Donald Trump läuft nach dem TV-Duell die Zeit davon
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Von Dirk Hautkapp
Washington. Hillary Clinton hat laut Experten das zweite TV-Duell gewonnen. Konkurrent Donald Trump kann nur noch aufs „Schweigekartell“ hoffen.
Das Gemetzel ist vorbei. Jetzt beugen sich wieder die Analysten über das Schlachtfeld, das Donald Trump und Hillary Clinton hinterlassen haben.
Nach der zweiten Fernseh-Debatte im US-Präsidentschaftswahlkampf, die wüster und bösartiger denn je geriet, steht eine Frage im Mittelpunkt: Hat der Republikaner nach seiner Pleite im ersten Aufeinandertreffen noch eine Siegchance? Und das nach einer üppige Pannenserie, dem landesweit für Empörung sorgenden Sex-Skandal-Video und dem daraus resultierenden Liebesentzug durch Dutzende konservative Partei-Prominente? Und: Hat Trump in zentralen Wählergruppen wie Latinos, Frauen, Afro-Amerikanern und Parteiunabhängigen, die sich zuletzt von dem New Yorker Geschäftsmann in Scharen abgewendet hatten, die „Blutungen“ gestoppt? Der Trend sagt: nein.
Nur 34 Prozent sahen Trump vorne
Erste Schnellschuss-Umfragen nach dem Duell in St. Louis ergaben, dass 57 Prozent Clinton als Siegerin sahen, Trump nur 34 Prozent. Wie aussagekräftig das ist, wird sich nach Einschätzung von Nate Silver vom Blog „FiveThirtyEight“ erst in den nächsten Tagen zeigen. Der als Referenz-Größe für die Deutung der Zahlen geltende Wahlkampf-Statistiker ist aber „sehr skeptisch“, dass Trump seine Ausgangsposition vor dem Wahltag am 8. November substanziell verbessert hat.
Bereits vor dem ersten Schlagabtausch in St. Louis hatte er Clintons Sieg-Chancen auf 80 Prozent hochgeschraubt. Das war noch vor Bekanntwerden des trump’schen Sex-Videos („Greif ihnen zwischen die Beine“), das in den US-Medien und in sozialen Netzwerken das mit Abstand größte Wahlkampf-Thema geworden ist.
Auch Entschuldigung hilft Trump nicht bei Wählerinnen
Bereits vorher hatte Clinton in Umfragen bei Frauen, die mit 52 Prozent den größten Wählerblock stellen, Vorsprünge von bis zu 45 Prozent. Erste Reaktionen weiblicher Wähler auf Trumps Entschuldigungsversuch in der gegenseitigen Vorwürfen geprägten Debatte sprechen für eine weitere Distanzierung. Danach glauben fast 65 Prozent der Wählerinnen, dass der Milliardär „keinen Respekt vor Frauen hat“.
Trumps Bemühungen, Hillary Clinton für angebliche außereheliche Verfehlungen ihres Mannes Bill haftbar zu machen und sie als Frauenfeindin zu dämonisieren, kamen laut Umfragen des Senders CNN in weiblichen Wählerschichten ebenfalls „überhaupt nicht gut an“.
„Hat der Mann bei Stalin abgeschrieben?“
Das gilt auch für die Attacken, die Trump gegen Clinton ritt, als es um die E-Mail-Affäre in ihrer Zeit als Außenministerin ging. Als Trump vor laufender Kamera ankündigte, Clinton deswegen ins Gefängnis werfen zu lassen, falls er Präsident würde, gingen Schockwellen durch weite Teile des Publikums. „Hat der Mann bei Stalin abgeschrieben?“, fragt eine Kommentatorin. Zuvor hatten die Bundespolizei FBI und das Justizministerium Clinton Fehlverhalten im Umgang mit ihre digitalen Kommunikation attestiert, aber keine strafrechtlich relevanten Versäumnisse.
Zwischenfazit: Die Frauen scheinen bei der Wahl für Trump so gut wie verloren. Was wichtig ist, weil sie zusammen mit Afro-Amerikanern und Latinos (Gruppen, die Trump auch in St. Louis wieder mit Stereotypen vergrätzt hat) zum wachsenden Teil der Gesellschaft zählen. Während der klassische Trump-Anhänger – männlich, weiß, unterdurchschnittlich gebildet, über 55 – zur aussterbenden Art gehört.
