Berlin. Abgeordnete und SPD-Chef Gabriel loten die rot-rot-grünen Regierungschancen aus. CDU-General Tauber warnt vor einem Stabilitätsrisiko.
In die Debatte um ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene kommt Bewegung: In gleich zwei Gesprächsrunden berieten am Dienstagabend in Berlin rund hundert Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und Linken über die Perspektiven einer gemeinsamen Regierung nach der Bundestagswahl 2017. Überraschend schaltete sich SPD-Chef Sigmar Gabriel auch persönlich ein: Erst besuchte er den Auftakt einer Treffens zu Rot-Rot-Grün in den Räumen des Bundestags, später beriet er sich in kleiner Runde mit fünf Politikern von SPD, Linken und Grünen, die seit Jahren ein solches Bündnis vorbereiten.
Das Signal ist eindeutig: Ein Jahr vor der Bundestagswahl wollen die drei Parteien Hürden für eine von ihnen getragene Regierung abräumen. Anders als 2013 sind sie nächstes Jahr bereit zu Koalitionsgesprächen, wenn sich nach der Wahl eine Mehrheit ergibt. „Wir würden diese Option klar testen“, heißt es in der SPD-Spitze. Der Ausgang wäre offen. Aber Befürworter erarbeiten hinter den Kulissen schon gemeinsame Projekte – von der Bürger-Krankenversicherung über die Vermögensbesteuerung bis zum Klimaschutz.
„Die Zeit ist reif für eine neue Perspektive“
SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer sagte: „Die Zeit ist reif für eine neue Perspektive.“ Ziel sei eine „Mehrheit diesseits der Union“ unter Führung eines SPD-Kanzlers, dazu sei aber eine inhaltliche Verständigung notwendig. Um bisherige Gespräche auf eine breitere Grundlage zu stellen, hatte Schäfer mit weiteren stellvertretenden Fraktionschefs von SPD, Grünen und Linken zu dem „Trialog für eine progressive Politik“ eingeladen. Immerhin ein Drittel aller Abgeordneten der drei Fraktionen folgten dem Aufruf. Auf SPD-Seite war nach Schäfers Angaben sogar die Hälfte des geschäftsführenden Fraktionsvorstands anwesend, die Teilnahme von SPD-Generalsekretärin Katarina Barley wertete die Zusammenkunft zusätzlich auf - ebenso wie die Tatsache, dass sich SPD-Chef Gabriel das Eingangsreferat des Sozialphilosophen Oskar Negt anhörte, der das mögliche Mitte-links-Bündnis schon als „historische Bewährungsprobe“ der drei Parteien bezeichnet. Nach Schäfers Angaben hatten die Partei- und Fraktionschefs das Treffen ausdrücklich begrüßt.
Eine Zäsur: Zwar gibt es schon länger rot-rot-grüne Gesprächsrunden, eine sogenannte „Denkfabrik“ erarbeitet bereits gemeinsame Bausteine für die Wahlprogramme der Parteien. Doch die Runde im Bundestag tagte erstmals nicht mehr im Hinterzimmer, sondern auf großer Bühne. Und sie fiel deutlich größer aus als bisher, eingeladen waren auch Kritiker eines solchen Bündnisses. Teilnehmer äußerten sich noch während der Veranstaltung euphorisch, der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe etwa sprach von einer „Flitterwochenatmosphäre“. Allerdings: Wie realistisch Rot-Rot-Grün ist, bleibt umstritten. In allen drei Parteien gibt es auch Widerstände, bei SPD und Grünen bestehen verbreitet Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Linken, vor allem mit Blick auf die Außen- und Sicherheitspolitik. Alle Umfragen sehen für das Bündnis schon seit längerer Zeit keine Mehrheit mehr – anders als im jetzigen Bundestag. Dass Gabriels Idee, die Theologin Margot Käßmann als rot-rot-grüne Bundespräsidenten-Kandidatin zu gewinnen, durch eine Indiskretion platzte, nährt Zweifel an einer verlässlichen Zusammenarbeit.
Kraft und Scholz warnen vor Linken
Doch der SPD-Chef unterhält enge Kontakte zu führenden Linke-Politikern. Er will sich trotz inhaltlicher Bedenken die Option Rot-Rot-Grün offenhalten, um eine neue Machtperspektive im Wahlkampf zu haben. Ohnehin rebellieren Teile der SPD gegen eine Fortsetzung der großen Koalition. Der Parteichef traf sich am Dienstagabend bei Bier und Wein mit wichtigen Mitte-links-Vordenkern aus den drei Fraktionen, um sich über ihre Beratungen informieren zu lassen. Doch die Bedenken in der SPD sind groß: Nicht nur die Parteivize Hannelore Kraft und Olaf Scholz warnen, die Linke sei nicht regierungsfähig. Ähnlich uneins sind die Grünen. Und für die Linkspartei hatte Fraktionschef Dietmar Bartsch zwar kürzlich erklärt, seine Partei sei bereit zur Übernahme von Regierungsverantwortung. Seine Co-Chefin Sahra Wagenknecht aber nennt schon kaum erfüllbare Bedingungen für eine Koalition: Erforderlich sei eine neue „Grundausrichtung der Politik“ von SPD und Grünen, den Abschied von der Agenda 2010 inklusive. Die SPD-Spitze kontert, die Linke müsse klären, ob sie regieren oder Fundamentalopposition sein wolle.
Die Karriere von Sigmar Gabriel
Der Gesprächsbedarf ist also groß. Aber die Union ist alarmiert. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte unserer Redaktion: „Mit dem Treffen werden die Alternativen für den Bundestagswahlkampf sehr klar: Entweder eine Politik der Mitte unter Führung der Union, die das Land voranbringt – oder eben rot-rot-grüne Ideologie, die unsere Zukunft aufs Spiel setzt.“ Der CDU-Politiker warnte: „Deutschland unter Rot-Rot-Grün wäre kein verlässlicher Partner mehr, sondern ein Stabilitätsrisiko für Europa und die Welt.“
Tauber kritisierte einen „Spagat“ der SPD. „Sie will noch fast ein Jahr gut mit Angela Merkel regieren – und plant gleichzeitig die Zusammenarbeit mit Sahra Wagenknecht.“ Das zeige „die ganze Orientierungslosigkeit der SPD“. Die bürgerlichen Wähler der SPD und auch der Grünen sollten gewarnt sein: „Die Linke ist eine rote AfD – sie will raus aus dem Euro und bezeichnet die Nato als Kriegstreiber.“