Berlin. Hätte man den Suizid des Terrorverdächtigen al-Bakr verhindern können? Der NRW-Chef des Bundes der Strafvollzugsbeamten meint: Nein.
Der am Montag verhaftete Terrorverdächtige Dschaber al-Bakr hat sich in seiner Zelle der Justizvollzugsanstalt Leipzig am Mittwoch das Leben genommen. Politiker reagierten am Donnerstag fassungslos und forderten Erklärungen.
Der Suizid des 22-jährigen Syrers sei nicht zu verhindern gewesen, meint Peter Brock, Vorsitzender des NRW-Landesverbandes des Bundes der Strafvollzugsbeamten. Im Interview erklärt er, wie Häftlinge in Gefängnissen überwacht werden.
Wie ist die Vorgehensweise, wenn ein Verdächtiger – in diesem Fall ein Terrorverdächtiger – in eine JVA eingewiesen wird? Was wird geprüft?
Peter Brock: Die Inhaftierten werden durch die Polizei zugeführt und in die Aufnahmeabteilung gebracht, wo ein Aufnahmegespräch geführt wird. Dieses Gespräch fragt bestimmte Dinge ab, zum Beispiel ob der Inhaftierte Alkoholiker, drogenabhängig oder suizidgefährdet ist. Das sind für uns Indizien, ob man ihn entweder mit anderen Inhaftierten auf eine Zelle legt oder, wie in Leipzig geschehen, beobachtet.
Bei dem Aufnahmegespräch mit al-Bakr war kein Dolmetscher dabei – und der Terrorverdächtige sprach schließlich Arabisch.
Brock: Wir haben kaum Bedienstete, die der arabischen Sprache mächtig sind. Von daher können wir auch gar nicht sicherstellen, dass jedes Mal jemand dabei ist, der die Muttersprache spricht. Aber viele Gefangene beherrschen natürlich Englisch oder Französisch, beziehungsweise verstehen es zumindest. Und wir haben natürlich Bedienstete, die Französisch oder Englisch sprechen.
Ist bei dem psychologischen Gespräch ein Dolmetscher erforderlich?
Brock: Ja, das war ja auch so, wie man auf der Pressekonferenz verkündet hat. Ansonsten können sie ihn gar nicht befragen. Aber die Dolmetscher müssen Sie dann auch erst einmal anfordern. Das ist ein Problem.
Wer trifft die Entscheidung, in welche Zelle ein Häftling kommt und wie er überwacht wird?
Brock: Das entscheiden die Kollegen des allgemeinen Vollzugsdienstes bei der Aufnahme.
Wenn man den Inhaftierten wegen Sprachschwierigkeiten nicht befragen kann, wäre es nicht besser gewesen, ihn in eine Zelle unterzubringen, in der eine stärkere Überwachung möglich ist?
Brock: Das ist schwierig. Es gibt keine sicherere Variante als die, die gewählt worden ist. Man kann ja einen Gefangenen nicht Tag und Nacht überwachen, beziehungsweise seine Zelle mit einer Kamera ausstatten, weil wir die Möglichkeiten dazu gar nicht haben.
„Wer sich umbringen will, bringt sich um“
Was wäre die höchste Sicherheitsstufe?
Brock: Die höchste Sicherheitsstufe ist von Bundesland zu Bundesland verschieden, weil die Gesetzeslage unterschiedlich ist. Es wäre aber die, in der der Häftling rund um die Uhr mit einer Kamera überwacht wird. Aber: Diese Möglichkeiten haben wir zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen auch nicht. Es ist nicht machbar, schon wegen der Persönlichkeitsrechte des Inhaftierten.
Selbst die viertelstündliche Beobachtung ist da bedenklich. Stellen Sie sich vor, dass jemand alle 15 Minuten in der Nacht das Licht anmacht. Die Belastung soll für den Inhaftierten so gering wie möglich gehalten werden.
