Berlin. Umstrittene Extra-Honorare für Ärzte machen Patienten offenbar kränker als sie sind. Die Gesundheitskosten schießen so in die Höhe.

Krankenkassen verschwenden offenbar Geld in Milliardenhöhe, indem sie dubiose Verträge mit Ärzten abschließen. Diesen Vorwurf erhebt die BKK Mobil Oil, mit einer Million Versicherten immerhin die zweitgrößte Betriebskrankenkasse. „Pro Jahr geben die Kassen bis zu eine Milliarde Euro für zusätzliche Ärztehonorare aus, ohne einen Nachweis zu haben, dass Patienten dadurch besser versorgt werden“, sagt der Vorstand der Kasse, Wolfgang Schnaase. Das Geld werde „sinnlos verschwendet“.

Die Verträge, um die es geht, heißen im Fachjargon „Betreuungsstrukturverträge“. Darin belohnen Krankenkassen Ärzte finanziell dafür, dass sie ganz bestimmte Krankheitsdiagnosen ihrer Patienten an die Krankenkassen melden.

Verträge lohnen sich für die Krankenkassen

Für die Kassen lohnen sich die Ausgaben deshalb, weil sie für diese Patienten anschließend selbst zusätzliches Geld aus dem 200 Milliarden Euro schweren Gesundheitsfonds bekommen, aus dem alle gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden. Viele Kassen stehen mit diesem Zuschuss dann besser da als ihre Konkurrenten. Experten zufolge ist das der Grund, weshalb inzwischen fast alle großen Krankenkassen solche Verträge mit Ärzten abschließen. Bundesweit gibt es schon mindestens 50 solcher Verträge – mit steigender Tendenz.

Nach Meinung von BKK-Vorstand Schnaase hat diese Entwicklung gravierende negative Folgen für die Versicherten: Weil die Ärzte einen Anreiz hätten, mehr Diagnosen zu stellen, nehme der Behandlungsbedarf der Patienten scheinbar zu. „Das schlägt sich in höheren Ausgaben für Ärztehonorare nieder und damit letztlich in höheren Beitragssätzen“, sagt Schnaase.

Finanzieller Anreiz für Diagnose schlimmerer Krankheit

Er bezieht sich dabei auf Daten, die für die Verhandlungen zwischen Kassen und Ärzten über die Honorare für die Mediziner verwendet werden. Diesen Daten zufolge wird die Zahl der Krankheitsdiagnosen in diesem Jahr doppelt so stark steigen wie im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre. Schnaase führt dies auf die Betreuungsverträge zurück.

Konkret funktionieren die umstrittenen Verträge so, dass ein Arzt einen finanziellen Anreiz bekommt, beispielsweise einen beginnenden leichten Diabetes als voll ausgeprägten Diabetes zu diagnostizieren. Er könnte auf die Diagnose auch verzichten und dem Patienten zunächst gesünderes Essen und mehr Bewegung empfehlen. Das gleiche Muster gilt etwa bei Bluthochdruck.

Geld bleibt wohl allein bei den Ärzten

„Die Verträge tragen dazu bei, dass mehr Krankheiten und immer mehr chronische Krankheiten diagnostiziert werden“, sagt Gerd Glaeske, Professor am Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen. Das dafür verwendete Geld lande wohl allein bei den Ärzten. Es sei jedenfalls nicht erkennbar, dass die Versorgung der Patienten durch diese Verträge besser werde.

„Durch die Betreuungsverträge entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden“, konstatiert Glaeske. Die von der BKK Mobil Oil geschätzte Summe von einer Milliarde Euro hält er für plausibel.

Verfehlungen sind nur schwer nachzuweisen

Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem von der Uni Duisburg-Essen sieht die Entwicklung weniger kritisch. Es sei richtig, dass immer mehr Krankheiten diagnostiziert würden, sagt er. „Dass Aktivitäten der Krankenkassen diese Entwicklung noch verstärken, ist denkbar, aber bisher nicht nachweisbar“, meint Wasem. Wenn Ärzte dazu gebracht würden, mehr als die tatsächlichen Diagnosen zu notieren, dann sei dies „falsch und illegal“. Das herauszufinden, sei aber schwer.

Tatsächlich beobachtet das Bundesversicherungsamt die Aktivitäten der Kassen bisher nur. In seinem Jahresbericht für 2015 schreibt die Aufsichtsbehörde, es sei „eine Tendenz zu erkennen“, wonach Kassen durch „Abrechnungsbestimmungen in Anknüpfung an die Diagnosedokumentation“ versuchen würden, sich höhere Einnahmen aus dem Gesundheitsfonds zu verschaffen. Man werde sich mit dem Thema weiter befassen.