Berlin/Leipzig. Ein Terrorverdächtiger nimmt sich in einer Gefängniszelle das Leben. Wie kann das passieren? Die Behörden müssen Antworten liefern.

Für die sächsische Justiz und die Behörden des Landes ist der Tod des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr ein Gau. Und er wirft Fragen auf. Wie ist es möglich, dass sich ein Terrorverdächtiger in einer Gefängniszelle das Leben nimmt? Noch dazu, wenn dessen Suizidabsichten offensichtlich bekannt waren?

Nicht nur der Dresdner Pflichtverteidiger von al-Bakr erhebt schwere Vorwürfe, auch die Politik spart nicht mit Kritik an den sächsischen Behörden, spricht von „Fiasko“ und einem „totalen Kontrollverlust“. Es gibt erste Rücktrittsforderungen an Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow.

Kritik an sächsischen Behörden gibt es schön länger

Die sächsische Justiz ist nach dem Suizid nun in arger Erklärungsnot. Schon die Festnahme des Terrorverdächtigen am vergangenen Wochenende war zunächst fehlgeschlagen, al-Bakr konnte entwischen. Der Fahndungserfolg kam dann auch nicht etwa durch Ermittlungen, sondern weil drei Syrer in Leipzig den Verdächtigen der Polizei übergaben.

