Berlin. Manche Nutzer hielten den Twitter-Account von Günter Oettinger für Satire: Der EU-Kommissar twittert eigenwillig zum Thema Google.

Wenn EU-Digitalkommissar Günter Oettinger in einer Fernseh-Talkshow auftritt, dann googeln neugierige Menschen nach seinem Namen. Und dann tritt ein Effekt ein, den Oettinger gerade bestritten hat: Die Klicks auf Artikel mit seinem Namen gehen in die Höhe.

Oettinger twitterte nun, dass Menschen mit den Überschriften und Anreißern auf Google zufrieden sind, wenn sie Nachrichten suchen. Auf Twitter machte sich danach Fassungslosigkeit breit, dass der „Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ ein solches Verständnis von Internetnutzung hat. Oettinger legte nach und führte eine Umfrage als fragwürdigen Beleg an.

Oettinger hatte auf einen Tweet reagiert, in dem es um das Leistungsschutzrecht für Presseverleger (LSR) ging. Dessen Ziel: Wer kommerziell die Vorschau auf Artikel nutzt, soll den Verlagen dafür zahlen. Google sieht sich dagegen als Instrument, das den Verlagen zu Besuchern verhilft. Das Argument zählt nach der Oettinger-Logik nicht: Denn wenn Nutzer der Google-Suche mit der Vorschau zufrieden sind, nicht auf Artikel klicken und deshalb nicht zu den Seiten der Verlage gelangen, hat nur Google etwas davon.

Besucher von Google spielen große Rolle

Wer Facebook-Kommentare unter von Medien geposteten Artikeln liest, hat zwar erschreckend oft den Eindruck, dass vielen Menschen das Lesen der Überschrift schon zum Mitreden reicht. Die Zahlen der Verlage zeigen aber auch, dass die Vorschau eben doch vielfach zum Klicken führt: Der Fragesteller, Journalist Mario Sixtus, nannte beispielhaft, bei Focus Online kämen bis zu 80 Prozent der Leser über Google auf die Artikel. Zeit Online twitterte mit dem Hashtag #trafficleaks eine Statistik, wonach dort 20,5 Prozent der Besucher von Google kommen.

Damit ihre Inhalte besser gefunden werden, investieren Medien auch in die Suchmaschinenoptimierung. Oettinger sollte das grob wissen als für das Digitale zuständiger EU-Kommissar, entsprechend irritiert wurde sein Kommentar aufgenommen.

Oettinger verweist auf Umfrage

Julia Reda, auf das Thema spezialisierte Europa-Abgeordnete der Piratenpartei, schrieb Oettinger: „Aus dem Anreißertext allein kann man sich ja schlecht informieren. Aber selbstverständlich klicke ich nicht auf alles.“ Oettinger versuchte, bei ihr und anderen seine Position mit einer Umfrage der EU zu untermauern:

12.651 Nutzer hatten auf die Frage geantwortet, was sie am häufigsten tun, wenn sie mit News-Aggregatoren, Suchmaschinen oder Social Media auf Nachrichten zugreifen. Und da hatten 47 geantwortet, sie würden die Hauptnachrichten lesen, ohne auf die Links zu klicken. 45 Prozent hatten allerdings auch geantwortet, dass sie auf die verfügbaren Links klicken.

Das Blog netzpolitik.org kritisierte Oettingers Interpretation: „Das ist so als würde man Zeitungsnutzer fragen, ob sie alle Artikel einer Print-Zeitung lesen würden – und das mehrheitliche Nein der Befragten als Anlass dafür nimmt, in Zukunft nur noch Überschriften und Teaser in der Zeitung zu drucken.“

Satt von Vorspeisen

Oettinger, der beim Bundeskongress der Zeitungsverleger gemahnt hatte, Verlage sollten vor allem Online-Journalisten das Thema Leistungsschutzrecht besser vermitteln, nutzte ein weiteres Bild: Medien seien Gasthäuser, die Vorspeise (Überschrift und Anreißer) sowie Hauptgericht zubereiteten. Google nehme die Vorspeise und verteile sie großzügig – und keiner gehe satt von den Vorspeisen noch ins Gasthaus. Das verkennt allerdings auch, dass Medien Google von der Versorgung mit Vorspeisen abschneiden könnten.

Oettinger bekam einerseits Lob für die Bereitschaft, sich der Diskussion zu stellen. Andererseits versuchten Nutzer mit Vergleichen zu illustrieren, wie wirklichkeitsfremd Oettingers Verständnis der Google-Nutzung sei. Zum Beispiel: Kunden in Buchhandlungen kaufen viele Bücher nicht nach dem Lesen des Klappentextes – der Buchhandel müsse eine Gebühr fürs Reinlesen zahlen. Oder: Wer am Kiosk vor dem Kauf einer Zeitung oder Zeitschrift die Themen auf der Titelseite betrachte, sei ein „gemeiner Raubleser“. Einer gestand: „Ich lese mir jedes Titelbild durch und kaufe mir doch nur eine bunte Tüte für einen Euro.“

Katharina Borchert, unter anderem früher Geschäftsführerin von Spiegel Online, und heute im Silicon Valley im Vorstand der Mozilla-Stiftung für deren Zukunftsausrichtung zuständig, fragte Oettinger wegen eines Termins an, um ihm den Traffic im Netz mit harten Zahlen zu erklären. Gemeint als „ehrliches Angebot, nicht als Attacke“. Oettinger sagte zunächst ab: Am vorgeschlagenen Termin ist er – beim Google-Management. (law)