Und wer sich umbringen will, der bringt sich um. Da haben Sie keine Möglichkeit, das zu verhindern.
Gibt es Gefängnisse in Deutschland, in denen das Risiko für eine Selbsttötung geringer ist? Wo es keine Gitterstäbe gibt, an denen man sich mit einem T-Shirt strangulieren kann?
Brock: Es gibt natürlich Zellen, wo der Gefangene bis auf die Unterhose ausgezogen wird und wo nicht einmal ein Stuhl drinsteht. Diese sind auch kameraüberwacht. Aber wer will das schon? Welchem Gefangenen will man das zumuten?
Aber wäre das nicht in einem solch besonderen Fall angebracht? Es geht hier schließlich um einen mutmaßlichen Terrorattentäter.
Brock: Nein.
Warum nicht?
Brock: Weil erstmal die Anzahl der Haftplätze, die vorhanden sind, begrenzt ist. Zum Beispiel sind in meiner Anstalt, in der ich Bediensteter war, 550 Gefangene, und wir haben zwei von diesen besonders gesicherten Hafträumen, die dafür genutzt werden können. Aber die sind auch dafür da, wenn ein Häftling Kollegen angreift und man diese Täter dann da unterbringen kann.
Was bedeutet der Begriff akute Suizidgefahr?
Brock: Darunter versteht man, dass ein Häftling schon einen Versuch unternommen und er zum Beispiel versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Dann verlegen wir diese Häftlinge, bis ein Psychiater mit ihm gesprochen hat, in diesen besonders gesicherten Haftraum, wo keinerlei andere Gegenstände sind außer eine Matratze, und in dem die Wände gefliest sind. Aber das sind Ausnahmen, und das war bei al-Bakr nicht gegeben.
Einer der festgenommenen mutmaßlichen Terrorattentäter von Paris, Salah Abdeslam, wird in Frankreich rund um die Uhr in seiner Zelle videoüberwacht. Gibt es dazu in Deutschland keine Möglichkeit?
Brock: Das ist Sache des Bundesgeneralanwaltes. Von mir aus können die auch ein spezielles Gefängnis für diese Leute bauen und sie generell mit Kameras überwachen. Aber in einer normalen JVA kann man und darf man diese Maßnahmen überhaupt nicht einleiten. Unabhängig vom fehlenden Personal sehen das die Gesetze nicht vor.
Terrorverdächtiger al-Bakr ist tot
Über die Politiker rege ich mich am meisten auf, weil die jetzt auf die Bediensteten der JVA zeigen – aber genau wissen, dass die Gesetzeslage eine andere ist. Dann sollen sie die Gesetze ändern, dann können wir solche Maßnahmen auch durchführen.
Gibt es bei Häftlingen mit Selbsttötungs-Absicht eine spezielle psychologische Betreuung? Wie ist der Ablauf bei solchen Häftlingen?
Brock: In jeder Anstalt gibt es Psychologen, die sich um diese Gefangenen kümmern, die schon mal eine Selbsttötungsabsicht geäußert haben. Das ist sehr intensiv. Es werden regelmäßige Gespräche geführt, Medikamente werden verordnet. Mehr können wir aber nicht machen.
In dem Fall von al-Bakr gab es eine Betreuung durch eine Psychologin, die allerdings keine Erfahrungen mit mutmaßlichen Terrorattentätern hat. Hat sie die Situation falsch eingeschätzt?
Brock: Eine Psychologin kann nur auf das reagieren, was der Gesprächspartner ihr vermittelt.
Scheitert eine angemessene Überwachung an fehlendem Personal?
Brock: Klar, wenn Sie eine Sitzwache machen, sich also jemand vor die Zelle setzt. Während die Tür geöffnet ist, kümmert sich der Kollege nur um den Inhaftierten. Der steht ja für andere Tätigkeiten nicht mehr zur Verfügung. Dann müsste man aber bundesweit noch einmal 500 Bedienstete einstellen, um solche Dinge überhaupt durchführen zu können.