Berlin. Müntefering, Platzeck, Brandt und Kohl: Nicht nur in den USA macht Spitzenpolitikern der (Wahlkampf-)Alltag gesundheitlich zu schaffen.

Franz Müntefering sprach gerade in der Fußgängerzone in Homburg an der Saar. Nur noch ein paar Wochen bis zu den Wahlen am 18. September des Jahres 2005. Es war ein warmer Augusttag. Von Berlin aus war der Wahlkämpfer am Morgen nach Frankfurt am Main geflogen und dann mit dem Auto weiter nach Saarbrücken. Dort absolvierte er eine weitere SPD-Kundgebung und eine Bootsfahrt, dann ging es weiter nach Homburg. Vor den 600 Zuhörern stockten ihm plötzlich die Worte. Und der 65-jährige damalige SPD-Vorsitzende sagte: „Ich muss hier abbrechen, mir geht es nicht gut.“ Augenblicke später sackte er am Pult zusammen, wurde für einen Moment ohnmächtig.

Schwäche im Wahlkampf? Eigentlich eine Unmöglichkeit im Politikbetrieb. Krankheit, Sucht oder offen zur Schau getragene private Probleme kratzen das Image des leistungsstarken und belastbaren Volksvertreters an. Daher werden vonseiten der Sprecher und der eigenen Partei die Krankheit oder ein Zusammenbruch heruntergespielt oder gar verschwiegen. Nur bei Müntefering ging das nicht, da alles öffentlich passierte. Sein Sprecher ließ damals verlauten, schuld sei eine Kreislaufschwäche. Und eine saarländische SPD-Frau bezeugte, es sei wirklich sehr warm auf der Bühne gewesen.

Hörsturz und Kreislaufzusammenbruch

Matthias Platzeck, der bereits Ministerpräsident des Landes Brandenburg war, trat im November 2005 auch noch den Bundesvorsitz der SPD an, wurde Münteferings Nachfolger. Nur fünf Monate später gab Platzeck dieses Amt wieder auf. Er sagte, er habe sich mit der Übernahme des SPD-Vorsitzes gesundheitlich übernommen. Bereits zum Jahreswechsel soll er einen Hörsturz erlitten haben, im Februar dann einen Kreislauf- und Nervenzusammenbruch, Ende März einen zweiten Hörsturz. Der Hörsturz gilt medizinisch als eine typische Folge von Stress. 2013 dann trat Platzeck schließlich auch als Ministerpräsident zurück, ein Schlaganfall war der Grund.

Auch der „Schwächeanfall“ des früheren SPD-Verteidigungsministers Peter Struck im Jahr 2004 war ein verheimlichter Schlaganfall. Als Willy Brandt 1978 einen Herzinfarkt erlitt, war es eine „Erkältung“, die ihn seine politischen Ämter nicht ausüben ließ. Ebenso erging es FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Juli 1989, er musste wegen eines zweiten Herzinfarkts operiert werden. Und der Linke Gregor Gysi überlebte insgesamt drei Infarkte.

Unter Schmerzen zum Parteitag der CDU

Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde mehrfach bewusstlos in seinem Büro gefunden, die Öffentlichkeit erfuhr davon erst viel später. Helmut Kohl schilderte in seinen Erinnerungen, wie er sich 1989 unter heftigen Schmerzen an der Prostata zu einem Parteitag quälte. Er ahnte, dass seine Gegner ihn stürzen wollten. Und dass er sich keine Schwäche erlauben durfte. Auch der frühere Umweltminister Jürgen Trittin musste 2010 zugeben, was sich nur 24 Stunden verheimlichen ließ, ein Herzinfarkt war der Grund, warum er Wochen pausieren musste.

Immer wieder wird auch der Gesundheitszustand des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer diskutiert. Im Jahr 2002 war sein Zustand sogar lebensbedrohlich, als er eine Herzmuskelentzündung verschleppt hatte. 2005 sagte er: „Es gehört nicht zum Bild eines Politikers, krank und schwach zu sein.“ Zuletzt erlitt er im Januar 2016 in Wildbad Kreuth während einer Rede vor den CSU-Landtagsabgeordneten einen Schwächeanfall. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer gab kurz danach Entwarnung: Der Ministerpräsident habe sich sofort wieder erholt.