Trump hinkt deutlich zurück
Wie übersetzt sich diese Diskrepanz in die entscheidende Währung bei der Präsidentschaftswahl – die Zahl der Wahlmännerstimmen? Und wie ist die Lage in den „Swing-States“, den Bundesstaaten also, die mal demokratisch, mal republikanisch wählen und das Zünglein an der Waage spielen?
Im Wahlmännergremium, das am 19. Dezember auf Grundlage der Abstimmung vom 8. November den Präsidenten wählt, ist 270 die magische Zahl. Nimmt man die Wahlmänner der Bundesstaaten zusammen, die sich in den letzten sechs Präsidentschaftswahlen konstant als sichere Bank für die beiden Parteien erwiesen haben, kämen die Demokraten Stand heute in vier Wochen auf 242, die Konservativen auf 102 Stimmen.
Trump büßt innerhalb von zwei Wochen Umfragevorsprung ein
Heißt: Clinton hat zahlreiche Optionen, die Lücke zu schließen. Trump dagegen darf sich keine Ausreißer erlauben und muss vor allem im Quartett Florida, North Carolina, Pennsylvania und Ohio punkten. Aussichten? Mäßig.
In Florida, wegen seines hohen Anteils an Wählern lateinamerikanischer Herkunft wichtig, hatte Clinton vor der zweiten Debatte und vor dem Sex-Video-Skandal binnen zwei Wochen einen fast zweistelligen Rückstand auf Trump in einen 5-Prozent-Vorsprung umwandeln können. Florida entsendet 29 Wahlmänner in das „electoral college“ und kann damit kriegsentscheidend sein.
Hillary Clinton will Präsidentin werden
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Trump-Sieg in historischer Betrachtung unwahrscheinlich
In Ohio dagegen lag Clinton Ende vergangener Woche nach Erhebungen des als seriös geltenden Quinnipiac-Instituts fünf Prozentpunkte hinter Trump, der dort bei enttäuschten Wählern aus der alten Industriearbeiterschaft punktet. In Pennsylvania (+4%) und North Carolina (+3%) hatte die Demokratin leicht die Nase vorn.
Donald Trump will ins Weiße Haus
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Zwischenfazit mit aller Vorsicht: Es sieht ungünstig aus für Trump. Seit 1960 ist kein US-Präsident gewählt worden, der aus dem Dreigestirn Florida, Ohio und Pennsylvania nicht mindestens zwei Bundesstaaten gewonnen hat.
Möglich, dass viele in Umfragen lügen
Aber es gibt nach wie vor eine große Unbekannte: Sieben von zehn Wählern sind in Umfragen unzufrieden mit dem Status quo in Amerika und der Richtung, die das Land unter der Regierung Obama genommen hat. Clinton gilt ihnen als verlängerter Arm. Trump dagegen wird als Garant für Wechsel wahrgenommen.
Wahlforscher schließen nicht aus, dass viele Trump wählen, es aber in Befragungen verheimlichen. Man spricht von einem „Schweige-Kartell“. Angesichts einer äußerst niedrigen Wahlbeteiligung – 2012 machten nur 53,6 Prozent der Amerikaner im wahlberechtigten Alter von ihrem Grundrecht Gebrauch – kann sich also eine Überraschung ergeben, wenn Trump Millionen von Nichtwählern in einer Trotz-Reaktion an die Urnen lockt. Dabei könnte die immer größere werdenden Bedeutung der sozialen Netzwerke mit ausschlaggebend sein. Allein auf Facebook beschäftigte die Debatte in St. Louis 20 Millionen Menschen.
Ein weiteres Gemetzel folgt
Wie groß die Zahl der heimlichen Trump-Fans potenziell sein kann, ist offen. Die Registrierung für die Wählerverzeichnisse ist von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden. In einigen laufen die Fristen in diesen Tagen ab, andere lassen noch am 8. November die Teilnahme zu. „Erst Ende Oktober“, sagt Nate Silver, „sind wir etwas schlauer“. Vorher treffen Clinton und Trump wieder zum Show-Kampf im Fernsehen aufeinander. Das letzte Gemetzel findet am 19. Oktober statt.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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