Berlin. Im Fall von Dschaber al-Bakr lief viel schief. Für Minister Sebastian Gemkow ist bei Anne Will klar: Der Fehler wurde vor Ort gemacht.

Für die sächsischen Sicherheitsbehörden hätte es nicht schlimmer kommen können: Der mutmaßliche Terrorist Dschaber al-Bakr entkam in Chemnitz, musste von drei Syrern in Leipzig gefasst werden – und erhängte sich schließlich unter den Augen der Justiz in seiner Zelle. Nun hat das Bundesland nach jahrelangen Neonazi-Vorwürfen beim Thema Sicherheit erst recht einen zweifelhaften Ruf.

Vor diesem Hintergrund war schnell von einem „gescheiterten Staat“ die Rede. Aber ist das fair? „Wir waren auf einen solchen Fall in Sachsen nicht vorbereitet“, hatte sich Justizminister Sebastian Gemkow nach dem Suizid verteidigt. Bei Anne Will bekam er die Chance, sich noch einmal vor einem Millionenpublikum zu rechtfertigen.

Gemkow will keinen Fehler gemacht haben

Und das tat der CDU-Politiker zunächst auch durchaus plausibel, indem er auf die begrenzten Möglichkeiten der Überwachung in Gefängnissen hinwies. „Es gibt nicht den besonderen Gefangenen“, sagte Gemkow mit Blick auf Forderungen nach einer Sonderbehandlung von al-Bakr. Der Syrer habe genau die gleichen Grundrechte gehabt, wie jeder andere Straftäter auch. „Wollen Sie zugunsten der Terrorbekämpfung den Boden des Rechtsstaats verlassen? Wollen Sie im Kampf gegen Drachen selbst zum Drachen werden?“, fragte Gemkow. Er jedenfalls sei nicht bereit, solche Grenzen zu überschreiten.

Dieses Argument wirkte für sich genommen durchaus stark. Gemkows weitere Ausführungen aber kamen dann doch wohlfeil rüber. Statt zumindest eine Teilverantwortung anzunehmen, schob er alles auf die Personen vor Ort: Die Gefängnisleitung, die entschieden habe, und vor allem die Psychologin. Diese habe die Suizidgefährdung von al-Bakr falsch eingeschätzt und damit die Verhängung von schärferen Überwachungsmaßnahmen unmöglich gemacht, sagte Gemkow.