Terror-Verdächtiger von Syrern gefasst

Mit der Festnahme eines mutmaßlichen Terroristen in Leipzig ist offenbar ein größerer Anschlag der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Deutschland verhindert worden.
Mit der Festnahme eines mutmaßlichen Terroristen in Leipzig ist offenbar ein größerer Anschlag der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Deutschland verhindert worden. © Getty Images | Carsten Koall
Der 22-jährige Syrer Dschaber al-Bakr hat nach Angaben von Sachsens Innenminister Markus Ulbig konkrete Pläne verfolgt und Vorbereitungen für einen Sprengstoffanschlag getroffen. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz wollte der Verdächtige wohl einen Flughafen in Berlin attackieren.
Der 22-jährige Syrer Dschaber al-Bakr hat nach Angaben von Sachsens Innenminister Markus Ulbig konkrete Pläne verfolgt und Vorbereitungen für einen Sprengstoffanschlag getroffen. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz wollte der Verdächtige wohl einen Flughafen in Berlin attackieren. © Polizei Sachsen/dpa | Christian Zander
Der 22-Jährige war in der Nacht zu Montag in Leipzig festgenommen worden.
Der 22-Jährige war in der Nacht zu Montag in Leipzig festgenommen worden. © Getty Images | Carsten Koall
Zwei Syrer hatten ihn nach eigenen Angaben in einer Wohnung im Nordosten der Stadt überwältigt, gefesselt und der Polizei übergeben.
Zwei Syrer hatten ihn nach eigenen Angaben in einer Wohnung im Nordosten der Stadt überwältigt, gefesselt und der Polizei übergeben. © Getty Images | Carsten Koall
Sein Anruf bei der Polizei sei zunächst aufgrund von Verständigungsproblemen erfolglos geblieben. Daraufhin sei er mit einem Foto von Al-Bakr zu einem Polizeirevier gefahren.
Sein Anruf bei der Polizei sei zunächst aufgrund von Verständigungsproblemen erfolglos geblieben. Daraufhin sei er mit einem Foto von Al-Bakr zu einem Polizeirevier gefahren. © dpa | Hendrik Schmidt
Medien berichteten vom Ort der Festnahme: Nachdem der 22-Jährige am 8. Oktober bei einem Polizeieinsatz in Chemnitz den Beamten entkommen war, übergaben ihn seine Landsleute am 10. Oktober der Polizei.
Medien berichteten vom Ort der Festnahme: Nachdem der 22-Jährige am 8. Oktober bei einem Polizeieinsatz in Chemnitz den Beamten entkommen war, übergaben ihn seine Landsleute am 10. Oktober der Polizei. © Getty Images | Carsten Koall
Bei dem Anti-Terror-Einsatz in Chemnitz hatte die Polizei am 8. Oktober in einer Wohnung mehrere hundert Gramm hochexplosiven Sprengstoff gefunden. Zuvor waren die unverdächtigen Bewohner des Hauses in der Siedlung „Fritz Heckert“ aus ihren Wohnungen geleitet worden.
Bei dem Anti-Terror-Einsatz in Chemnitz hatte die Polizei am 8. Oktober in einer Wohnung mehrere hundert Gramm hochexplosiven Sprengstoff gefunden. Zuvor waren die unverdächtigen Bewohner des Hauses in der Siedlung „Fritz Heckert“ aus ihren Wohnungen geleitet worden. © dpa | Hendrik Schmidt
Dschaber al-Bakr soll einen Sprengstoffanschlag geplant haben. Er entkam der Polizei nach Angaben eines Sprechers nur knapp. Nach Informationen vom 9. Oktober sollen die Beamten ihn gesehen haben, konnten ihn aber nicht fassen. Eine LKA-Sprecherin bestätigte, dass ein Warnschuss abgegeben worden sei.
Dschaber al-Bakr soll einen Sprengstoffanschlag geplant haben. Er entkam der Polizei nach Angaben eines Sprechers nur knapp. Nach Informationen vom 9. Oktober sollen die Beamten ihn gesehen haben, konnten ihn aber nicht fassen. Eine LKA-Sprecherin bestätigte, dass ein Warnschuss abgegeben worden sei. © dpa | Hendrik Schmidt
Einsatzkräfte des SEK stürmten die Wohnung, in der sich der Verdächtige aufgehalten hatte. Das Wohngebiet wurde abgeriegelt.
Einsatzkräfte des SEK stürmten die Wohnung, in der sich der Verdächtige aufgehalten hatte. Das Wohngebiet wurde abgeriegelt. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Der Sprengstoff, den die Ermittler schließlich fanden, war offenbar gut versteckt gewesen.
Der Sprengstoff, den die Ermittler schließlich fanden, war offenbar gut versteckt gewesen. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Weil der Transport sehr gefährlich gewesen wäre, vernichteten Spezialisten den Fund durch gezielte Sprengung in den extra ausgehobenen Erdlöchern in der Siedlung.
Weil der Transport sehr gefährlich gewesen wäre, vernichteten Spezialisten den Fund durch gezielte Sprengung in den extra ausgehobenen Erdlöchern in der Siedlung. © dpa
Später nahmen die Polizisten einen Verdächtigen im Fritz-Heckert-Wohngebiet in Chemnitz fest. Der Syrer soll der Mieter der Wohnung sein, in dem der Sprengstoff gefunden wurde.
Später nahmen die Polizisten einen Verdächtigen im Fritz-Heckert-Wohngebiet in Chemnitz fest. Der Syrer soll der Mieter der Wohnung sein, in dem der Sprengstoff gefunden wurde. © dpa | Bernd März
Gegen ihn wird – wie gegen den Hauptverdächtigen Al-Bakr, nachdem bundesweit öffentlich gefahndet wurde – wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Paragraf 89a StGB) ermittelt.
Gegen ihn wird – wie gegen den Hauptverdächtigen Al-Bakr, nachdem bundesweit öffentlich gefahndet wurde – wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Paragraf 89a StGB) ermittelt. © dpa | Bernd März
Während der Fahndung riegelte die Polizei am Nachmittag des 8. Oktober den Hauptbahnhof in Chemnitz ab.
Während der Fahndung riegelte die Polizei am Nachmittag des 8. Oktober den Hauptbahnhof in Chemnitz ab. © dpa | Arno Burgi
Die Fahnder nahmen zwei Männer fest.
Die Fahnder nahmen zwei Männer fest. © dpa | Arno Burgi
Die Festgenommenen hatten einen Koffer bei sich. Ein ferngesteuerter Roboter zur Bombenentschärfung untersuchte auf einem Gleis im Hauptbahnhof in Chemnitz den roten Koffer. Er erwies sich als harmlos. Die beiden Männer kamen am 9. Oktober wieder frei.
Die Festgenommenen hatten einen Koffer bei sich. Ein ferngesteuerter Roboter zur Bombenentschärfung untersuchte auf einem Gleis im Hauptbahnhof in Chemnitz den roten Koffer. Er erwies sich als harmlos. Die beiden Männer kamen am 9. Oktober wieder frei. © dpa | Arno Burgi
Auch am Berliner Flughafen Schönefeld erhöhte die Polizei am 8. Oktober die Sicherheitsvorkehrungen.
Auch am Berliner Flughafen Schönefeld erhöhte die Polizei am 8. Oktober die Sicherheitsvorkehrungen. © Getty Images | Clemens Bilan
Die Beamten kontrollierten zahlreiche Fahrzeuge. „Wir hatten Hinweise – nachrichtendienstliche Hinweise – , dass er zunächst einmal Züge in Deutschland angreifen wollte. Zuletzt konkretisierte sich dies mit Blick auf Flughäfen in Berlin“, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen am 10. Oktober.
Die Beamten kontrollierten zahlreiche Fahrzeuge. „Wir hatten Hinweise – nachrichtendienstliche Hinweise – , dass er zunächst einmal Züge in Deutschland angreifen wollte. Zuletzt konkretisierte sich dies mit Blick auf Flughäfen in Berlin“, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen am 10. Oktober. © Getty Images | Clemens Bilan
In Chemnitz waren hunderte Polizisten im Einsatz.
In Chemnitz waren hunderte Polizisten im Einsatz. © dpa | Arno Burgi
Großeinsatz der Polizei im Fritz-Heckert-Wohngebiet in Chemnitz.
Großeinsatz der Polizei im Fritz-Heckert-Wohngebiet in Chemnitz. © dpa | Bernd März
Ein Großaufgebot von mehreren hundert Polizisten war im Einsatz.
Ein Großaufgebot von mehreren hundert Polizisten war im Einsatz. © dpa | Bernd März
Sondereinsatzkräfte der Polizei im Plattenbauviertel in Chemnitz.
Sondereinsatzkräfte der Polizei im Plattenbauviertel in Chemnitz. © dpa | Arno Burgi
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Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Justiz in Sachsen unangenehmen Fragen stellen muss. Schon nach den fremdenfeindlichen Vorfällen in Clausnitz und Bautzen zu Beginn des Jahres standen die Behörden des Bundeslandes bundesweit in der Kritik. Nun ein weiterer Fauxpas, der sich zu einem veritablen Justizskandal ausweiten könnte.

