Berlin. Laut einer Studie wirkten auch nach 1945 NS-Juristen im Justizministerium. Sie waren Bremser der „demokratischen Erneuerung“ der BRD.

Dass in Ministerien der jungen Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg Nationalsozialisten eine neue Anstellung fanden, war bekannt. Eine neue Studie verrät nun das Ausmaß. Demnach war mehr als die Hälfte der Führungskräfte des Justizministeriums in der jungen Bundesrepublik zuvor Mitglieder der NSDAP gewesen.

Viele aus der Leitungsebene waren vor 1945 zudem in den Ministerien des NS-Staates direkt an der Umsetzung des „Führerwillens“ beteiligt, wie aus einer am Montag in Berlin vorgestellten Untersuchung über die NS-Vergangenheit hervorging. „Es gab eine hohe personelle Kontinuität zwischen der Nazi-Justiz und dem Justizministerium der jungen Bundesrepublik“, sagte Minister Heiko Maas (SPD). „Und diese Kontinuität hatte fatale Folgen: Sie hat den demokratischen Neubeginn belastet, behindert und verzögert.“

Jede fünfte Führungskraft war SA-Mann

Eine unabhängige wissenschaftliche Kommission hatte sich vier Jahre lang mit der NS-Vergangenheit des Ministeriums beschäftigt. Für die Zeit von etwa 1949/1950 bis 1973 untersuchte sie 170 Führungskräfte des Ministeriums, also Abteilungs-, Unterabteilungs- und Referatsleiter.

Maas zufolge waren 53 Prozent von ihnen ehemalige NSDAP-Mitglieder, jeder fünfte war ein SA-Mann, und 16 Prozent kamen aus dem früheren Reichsjustizministerium. Der Bericht zeige auch die Folgen der personellen Kontinuität: Viele Gesetze seien nur oberflächlich entnazifiziert worden, viele Nazi-Opfer seien auch in der jungen Bundesrepublik weiter diskriminiert worden, etwa Homosexuelle. Zudem habe das Ministerium Völkermördern und Kriegsverbrechern geholfen, in dem es deren Strafverfolgung systematisch verhinderte.

Juristen als „Bremser der demokratischen Erneuerung“

Dem Abschlussbericht zufolge waren die wichtigsten Einstellungskriterien fachliche Kompetenz und ministerielle Erfahrungen. Hinzu seien persönliche Bekanntschaften und in geringerem Maße politische Empfehlungen gekommen.

„Weil sich viele Juristen als unpolitische Rechtstechniker verstanden, wurden sie in der NS-Zeit zu Mittätern des Unrechts“, sagte Maas. Später habe falscher Korpsgeist eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte verhindert. „Und ein Mangel an rechtsstaatlicher Haltung machte viele Juristen zu Bremsern der demokratischen Erneuerung.“

Rosenburg gibt Studie den Namen

Mehrere Ministerien haben ihre NS-Vergangenheit bislang von einer Historiker-Kommission aufarbeiten lassen. Die des Justizministeriums trägt den Namen „Die Akte Rosenburg – Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit“. Die sogenannte Rosenburg am Venusberg in Bonn – ein burgartiges Landhaus im neoromanischen Stil – war von 1950 bis 1973 der Hauptsitz des Ministeriums. (dpa)