Bagdad/Berlin. Hilfsorganisationen fordern Rücksicht auf Zivilisten im Kampf um Mossul. EU-Kommissar Julian King warnt indes vor Folgen für Europa.

In der irakischen Stadt Mossul droht nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef mehr als 500.000 Kindern in den kommenden Wochen extreme Gefahr. Bei der seit zwei Tagen laufenden Großoffensive gegen die Terrormiliz IS könnten viele Mädchen und Jungen vertrieben werden oder zwischen die Frontlinien und ins Kreuzfeuer geraten. D

as erklärte der Leiter von Unicef Irak, Peter Hawkins, am Dienstag. Die Organisation rief dazu auf, Kinder besonders zu schützen.

Das Hilfswerk hat in Erwartung einer großen Flüchtlingsbewegung vorsorglich Hygieneartikel, Latrinen, mobile Duschen und Materialien zur Wasserversorgung für 150.000 Menschen in die Region gebracht, wie Unicef Deutschland in Köln mitteilte. Insgesamt sollten in den kommenden Wochen Hilfsgüter zur Versorgung von 350.000 Menschen bereitgestellt werden.

Schon mehr als 130.000 Menschen aus Mossul geflohen

Zudem bildete Unicef nach eigenen Angaben mobile Teams aus, um schwer traumatisierte und verletzte Kinder zu betreuen und zu versorgen. Gemeinsam mit den Behörden stünden 50 Impfteams bereit, um Kinder gegen Masern und Polio (Kinderlähmung) zu impfen.

Seit März 2016 sind in der Region um Mossul schon etwa 130.000 Menschen vor den Militäroperationen geflohen. Unicef befürchtet, dass angesichts der Zuspitzung zusätzlich Tausende Kinder in überfüllten und unzureichend ausgestatteten Notunterkünften und Lagern Zuflucht suchen müssen.

Schutz für Zivilbevölkerung gefordert

Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass sich eine Million Menschen und mehr auf die Flucht begeben könnten. Nach Angaben aus UN-Kreisen könnte die Militäroffensive Wochen oder Monate dauern.

Auch das Komitee vom Internationalen Roten Kreuz (IKRK) und Roten Halbmond in Genf rief dazu auf, die Zivilbevölkerung in Mossul zu schonen. „Es ist besonders wichtig, die Gesundheitseinrichtungen und deren Personal zu schützen“, teilte das IKRK am Montagabend mit.

Gegenangriffe des IS offenbar abgewehrt

Das Rote Kreuz stehe bereit, den bis zu einer Million Flüchtlingen in den nächsten Tagen und Wochen beizustehen. Alle Konflikt-Parteien müssten ihr Möglichstes tun, um sicherzugehen, dass ihre Ziele rein militärischer Natur seien. Allen Bewohnern, die aus der Stadt fliehen wollten, sollte ein sicherer Korridor zur Verfügung stehen, forderte das IKRK.

Unterdessen haben die irakische Armee und lokale sunnitische Milizen am Dienstag nach eigenen Angaben drei Gegenangriffe der IS-Extremisten südlich von Mossul nahe der Stadt Al-Kajara abgewehrt. Ein Militärsprecher erklärte, mindestens 30 Extremisten seien getötet worden. Angaben über eigene Opfer machte er nicht. Das IS-Sprachrohr Amak berichtete im Internet, der IS habe bei den Angriffen mehrere Selbstmordattentäter eingesetzt.

US-Armee: Verbündete liegen im Zeitplan

Der Sprecher der US-Streitkräfte, John Dorrian, erklärte über Twitter, Armee und kurdische Peschmerga hätten ihre Ziele bisher im oder vor dem Zeitplan erreicht. Nach eigenen Angaben eroberten irakische Streitkräfte und kurdische Peschmerga am ersten Tag neun Dörfer östlich von Mossul und ein Gebiet von rund 200 Quadratkilometern.

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Der IS hatte die Millionenstadt Mossul im Juni 2014 vollständig unter seine Kontrolle gebracht. Bei der seit Monaten vorbereiteten Großoffensive zur Rückeroberung sollen sich nach Medienberichten etwa 30.000 Kämpfer der Allianz und etwa 4000 IS-Kämpfer gegenüberstehen. Sollte die Stadt vom IS befreit werden, wäre die Terrormiliz im Irak militärisch weitgehend besiegt.

EU-Kommissar warnt vor IS-Rückkehrern nach Europa

EU-Sicherheitskommissar Julian King warnt angesichts der Großoffensive vor möglichen negativen Folgen für die Sicherheit in Europa. „Die Rückeroberung der nordirakischen IS-Hochburg Mossul kann dazu führen, dass gewaltbereite IS-Kämpfer nach Europa zurückkommen“, sagte King am Dienstag der „Welt“. Das sei eine sehr ernste Bedrohung.

Allerdings gehe er nicht von einem „Massenexodus von IS-Kämpfern nach Europa“ aus. Wichtig sei jetzt, durch geeignete Maßnahmen Terroristen immer weniger Handlungsmöglichkeiten zu geben und „insgesamt unsere Widerstandsfähigkeit gegen die terroristische Bedrohung zu erhöhen.“

Amnesty erhebt schwere Vorwürfe

Amnesty International wiederum warnte vor schweren Menschenrechtsverletzungen gegen Flüchtlinge aus Mossul. Tausende Zivilisten, die bereits aus Gebieten unter IS-Kontrolle fliehen konnten, seien Opfer von Folter, willkürlicher Inhaftierung, Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen geworden, heißt es in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation, der auf Gesprächen unter anderem mit ehemaligen Gefangenen und Augenzeugen basiert.

„Nachdem sie den Schrecken des Krieges und der Tyrannei des IS entkommen sind, drohen sunnitischen Arabern im Irak brutale Vergeltungsschläge durch (vornehmlich schiitische) Milizen und Regierungstruppen. Sie werden für die Verbrechen des IS bestraft“, sagte Philip Luther, Experte für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International. (epd/dpa)