Speziell gesicherte Hafträume

„Ich bin fassungslos, da ich davon ausgegangen bin, dass mein Mandant – jedenfalls zur Zeit – als einer der bestbewachtesten Gefangenen in Deutschland gelten konnte“, sagte al-Bakrs Anwalt Alexander Hübner am Morgen in einem Radiointerview mit MRD Sachsen. Den Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt sei das Suizidrisiko bekannt gewesen.

Dschaber al-Bakr galt im Zusammenhang mit einem geplanten Anschlag als Hauptverdächtiger.
Dschaber al-Bakr galt im Zusammenhang mit einem geplanten Anschlag als Hauptverdächtiger. © Polizei Sachsen/dpa | Christian Zander

„Für jemanden, der sich im Hungerstreik befindet und als suizidgefährdet gelten konnte, gibt es allein auf Grund der Gesamtumstände besonders gesicherte Haftumstände“, sagte Hübner. Es gebe besonders gesicherte und mit Kameras überwachte Hafträume. Er sei davon ausgegangen, dass sein Mandant in einem solchen Raum untergebracht worden sei. „Aber anscheinend hat das nicht stattgefunden.“

„Was ist denn schon wieder in Sachsen los? Irre.“

Auch in der Politik ist die Fassungslosigkeit groß, die Liste der Kritiker schon nach kurzer Zeit lang. „Wenn ein unter Dauerbeobachtung stehender Terrorist offenbar Suizid begeht, dann läuft in der sächsischen JVA gewaltig was schief“, schreibt die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion in Sachsen, Katja Meier auf Twitter.

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Der Seeheimer Kreis, ein Zusammenschluss Konservativer innerhalb der SPD, spricht von einem „totalen Kontrollverlust der Behörden“. Der SPD-Verteidigungsexperte und Sprecher der Seeheimer, Johannes Kahrs, schrieb: „Was ist denn schon wieder in Sachsen los? Irre.“ SPD-Außenpolitiker Niels Annen kommentierte, er sei „sprachlos“.

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„Wie konnte das geschehen?“, fragte der Grünen-Politiker Volker Beck am Mittwochabend auf Twitter. Auch der Grünen-Haushaltspolitiker Tobias Lindner ist fassungslos: „Wie kann jemand, der angeblich unter ständiger Beobachtung stehen soll, erhängt aufgefunden werden?“

Ermittlern fehlt nun wichtige Informationsquelle

Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach hielt sich indes zurück. Er wolle noch nicht bewerten, ob es sich beim Suizid des Verdächtigen in der JVA Leipzig um ein Systemversagen handle, sagte er am Morgen im Deutschlandfunk. Er forderte die Verantwortlichen aber dazu auf, Fehler einzuräumen. Nun komme es auf die Aufklärung an und auf die Frage, welche Vorgaben es bei der Überwachung von al-Bakr gegeben habe und wie sie umgesetzt worden seien.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) forderte im ZDF Morgenmagazin eine „schnelle und umfassende Aufklärung der örtlichen Justizbehörden“. Er sei aber sicher, dass das angesichts der Dramatik der Lage „mit vollem Ernst“ gemacht werde. Um 11 Uhr haben die sächsischen Behörden in Dresden in einer Pressekonferenz Details bekannt gegeben.

Durch den Tod von al-Bakr fehlt der Generalbundesanwalt bei ihren Terror-Ermittlungen nun der Hauptverdächtige und damit die wichtigste Informationsquelle. Das wird eine Aufklärung der geplanten Taten auch in Bezug auf die mögliche Beteiligung von Hintermännern deutlich erschweren. Ein mutmaßlicher Komplize sitzt in Untersuchungshaft. Er ist der Mieter der Wohnung von al-Bakr in Chemnitz, in der am Wochenende der gefährliche Sprengstoff TATP gefunden worden war.