Terrorverdächtiger al-Bakr ist tot

Dschaber al-Bakr ist tot. Der unter Terrorverdacht stehende Syrer nahm sich am Mittwochabend in seiner Gefängniszelle in der JVA Leipzig das Leben. Der 22-Jährige erhängte sich mit seinem Hemd.
Dschaber al-Bakr ist tot. Der unter Terrorverdacht stehende Syrer nahm sich am Mittwochabend in seiner Gefängniszelle in der JVA Leipzig das Leben. Der 22-Jährige erhängte sich mit seinem Hemd. © dpa | Jan Woitas
Al-Bakrs Anwalt Alexander Hübner sagte, er habe auf das Suizid-Risiko des Verdächtigen hingewiesen. Der JVA-Leiter habe auch versichert, dass al-Bakr ständig beobachtet werde, so Hübner.
Al-Bakrs Anwalt Alexander Hübner sagte, er habe auf das Suizid-Risiko des Verdächtigen hingewiesen. Der JVA-Leiter habe auch versichert, dass al-Bakr ständig beobachtet werde, so Hübner. © dpa | Jan Woitas
Rolf Jacob, Leiter der Justizvollzugsanstalt Leipzig, bestätigte bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Dresden, dass al-Bakr von der Haftrichterin vor seiner Überstellung in die Untersuchungshaft als suizidgefährdet eingestuft worden war.
Rolf Jacob, Leiter der Justizvollzugsanstalt Leipzig, bestätigte bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Dresden, dass al-Bakr von der Haftrichterin vor seiner Überstellung in die Untersuchungshaft als suizidgefährdet eingestuft worden war. © dpa | Arno Burgi
Dabei habe sich die Amtsrichterin in Dresden auch auf einen vom Beschuldigten bereits bei der Verkündung des Haftbefehls angekündigten Hungerstreik berufen. In der JVA sei nach einem Gespräch mit einer Psychologin die Gefahr aber als nicht akut eingestuft worden, sagte Jacob.
Dabei habe sich die Amtsrichterin in Dresden auch auf einen vom Beschuldigten bereits bei der Verkündung des Haftbefehls angekündigten Hungerstreik berufen. In der JVA sei nach einem Gespräch mit einer Psychologin die Gefahr aber als nicht akut eingestuft worden, sagte Jacob. © dpa | Arno Burgi
Dennoch sei der 22-Jährige zunächst alle 15 Minuten in seiner Zelle kontrolliert worden, sagte Jacob. Der Rhythmus sei dann später auf 30 Minuten erhöht und beibehalten worden.
Dennoch sei der 22-Jährige zunächst alle 15 Minuten in seiner Zelle kontrolliert worden, sagte Jacob. Der Rhythmus sei dann später auf 30 Minuten erhöht und beibehalten worden. © dpa | Sebastian Willnow
Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (r.) erklärte, er übernehme qua seines Amtes die politische Verantwortung. Für einen Rücktritt gebe es aber keine Veranlassung.
Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (r.) erklärte, er übernehme qua seines Amtes die politische Verantwortung. Für einen Rücktritt gebe es aber keine Veranlassung. © dpa | Arno Burgi
Am Montag war der mutmaßliche Terrorist in Leipzig festgenommen worden. Offenbar ist so ein größerer Anschlag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Deutschland verhindert worden.
Am Montag war der mutmaßliche Terrorist in Leipzig festgenommen worden. Offenbar ist so ein größerer Anschlag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Deutschland verhindert worden. © Getty Images | Carsten Koall
Der Syrer hatte nach Angaben von Sachsens Innenminister Markus Ulbig konkrete Pläne verfolgt und Vorbereitungen für einen Sprengstoffanschlag getroffen. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz wollte er einen Flughafen in Berlin attackieren.
Der Syrer hatte nach Angaben von Sachsens Innenminister Markus Ulbig konkrete Pläne verfolgt und Vorbereitungen für einen Sprengstoffanschlag getroffen. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz wollte er einen Flughafen in Berlin attackieren. © Polizei Sachsen/dpa | Christian Zander
Zwei Syrer hatten ihn nach eigenen Angaben in einer Wohnung im Nordosten von Leipzig überwältigt, gefesselt und der Polizei übergeben.
Zwei Syrer hatten ihn nach eigenen Angaben in einer Wohnung im Nordosten von Leipzig überwältigt, gefesselt und der Polizei übergeben. © Getty Images | Carsten Koall
Ihr Anruf bei der Polizei war zunächst aufgrund von Verständigungsproblemen erfolglos geblieben. Daraufhin waren sie mit einem Foto von al-Bakr zu einem Polizeirevier gefahren.
Ihr Anruf bei der Polizei war zunächst aufgrund von Verständigungsproblemen erfolglos geblieben. Daraufhin waren sie mit einem Foto von al-Bakr zu einem Polizeirevier gefahren. © dpa | Hendrik Schmidt
Am Samstag hatte es einen Anti-Terror-Einsatz in Chemnitz gegeben, bei dem die Polizei in einer Wohnung mehrere hundert Gramm hochexplosiven Sprengstoff gefunden hatte. Die unverdächtigen Bewohner des Hauses in der Siedlung „Fritz Heckert“ waren aus ihren Wohnungen geleitet worden.
Am Samstag hatte es einen Anti-Terror-Einsatz in Chemnitz gegeben, bei dem die Polizei in einer Wohnung mehrere hundert Gramm hochexplosiven Sprengstoff gefunden hatte. Die unverdächtigen Bewohner des Hauses in der Siedlung „Fritz Heckert“ waren aus ihren Wohnungen geleitet worden. © dpa | Hendrik Schmidt
Dschaber al-Bakr war bei dem Einsatz der Polizei nach Angaben eines Sprechers nur knapp entkommen. Eine LKA-Sprecherin hatte bestätigt, dass ein Warnschuss abgegeben worden war.
Dschaber al-Bakr war bei dem Einsatz der Polizei nach Angaben eines Sprechers nur knapp entkommen. Eine LKA-Sprecherin hatte bestätigt, dass ein Warnschuss abgegeben worden war. © dpa | Hendrik Schmidt
Einsatzkräfte des SEK stürmten die Wohnung, in der sich der Verdächtige aufgehalten hatte. Das Wohngebiet wurde abgeriegelt.
Einsatzkräfte des SEK stürmten die Wohnung, in der sich der Verdächtige aufgehalten hatte. Das Wohngebiet wurde abgeriegelt. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Der Sprengstoff, den die Ermittler gefunden hatten, war gut versteckt gewesen.
Der Sprengstoff, den die Ermittler gefunden hatten, war gut versteckt gewesen. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Weil der Transport sehr gefährlich gewesen wäre, hatten Spezialisten den Fund durch gezielte Sprengung in den extra ausgehobenen Erdlöchern in der Siedlung gesprengt.
Weil der Transport sehr gefährlich gewesen wäre, hatten Spezialisten den Fund durch gezielte Sprengung in den extra ausgehobenen Erdlöchern in der Siedlung gesprengt. © dpa
Später hatten die Polizisten einen Verdächtigen in Chemnitz festgenommen. Der Syrer soll der Mieter der Wohnung sein, in dem der Sprengstoff gefunden wurde. Gegen ihn wird wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Paragraf 89a StGB) ermittelt.
Später hatten die Polizisten einen Verdächtigen in Chemnitz festgenommen. Der Syrer soll der Mieter der Wohnung sein, in dem der Sprengstoff gefunden wurde. Gegen ihn wird wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Paragraf 89a StGB) ermittelt. © dpa | Bernd März
Während der Fahndung hatte die Polizei am Nachmittag des 8. Oktober den Hauptbahnhof in Chemnitz abgeriegelt. Die Fahnder hatten zwei Männer festgenommen.
Während der Fahndung hatte die Polizei am Nachmittag des 8. Oktober den Hauptbahnhof in Chemnitz abgeriegelt. Die Fahnder hatten zwei Männer festgenommen. © dpa | Arno Burgi
Die Festgenommenen hatten einen Koffer bei sich getragen. Ein ferngesteuerter Roboter zur Bombenentschärfung hatte auf einem Gleis im Hauptbahnhof in Chemnitz den roten Koffer untersucht. Er hatte sich aber als harmlos erwiesen. Die beiden Männer waren am 9. Oktober wieder freigekommen.
Die Festgenommenen hatten einen Koffer bei sich getragen. Ein ferngesteuerter Roboter zur Bombenentschärfung hatte auf einem Gleis im Hauptbahnhof in Chemnitz den roten Koffer untersucht. Er hatte sich aber als harmlos erwiesen. Die beiden Männer waren am 9. Oktober wieder freigekommen. © dpa | Arno Burgi
Auch am Berliner Flughafen Schönefeld hatte die Polizei am 8. Oktober die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Die Beamten hatten zahlreiche Fahrzeuge kontrolliert. „Wir hatten Hinweise – nachrichtendienstliche Hinweise – , dass er zunächst einmal Züge in Deutschland angreifen wollte“, hatte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen am 10. Oktober gesagt.
Auch am Berliner Flughafen Schönefeld hatte die Polizei am 8. Oktober die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Die Beamten hatten zahlreiche Fahrzeuge kontrolliert. „Wir hatten Hinweise – nachrichtendienstliche Hinweise – , dass er zunächst einmal Züge in Deutschland angreifen wollte“, hatte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen am 10. Oktober gesagt. © Getty Images | Clemens Bilan
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Der besondere Gast

