen. In einer Antwort der Bundesregierung auf Fragen der Linkspartei heißt es, dass sich bei „Aktivitäten“ der Szene „immer wieder die Frage der Ernsthaftigkeit der politischen Bestrebung“ stelle.

    Doch wie ernst sie es meinten, bewiesen der Mann aus Mittelfranken – und Adrian U. aus Sachsen-Anhalt. Ende August war es bei einer Zwangsräumung zu einem Schusswechsel zwischen Polizisten und dem 41 Jahre alten U. im kleinen Ort Reuden gekommen. U. hatte sich mit Unterstützern in seinem Haus verschanzt. Früher war U. mal „Mister Germany“, ein B-Promi. Heute nennt auch er sich „Reichsbürger“.

    Staatsanwalt ermittelt wegen versuchten Mordes

    Auch der aktuelle Fall zeigt die Radikalität mancher in der Bewegung: Der 49 Jahre alte Mann aus Georgensgmünd hatte einen Waffenschein, war Jäger. Er soll mehr als 30 Waffen besitzen. Doch zuletzt hatte der Landrat vor Ort Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Mannes. Dieser hatte KfZ-Abgaben nicht gezahlt, pestet in einem Brief gegen die Verwaltung, nannte sich „Reichsbürger“. Daraufhin entzog das Amt dem Mann seinen Waffenschein.

    Doch dem Ordnungsamt verwehrte er mehrfach Zutritt zu seiner Wohnung, als diese die Waffen sicherstellen wollten, heißt es. Der Landrat bat die Polizei um Hilfe. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Mann nun wegen versuchten Mordes.

    Extreme spielen Staat

    Seit 2014 steigt die Zahl der Straftaten gegen Geflüchtete drastisch an. Doch nicht nur das. Der Hass auf das „System“ wächst – an beiden Rändern der Gesellschaft, bis in ihre Mitte hinein. Und damit auch die Gewalt gegen Staatsbeamte, seien es Polizisten oder Vertreter der Justiz.

    Schon 2012 hatte der „Reichsbürger“ Ullrich S. mit anderen Männern einen Gerichtsvollzieher mit Gewalt festgehalten. Sie trugen echt aussehende Polizeiuniformen, nannten sich das „Deutsche Polizei Hilfswerk“. Sie spielten Staat – und schreckten dabei nicht vor Brutalität zurück. S. wurde zu 22 Monaten Haft verurteilt.