Washington. Erneut hat ein Mitarbeiter dem Geheimdienst sensible Daten geklaut. Ihm droht eine lange Haftstrafe. Über seine Motive wird gerätselt.

Als sie Harold Thomas Martin III Ende August in seinem Haus vor den Toren Washingtons verhafteten, setzten die FBI-Agenten Blendgranaten ein. Inzwischen hat sich der Rauch verzogen. Der 51-jährige Computer-Spezialist, der wie der weltweit bekannt gewordene Enthüller Edward Snowden im Auftrag der Firma Booz Allen Hamilton für den Geheimdienst NSA arbeitete, sitzt in Haft.

Laut Anklageschrift soll er über Jahre streng geheime Unterlagen digital und auf Papier gehortet haben. Falls sie veröffentlicht würden, wäre die „nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten erheblich gefährdet“. Martin droht eine Gefängnisstrafe von bis zu elf Jahren.

Cyber-Experte an der Spitze des US-Geheimdienstes

Präsident Obama, das Justizministerium und der gesamte Sicherheits-Apparat sind alarmiert: Wieder die NSA? Wieder der private Dienstleister Booz Allen Hamilton? Wieder ein Täter mit oberster „security clearance“, das heißt: Zugang zu streng vertraulichen Informationen?

Nach dem Snowden-Skandal hatte die Regierung Milliardensummen investiert, um weitere „Leaks“ (Enthüllungen) zu verhindern. An der Spitze des größten US-Geheimdienstes wurde mit Admiral Michael Rogers ein ausgewiesener Cyber-Experte installiert. Alles vergebens?

Martins Motive weiter unklar

Über die Motive Martins wird noch gerätselt. Klare Indizien für eine politische Mission wie bei Snowden, der die Überwachungspraktiken der NSA bloßstellen wollte, oder einen Spionageakt (der ehemalige NSA-Agent John Schindler hatte über eine mögliche Verbindung Martins nach Russland spekuliert) gibt es bisher nach Angaben der Behörden nicht.

Was in der heißen Phase des Präsidentschaftswahlkampfes nicht viel heißen muss. „Niemand will, dass die Sache gerade jetzt Flügel bekommt“, sagte gestern ein Sicherheits-Fachmann der Denkfabrik Cato.

Anwälte sehen Martin als Patrioten

Die Bundespolizei FBI hat ihre Experten für die Erforschung von Tätermotiven auf den in Glen Burnie/Maryland in unmittelbarer Nähe der NSA-Zentrale in Fort Meade wohnenden Mann angesetzt.

Dabei wird eine Rolle spielen, was wenige Tage vor der Verhaftung Martins das sicherheitspolitische Washington erschüttert hat: Ende August bot die Hacker-Gruppe „Shadow Brokers“ im Internet gestohlene Computer-Programme an, um in staatliche Netzwerke zu gelangen. Herkunft der digitalen Waffen: die NSA. Hat der lange bei der US-Marine tätig gewesene Harold Thomas Martin III damit etwas zu tun?

Seine Pflichtverteidiger James Wyda und Deborah Boardman erklärten, Martin sei ein Patriot und habe „seine ganze Karriere dem Dienst an seinem Land gewidmet“.