Seine im Grundsatz nachvollziehbare Argumentation machte Gemkow allerdings nicht nur durch dieses Treten nach unten zunichte, sondern auch indem er selbst Detailfehler von sich wies. Dabei gibt es sie definitiv. „Warum wurde der Fahndungshinweis von der sächsischen Polizei nicht ins Arabische übersetzt?“, fragte etwa der syrische Videoblogger Abdul Abbasi.

Die Aufgabe hatte er mit Freunden schließlich selbst übernommen. Dass er damit rund 42.000 Menschen – und zwar insbesondere auch andere Syrer in Deutschland – erreichte, könnte zum Fahndungserfolg beigetragen haben. „Was wir getan haben, war ganz normal“, sagte Abbasi mit Blick auf das viele Lob für seinen Einsatz.

Doch auch abseits vom Fall al-Bakr war Abbasi ein erfrischender Gast. Indem er die Situation der syrischen Flüchtlinge in Deutschland schilderte, brachte er eine Sichtweise ins Spiel, die ansonsten völlig unterrepräsentiert ist. „Warum stellen Sie alle Syrer unter Generalverdacht?“, fragte Abbasi an Bayerns Innenminister Herrmann (CSU) gewandt. „Wenn in Sachsen Neonazis Terror begehen, verdächtigen wir doch auch nicht das ganze Bundesland.“

Der Ausrutscher des Abends

Ging auf das Konto von Katja Kipping. Als die Linken-Chefin von der Gastgeberin mit einer Frage unterbrochen wurde, fragte sie unter Verweis auf die teils ausufernden Ausführungen von Herrmann unwirsch zurück: „Gibt‘s bei Ihnen einen Geschlechterzuschlag bei der Redezeit?!“

Und die Moderatorin?

Ließ sich trotz dieses Angriffs nicht beirren. Will fragte insbesondere bei Gemkow hart nach und rang Herrmann den Satz ab, dass solche Pannen auch in Bayern hätten passieren können. Zwischendurch ließ sie auch Kipping auflaufen, indem sie ihr die Diskrepanz von ihrer Forderung nach stärkerer Überwachung von al-Bakr und rechtsstaatlichen Mindeststandards vor Augen führte. Insgesamt eine reife Leistung.

Der wichtigste Gedanke des Abends

Kam in Anlehnung an Abbasis Ausführungen von Georg Mascolo. „Der IS will einen Generalverdacht gegen alle Muslime erreichen“, beschrieb der Journalist die Strategie der Terrormiliz. „Ihr Traum ist ein Bürgerkrieg zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den eingewanderten Muslimen.“ Darauf dürfe man nicht reinfallen, etwa, indem man Verführern hinterherlaufe, die einfache Antworten auf komplizierte Fragen anböten, warnte Mascolo. „Dieses Ziel muss man ihnen verweigern.“

Hier finden Sie „Anne Will“ in der ARD-Mediathek