Berlin. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine um die Krim ist neu entflammt. Nur Säbelrasseln – oder droht nun eine neue Eskalation?

Droht ein neuer Krimkrieg? Wer nach den ungeklärten bewaffneten Zwischenfällen der vergangenen Tage den Präsidenten Russlands und der Ukraine zugehört hat, der wird zumindest eine verbale Mobilmachung nicht bestreiten können. „Was wir auf der Krim gesehen haben, war eine verbrecherische Aktion. Es sind Menschen gestorben, und das werden wir nicht einfach auf sich beruhen lassen“, drohte Kremlchef Wladimir Putin am Mittwoch. Kurz darauf konterte Petro Poroschenko in Kiew: „Die Anschuldigungen sind zynisch. Es handelt sich um reine Fantasien, die dazu dienen, eine militärische Aggression gegen die Ukraine vorzubereiten.“

Die westlichen Beobachter sind alarmiert

Am Donnerstag handelte Putin. Er berief sein Sicherheitskabinett ein und ließ verkünden, dass Russland zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Infrastruktur auf der völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel seine Militärpräsenz „zu Wasser, zu Lande und in der Luft verstärken“ werde. Details blieben offen, so wie auch weiterhin die Frage unbeantwortet ist, was auf der Krim eigentlich passiert ist. Hat es wirklich ukrainische Terrorangriffe und Panzerbeschuss gegeben, oder handelte es sich um eine von Moskau inszenierte Propagandashow?

Die bekannten Fakten und vor allem die Belege sind dürftig. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB berichtete, Spezialeinheiten des ukrainischen Verteidigungsministeriums hätten bereits am vergangenen Wochenende und ein weiteres Mal am Montag „kritische Elemente der Infrastruktur und der Versorgung der Halbinsel angegriffen, um die Situation in der Region zu destabilisieren“. Sieben „Terroristen“ seien nach Feuergefechten festgenommen worden. Bei ihnen seien unter anderem 20 Sprengkörper mit einer Explosivkraft von 40 Kilogramm TNT sichergestellt worden. Zwei russische Militärangehörige kamen demnach ums Leben.

Die Ukraine bestreitet, mit den Vorgängen etwas zu tun gehabt zu haben, falls es sie denn überhaupt gegeben haben sollte. Berichte von unabhängigen Beobachtern liegen bislang nicht vor. Der Ort des angeblichen Geschehens, die grenznahe Landenge von Perekop, die die Krim mit dem ukrainischen Festland verbindet, ist dünn besiedelt und angesichts des kriegerischen Konfliktes der Nachbarn schwer zugänglich. Für die Infrastruktur der Krim ist das Gebiet umso wichtiger, denn die Halbinsel ist nach der russischen Annexion 2014 noch immer teilweise auf die Energieversorgung aus der Ukraine angewiesen. Im Herbst 2015 hatten Sabotageakte für einen tagelangen massiven Stromausfall auf der Krim gesorgt.

Militär in erhöhter Alarmbereitschaft

Die Regierung in Kiew reagierte auf die aktuelle Eskalation mit einer Art Vorwärtsverteidigung und versetzte das eigene Militär in erhöhte Alarmbereitschaft. Die regierungsnahe „Ukrainska Prawda“ berichtete unter Berufung auf einen Sprecher des Verteidigungsministeriums, auf der Krim seien derzeit erhebliche russische Truppenbewegungen zu beobachten, die im Zusammenhang mit dem geplanten Manöver „Kaukasus 2016“ stünden. Der Sprecher mutmaßte, unter dem Vorwand des Manövers könnten Kriegsvorbereitungen getroffen werden. Ähnlich sei Moskau 2008 im Georgienkrieg vorgegangen.

Sicher bei all dem ist nur eines: Die Gerüchteküche in der Krisenregion brodelt und heizt die ohnehin gereizte Stimmung an. Auf diplomatischem Feld entfernen sich die Konfliktparteien mit großen Schritten voneinander. Putin nannte am Donnerstag ein für Anfang September geplantes Gipfeltreffen im sogenannten Normandieformat „angesichts der Ereignisse auf der Krim sinnlos“. Zum Normandiequartett gehören die Präsidenten Russlands, der Ukraine und Frankreichs sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Putin sagt: „Diejenigen, die in Kiew die Macht an sich gerissen haben, wollen keine Kompromisse. Stattdessen sind sie zur Praxis des Terrorismus übergegangen.“ Wozu also verhandeln? Der Ukrainer Poroschenko zahlt mit gleicher Münze zurück. „Es ist Russland, das Terroristen auf dem Territorium der Ukraine finanziert und unterstützt, nicht nur auf der Krim, sondern auch im besetzten Donbass. Das ist der Stil der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts.“

Westliche Beobachter sind alarmiert

Poroschenkos Hinweis auf die ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk, in denen 2014 prorussische Separatisten die Macht übernommen haben, macht das ganze Ausmaß der neuen Eskalation deutlich. Die seit knapp einem Jahr geltende Waffenruhe im Donbass werde von beiden Seiten immer wieder und zunehmend durchbrochen, wie OSZE-Beobachter berichten. Die russische „Nesawissimaja Gaseta“ titelte unlängst: „Kurz vor dem Kriegszustand – Lage im Donbass wieder auf dem Stand von 2014.“

In einem aktuellen Bericht meldet die UNO, dass die Zahl der zivilen Opfer mit zwölf Toten und 57 Verletzten im Juni 2016 fast doppelt so hoch war wie im Vormonat. Im Juli gab es gar 73 zivile Opfer, acht Tote und 65 Verletzte – die höchste Zahl seit August 2015. Entsprechend alarmiert sind auch westliche Beobachter. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, nennt die Lage „besorgniserregend“. Angesichts der Lage sei eine Aufhebung der westlichen Russland-Sanktionen keine sinnvolle Option. Die EU und die USA haben dafür eine vollständige Erfüllung des Minsker Friedensplans vom Februar 2015 zur Bedingung gemacht. Davon jedoch sind beide Seiten derzeit weiter entfernt denn je.