Berlin. Sigmar Gabriels abfällige Geste gegen rechte Pöbler sorgt nur für mäßigen Wirbel. In früheren Fällen war das anders. Eine Betrachtung.

Peer Steinbrück hat es getan, und nun auch Sigmar Gabriel. Der gestreckte Mittelfinger scheint so etwas wie das Markenzeichen sozialdemokratischer Kanzlerkandidaten zu werden – vorausgesetzt Gabriel tritt 2017 tatsächlich als Spitzenkandidat für die SPD an. Aber davon gehen wir jetzt einfach mal aus.

Allerdings gibt es doch gravierende Unterschiede zwischen Steinbrücks Mittelfinger von 2013 und Gabriel Geste aus dieser Woche. Steinbrücks Finger war eine inszenierte Pose bei einem Fototermin im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“. Der SPD-Mann wollte damit in der Endphase eines für ihn hoffnungslosen Wahlkampfs seinen zahlreichen Kritikern etwas zurückzahlen. „Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?“, lautete seinerzeit die Frage, auf die der Kanzlerkandidat mit dem Stinkefinger antwortete. Da hatte Steinbrück schon nichts mehr zu verlieren.

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„Dieses Bild wird Steinbrück nie mehr los“, titelte damals die „Zeit“ eine Geschichte über Steinbrücks Geste. Tatsächlich ist der Stinkefinger-Skandal neben der Debatte über seine stattlichen Redehonorare so ziemlich das einzige, was von Steinbrücks glückloser Kandidatur in Erinnerung blieb.

Sigmar Gabriel, der Lässige

Anders liegt die Sache bei Sigmar Gabriel. Er will ja erst noch Kanzlerkandidat werden, was ihm als Parteichef auch zusteht. Kritiker werfen ihm gelegentlich Flatterhaftigkeit und Wankelmütigkeit vor. Nichts fürchten sie in der SPD-Zentrale mehr als nicht abgestimmte Aktionen ihres Vorsitzenden.

Als Gabriel dieser Tage bei einem öffentlichen Termin in Salzgitter von rechten Pöblern unter anderem als „Volksverräter“ beschimpft wurde, zog Gabriel lächelnd die rechte Hand aus der Hosentasche, reckte den Störern den Mittelfinger entgehen und kehrte ihnen demonstrativ den Rücken zu. Das war spontan, nicht geplant wie bei Steinbrück, und es kam gerade deshalb sympathisch rüber. Sigmar, der Lässige.

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Seit 1996 findet sich der „Stinkefinger“ im Duden, der auch gleich die Bedeutung mitliefert: „Hochgestreckter Mittelfinger, der einer Person – mit dem Handrücken auf sie zu – gezeigt wird, um auszudrücken, dass man sie verachtet, von ihr in Ruhe gelassen werden will.“ Andere in der Politik, vor Steinbrück und Gabriel, machten davon auch schon Gebrauch. Ex-SPD-Mann Wolfgang Clement etwa. Und Gewerkschaftschef Frank Bsirske reckte einmal bei einer Rede gleich beide Mittelfinger in die Luft.

Jan Böhmermann erhob den Mittelfinger zur Kunstform

Manchmal weiß man nicht so genau, wem der Mittelfinger gilt. Wie im März 2015, als ein Video des damaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis in der ARD-Talkshow von Günther Jauch gezeigt wurde. Die Aufnahme – damals schon zwei Jahre alt – zeigte den umstrittenen Politiker bei einer Rede, in der er den Finger zeigte, während er auch über Deutschland sprach. Wer war der Adressat? Die Bundeskanzlerin? Die Bundesregierung? Ganz Deutschland? Man weiß es nicht. Doch die Aufregung war reisig. Es war der clevere TV-Satiriker Jan Böhmermann, der aus der Geste eine mediale Inszenierung machte – und so den Stinkefinger gleichsam zur Kunstform erhob.

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Im „Fall Gabriel“ ist damit nicht zu rechnen. Sein Auftritt in Salzgitter ist zwar eine Meldung wert, taugt aber nicht mehr zum Aufreger. Womöglich hat sich die Geste ja auch etwas abgenutzt, nach den lauten Schlagzeilen bei Steinbrück und Varoufakis. Aber, wer weiß, vielleicht bekommt Sigmar Gabriel im nächsten Jahr eine neue Gelegenheit, das Skandal-Potenzial des gestreckten Mittelfingers zu testen – als Nachfolger des Kandidaten Steinbrück, in einem hoffnungslosen Wahlkampf.