Athen. Im siebten Jahr des Sparprogramms ist kein Ende der Krise in Sicht: Jeder zweite Jugendliche hat keinen Job, die Renten brechen ein.

Vor zwei Jahren hat Anna Fillini ihr Diplom als Bauingenieurin gemacht. Eine Stelle hat sie bisher nicht gefunden. „In meinem Beruf ist das fast aussichtslos“, erklärt die 26-jährige Griechin. Die Bauwirtschaft liegt am Boden. Jetzt endlich hat Anna Fillini den ersten Job ihres Lebens: Sie kellnert in einem Straßencafé. 290 Euro monatlich hat der Wirt für den Teilzeitjob mit 30 Wochenstunden angeboten. „Entscheiden Sie sich schnell, ich habe mehrere Bewerbungen“ sagte der Mann. Anna Fillini willigte ein. Ihren wahren Namen will sie nicht lesen. Die junge Griechin schämt sich. „Mein erster Job ist im Grunde eine Niederlage“, sagt sie traurig. „Ich bin noch so jung – und schon gescheitert.“

20 Monate nach dem Amtsantritt von Premierminister Alexis Tsipras geht es den meisten Griechen schlechter denn je. Von den bisher ausgezahlten Hilfskrediten – immerhin 243 Milliarden Euro – kam bei den Menschen fast nichts an. Das Geld diente überwiegend dazu, Altschulden zu refinanzieren.

86 Prozent sehen das Land „auf dem falschen Weg“

Nach Berechnungen der staatlichen Statistikbehörde Elstat sind 3,83 Millionen der Griechen arm oder armutsgefährdet. Das entspricht rund einem Drittel der Gesamtbevölkerung von 10,9 Millionen. Nach einer repräsentativen Umfrage der Universität Thessaloniki glauben 86 Prozent der Griechen, das Land sei „auf dem falschen Weg“.

2014 gab es noch einen Hoffnungsschimmer. Die Konjunktur hatte sich kurz erholt. Doch nach dem Wahlsieg des Linkspopulisten Tsipras rutschte das Land wieder in die Rezession zurück. Im ersten Halbjahr 2016 schrumpfte die Wirtschaft um 0,75 Prozent. Die Firmen-Insolvenzen erreichten ein neues Dreijahreshoch.

Experten sehen Wachstumsprognosen skeptisch

Bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit fiel Griechenland in der Rangliste des World Economic Forum um fünf Plätze auf Rang 86 unter 138 Ländern zurück – noch hinter die Ukraine, Albanien und den Iran. Der Internationale Währungsfonds (IWF) nennt mangelndes Reformtempo, Investitionsbremsen, Wachstumshindernisse und hohe politische Risiken als Hürden.

Für 2017 setzt die Regierung ein Wachstum von 2,7 Prozent an, aber viele unabhängige Experten bleiben skeptisch. Deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten für Griechenland nächstes Jahr nur eine leichte Erholung von 0,7 Prozent. Der Arbeitsmarkt wird von der Erholung zunächst kaum profitieren. Die Arbeitslosenquote in Griechenland lag im Juni bei 23,4 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei fast 48 Prozent – ein trauriger Rekord in Europa. Die Aussichten sind düster: In den nächsten drei Jahrzehnten werde die Arbeitslosenquote im zweistelligen Bereich bleiben, so der IWF.

Jeder muss sich einschränken

Aber auch wer eine Arbeit hat, muss sich einschränken. Seit Beginn der Krise sind die Einkommen um durchschnittlich ein Drittel zurückgegangen. Sechs von zehn griechischen Arbeitnehmern verdienen weniger als 1000 Euro brutto im Monat, jeder vierte bekommt sogar weniger als 400 Euro. Um Lohnkosten zu sparen und den Kündigungsschutz zu umgehen, stellen die meisten Arbeitgeber nur noch Teilzeitkräfte ein, vor allem in der Gastronomie. Sie verdienen laut Berechnung der Sozialversicherungsanstalt IKA mit durchschnittlich 338 Euro netto im Monat weniger als das staatliche Arbeitslosengeld von 360 Euro.

Auch die griechischen Rentner müssen den Gürtel immer enger schnallen. „Meine Bezüge sind seit 2010 von 1250 auf 970 Euro gefallen“, erzählt der pensionierte Bankangestellte Babis Nikas. Manche Rentner berichten sogar von Kürzungen um 40 Prozent. Die Folge: Altersarmut wird zu einem immer größeren Problem. Nach Angaben des Rentnerverbandes Endisy bekommen fast 45 Prozent der Pensionäre weniger als 665 Euro im Monat – und leben damit unterhalb der Armutsgrenze.

Junge Griechen fliehen vor Dauerkrise

Viele Menschen sind am Ende ihrer Kräfte, weiß Giorgos Protopapas, Direktor der SOS-Kinderdörfer in Griechenland: „Viele arbeitslose Familien haben die Rente der Eltern als einziges Einkommen. Nun bricht auch dieses mehr und mehr weg. Deshalb geht vielen Familien die Luft aus. Sie sind inzwischen absolut perspektivlos.“ Betreute die Hilfsorganisation vor der Krise etwa 50 Familien, sind es jetzt über 1800 bedürftige Familien mit mehr als 6000 Kindern und Erwachsenen.

Immer mehr junge Griechen fliehen vor der Dauerkrise aus ihrem Land. Nach einer Schätzung der Bank von Griechenland sind seit 2008 rund 427.000 Menschen ausgewandert – überwiegend junge, gut ausgebildete Fachkräfte und Akademiker. Nach Berechnungen der Nichtregierungsorganisation Endeavor Greece tragen die Auswanderer in ihren Gastländern mit jährlich 12,9 Milliarden Euro zu deren Wirtschaftsleistung bei. Griechenland verliert also nicht nur seine besten Talente, sondern auch sehr viel Geld.

Anna Fillini will nach Deutschland

Auch Anna Fillini sieht keine Zukunft in Griechenland. An ihren freien Abenden besucht sie einen Deutschkurs am Athener Goethe-Institut. Sobald sie ihre Sprachausbildung abgeschlossen und genug Startkapital gespart hat, will die Griechin nach Deutschland auswandern. Dort hofft sie, endlich in ihrem studierten Beruf arbeiten zu können. „Ich liebe meine Heimat“, sagt Fillini, „aber ich kann nicht darauf warten, dass sich dieses Land wieder aufrappelt.“