Moskau. Vizekanzler Sigmar Gabriel trifft zum dritten Mal Präsident Putin. Statt um Wirtschaftsfragen geht es vor allem um den Syrien-Konflikt.

Sigmar Gabriel will keine Zeit verlieren in Moskau. Gleich nach der Landung fährt der Wirtschaftsminister zur Residenz des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor den Toren der Hauptstadt. Es ist schon dunkel geworden an diesem Mittwoch, als Putin seinen deutschen Gast in Nowo-Ogarjowo empfängt.

In anderen Zeiten wäre Gabriels Visite fast ein nettes Treffen von guten Bekannten geworden: Schon zum dritten Mal in zwei Jahren besucht der Wirtschaftsminister den Präsidenten, eigentlich wollte er mit Putin vor allem über die Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen sprechen. Aber jetzt, angesichts der Zuspitzung des Syrien-Konflikts, kommt es anders.

Gabriel prangert Angriffe auf Hilfskonvois an

In dem kleinen schmucklosen Konferenzraum seiner Residenz nennt Putin Gabriels Besuch höflich „sehr wichtig“, lobt Deutschland als wichtigen Handels- und Wirtschaftspartner, beklagt aber den Einbruch des deutsch-russischen Handels.

Doch der Vizekanzler will jetzt nicht nur über Handel und Investitionen reden, er kommt schnell zur Sache: „Immer wenn ich Sie treffe oder nach Moskau komme, sind die Zeiten schwierig“, sagt er zu Putin. Die Krisen in Syrien und der Ukraine hätten in Deutschland eine „unglaubliche Besorgnis“ ausgelöst. Was in den letzten Tagen passiert sei, fährt Gabriel mit Blick auf die Angriffe auf Hilfskonvois in Syrien fort, sei „das Schlimmste, was ich mir habe vorstellen können“.

Putin soll Einfluss auf Assad geltend machen

Der Vizekanzler macht aus seiner Enttäuschung, dass nicht einmal die Feuerpause eine Erleichterung für die Zivilbevölkerung in Syrien gebracht habe, keinen Hehl. Er hatte auf eine konstruktive Rolle Russlands im Syrien-Konflikt gehofft. Aber den jüngsten Angriff auf einen Hilfskonvoi der Vereinten Nationen hat nach deutscher Einschätzung Putins Verbündeter, der syrische Machthaber Baschar al-Assad, zu verantworten. Jetzt fordert Gabriel die russische Seite auf, ihren Einfluss auf Assad geltend zu machen, damit solche Angriffe aufhörten.

Putin hört sich die Klage ruhig an. Manchmal nickt er zu Gabriels Worten, dann schiebt er die Blätter vor sich zusammen oder ordnet die Stifte auf dem Tisch vor ihm. Einsilbig verspricht er, man werde „Lösungen finden“.

Putin sieht sich Position neuer Stärke

Später, hinter verschlossenen Türen, wird Putin die Verantwortung für die jüngsten Angriffe von sich weisen – und sich darüber beklagen, dass Russland allein die Verantwortung für die Einhaltung der Waffenruhe zugeschoben werde. „Er fühlt sich allein gelassen“, berichtet Gabriel nach dem Treffen. Das zweieinhalb Stunden dauernde Gespräch findet nach seinen Worten in angenehmer Atmosphäre statt, gut eine Stunde sprechen sie unter vier Augen – aber was die Syrienkrise anbelangt, kommen sie nicht zusammen.

In Gabriels Delegation hatten sie schon geahnt, dass es wegen der Krise knifflig werden würde. Gabriel hatte sich vor dem Abflug mit der Kanzlerin und dem Außenminister besprochen, absagen wollte er den zweitägigen Russland-Besuch nicht. „Wir haben ein dringendes Interesse an der politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung sowohl in Osteuropa als auch in Syrien und im Nahen Osten“, sagt der Vizekanzler. In verschärften Krisen müsse der Dialog intensiver statt schwächer werden. Doch Putin sieht sich in einer Position der neuen Stärke: Seine Partei Geeintes Russland hat am Wochenende bei den Parlamentswahlen trotz wirtschaftlicher Rezession einen Erdrutschsieg eingefahren. Auch wenn Wahlbeobachter Unregelmäßigkeiten monieren – Putins erneuter Kandidatur bei den Präsidentenwahlen 2018 steht wohl nichts mehr im Weg.

Gabriel sieht Russland-Sanktionen kritisch

Es ist für den russischen Präsidenten ein netter Zufall, dass sein erster internationaler Gast nach dem Wahlsieg die wegen des Ukraine-Konfliktes verhängten EU-Sanktionen gegen Russland inzwischen skeptisch sieht. Auch dies ist nun ein Thema in Putins Residenz: Gabriel hatte sich schon bei seinem letzten Besuch im Oktober 2015 für den schrittweisen Abbau der Sanktionen ausgesprochen.

Wenn es nach ihm geht, besteht die Europäische Union nicht mehr auf einer vollständigen Umsetzung des Minsker Abkommens, was eine dauerhafte Waffenruhe, Kommunalwahlen und sichere Ostgrenzen der Ukraine bedeuten würde. Die Sanktionen sollten stattdessen Zug um Zug abgebaut werden. Auf Dauer bringe die Isolation nichts, sagt Gabriel. Seit dem Rekordjahr 2012 haben sich die deutschen Exporte nahezu halbiert, 2015 lagen sie gerade noch bei 21 Milliarden Euro. Und im ersten Halbjahr 2016 gingen die Ausfuhren noch einmal um ein Fünftel zurück.

Deutsche Unternehmen wittern Aufträge

Die deutsche Wirtschaft begrüßt deshalb Gabriels Vorstöße, sie wünscht sich mehr Rückenwind von der deutschen Regierung. Russland lockt mit spannenden Projekten wie dem Bau einer 700 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitstrasse von Moskau nach Kasan, bei dem sich auch deutsche Unternehmen gute Chancen ausrechnen. Gabriel plädiert bei Putin dafür, die Wirtschaftsbeziehungen wieder mit neuem Leben zu erfüllen, so fordert es auch Putin. Der Präsident erklärt, die vielen Freunde Russlands in Deutschlands sollten wissen: „Unsere Freunde bleiben unsere Freunde.“